1931 - Fritz Langs pfeifender Mörder überführt

07.01.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
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Das neue Jahr beginnt für die Markanten Momente mit dem Rückblick auf einen der wichtigsten deutschen Filme überhaupt. Mit M – Eine Stadt sucht einen Mörder revolutionierte Fritz Lang den Tonfilm.

Die Öffentlich-Rechtlichen haben es momentan nicht leicht. Jüngere Zuschauer sollen nicht weglaufen, Ältere nicht verprellt werden, das Programm soll Innovationen hervorbringen, aber doch bitteschön solche, die das Publikum nicht verstören oder gar zu sehr fordern. Und so produziert das deutsche Fernsehen neben Koch-, Talk- und Kochtalkshows hauptsächlich TV-Krimis. Ob Notruf Hafenkante, SOKO Wismar oder Die Rosenheim-Cops – behäbige deutsche Kleinstadtpolizisten ermitteln, was das Zeug hält, ungeachtet der Tatsache, dass sich dem aufmerksamen Zuschauer der Mörder meist schon nach knappen fünf Minuten erschließt.

Vom Spektakel zum Psychogramm
Fernsehen ist natürlich nicht gleich Kino, aber es gab durchaus Zeiten, da kamen aus Deutschland Krimis mit mehr Substanz. Auch in M – Eine Stadt sucht einen Mörder von Fritz Lang war der Schurke schnell bekannt. Die Machart des genreübergreifenden Streifens an der Schwelle vom Stumm- zum Tonfilm war allerdings so bemerkenswert, dass er geradezu als Avantgarde zählen kann.

Nach einigen wegweisenden und aufwendigen Spektakeln wie Die Nibelungen: Siegfried oder dem frühen Science-Fiction-Klassiker Metropolis wollte der gebürtige Wiener Fritz Lang ruhigere Töne anschlagen und sich mehr der Psychologie seiner Filmfiguren widmen. Ein vielversprechender Drehbuchentwurf lag schon lange in der Schublade, und als sich Ende der Zwanziger schlimme Gewaltverbrechen in Deutschland häuften, entwickelte er es mit seiner Frau Thea von Harbou weiter zu dem Stoff über einen triebgesteuerten Kindermörder, den wir heute kennen.

Der Düsseldorfer Vampir in Berlin
Tatsächlich ging in Europa 1930 der reale Fall des Serienmörders Peter Kürten durch die Zeitungen, der als „Vampir von Düsseldorf“ in die Kriminalgeschichte einging und drei Wochen vor der Premiere des Films hingerichtet wurde. Schlaue Marketingmenschen witterten einen Erfolg und brachten das Werk in Spanien unter dem Titel M – El vampiro de Düsseldorf und in Italien als M – Il mostro di Düsseldorf in die Lichtspielhäuser. Wo der Film eigentlich spielt, ist jedoch nicht zuletzt aufgrund des gesprochenen Dialekts eindeutig: in der schönsten Stadt der Welt – Berlin.

Und so ist M – Eine Stadt sucht einen Mörder nicht nur die Geschichte eines gewissenlosen Mörders, sondern auch eine Sozialstudie, die Gesellschaftsstrukturen und die unter Umständen gefährliche Eigendynamik in Organisationen auslotet. Ein Plädoyer gegen Lynchjustiz und für rechtsstaatliche Regeln. Und nicht zuletzt eine Warnung vor den damals aufstrebenden Nationalsozialisten. Es ist kein Zufall, dass der unerbittliche Schränker, hervorragend gespielt von Gustaf Gründgens, in Aussehen und Rhetorik stark an Joseph Goebbels erinnert.

Ein echter Hörgenuss
Für seinen Film recherchierte der Regisseur ausgiebig. Er ging in Gefängnisse, Psychatrien, und Kontakte zur Berliner Kripo erlaubten es ihm sogar, in die Akten realer Fälle Einsicht zu nehmen. Das Ungewöhnlichste an M – Eine Stadt sucht einen Mörder war aber der dramaturgisch wohlüberlegte Einsatz des Tons. Wie das so mit neuen Techniken ist – viele Regisseure neigten dazu, mit dem aufregenden neuen Stilmittel unüberlegt die alten Vorgehensweisen zu ersetzen.

Fritz Lang hingegen ergänzte und verbesserte die in den vorhergegangenen Jahren etablierten Stummfilmtechniken. Lange Passagen der gespenstisch bedrückenden Stille zerreißt jäh ein schriller Soundeffekt – die Wirkung ist heute wie damals ausgesprochen stark. Und bekanntlich wird auch der Mörder anhand des Tons identifiziert. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass es letztlich ein blinder Ballonverkäufer ist, der das Pfeifen erkennt, mit dem der wunderbar psychopatisch spielende Peter Lorre seine Schandtaten ankündigt: er pfeift „In der Halle des Bergkönigs“ aus der Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg. Nebenbei gab es aber auch finanzielle Gründe für den sparsamen Einsatz des Tons. Tobis hatte damals das Monopol auf die junge Technik und verlangte hohe Lizenzgebühren von der Produktionsfirma.

Goebbels Fehlinterpretation
Die Stiftung Deutsche Kinemathek nannte M – Eine Stadt sucht einen Mörder nach einer Umfrage 1994 das wichtigste Werk der deutschen Filmgeschichte. Im Lexikon des Internationalen Films heißt es: „Langs sarkastische Schilderungen von Menschenjagd und Massenhysterie sowie Peter Lorres geniale Interpretation des Mörders als Täter und Opfer zugleich wurden von den Nationalsozialisten später nicht ohne Grund als subversiv empfunden.“

Das allerdings nicht sofort. Goebbels notierte nach einem Kinobesuch: „Abends mit Magda Film ‚M‘ von Fritz Lang gesehen. Fabelhaft! Gegen die Humanitätsduselei. Für Todesstrafe! Gut gemacht. Lang wird einmal unser Regisseur. Er ist schöpferisch.“ Da hatte der Mann einiges gründlich falsch verstanden. Am Ende seines Films lässt Fritz Lang die Mutter des ermordeten Mädchens in die Kamera hinein sprechen: „Man muss eben noch besser auf die Kinder achtgeben … Ihr!“ Recht hat er.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1931 bewegte:

Drei Filmleute, die geboren sind
26. März 1931 – Leonard Nimoy, Commander Spock aus Raumschiff Enterprise
12. September 1931 – Ian Holm, Hobbit Bilbo Beutlin aus Der Herr der Ringe: Die Gefährten
17. September 1931 – Anne Bancroft, Mrs. Robinson aus Die Reifeprüfung

Drei Filmleute, die gestorben sind
11. Januar 1931 – Gertrud Arnold, Königin Ute aus Die Nibelungen: Siegfried
06. März 1931 – Edward Van Sloan, Dr. Van Helsing aus Dracula
11. März 1931 – F.W. Murnau, Regisseur von Der letzte Mann

Die großen Academy Awards-Sieger waren unter anderem
Bester Film: Pioniere des wilden Westens von Wesley Ruggles
Bester Regisseur: Norman Taurog für Skippy
Bester Hauptdarsteller: Lionel Barrymore in A Free Soul

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Frankenstein von James Whale
Pioniere des wilden Westens von Wesley Ruggles
Mata Hari von George Fitzmaurice

Drei wichtige Ereignisse der (Nicht-)Filmwelt
Die Wirtschaftskrise erreicht in Deutschland ihren Höhepunkt
01. Mai 1931 – In New York City wird das Empire State Building eröffnet. Es ist das damals höchste Gebäude der Welt.
06. Juni 1931 – in München geht durch Brandstiftung der Glaspalast in Flammen auf

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