Barry - Bill Hader ist der unglücklichste Auftragskiller der Welt

08.05.2018 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
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Ein Schauspieler, der einen Auftragskiller spielt, der lieber ein Schauspieler wäre - die Prämisse von Barry, der neuen HBO-Dramedy mit Bill Hader, ist so einfach wie genial. Hier gibt es viel zu lachen, aber ebenfalls Nachdenkliches, das für Bauchschmerzen sorgt.

Das Leben eines Auftragskillers muss furchtbar sein. Jeden Tag dreht sich alles nur ums Töten - und dann? Ja, was ist dann? Auf einen ausgeführten Auftrag folgt der nächste, sodass sich ab einem gewissen Punkt kühle Routine einstellt. Wenn Bill Hader in seiner neuen HBO-Dramedy als titelgebender Barry zum ersten Mal seine Profession vorführt, ist der vermeintlich aufregendste Teil längst geschehen. Das Opfer liegt tot im Bett, denkbar unspektakulär. Nicht einmal eine große Blutlache ist zu sehen. Stattdessen kündet ein kleines Loch im Kopf von der Erfüllung der Mission, die Barry jedoch keineswegs erfüllt. Unmotiviert schraubt er den Schalldämpfer von seiner Pistole, tritt den Heimweg an und vertrödelt den restlichen Tag in seiner Wohnung, die mehr dem Zimmer eines 15-Jährigen anstelle eines Auftragskillers gleicht. So vertreibt er sich zwischen Metallica und Rennspielen die Zeit, bis der nächste Auftrag hineingeflattert kommt.

Gleich in ihren ersten Minuten etabliert die Pilot-Episode von Barry eine melancholische Grundstimmung, die Mitleid mit dem tötenden Protagonisten weckt und ihn als verlorene Seele präsentiert. Teilnahmslos lässt Barry sein Leben über sich ergehen, sodass es wirklich schwer fällt zu sagen, ob er mit einer Waffe oder einem PlayStation-Controller in der Hand mehr Spaß hat. Am liebsten würde man ihn in den Arm nehmen, ihn trösten und ein Taschentuch reichen. Doch nicht einmal eine Träne schafft es, die Ausdruckslosigkeit aus seinem Gesicht zu wischen. Jede der reduzierten Bewegungen ist auf maximale Effizienz bedacht, von einem menschlichen Wesen, das sich in diesem steifen Körper befindet, fehlt jegliche Spur. Unter Umständen wirkt Barry, der ansonsten mit höflichen Umgangsformen kommuniziert, durch seine unergründliche Ruhe richtig bedrohlich, unheimlich geradezu. Es fehlt trotzdem nicht viel, um zu erkennen, dass er leer, antriebslos und unglücklich ist.

Barry

Bill Hader, der nicht nur als Hauptdarsteller fungiert, sondern gemeinsam mit seinem Co-Schöpfer Alec Berg als Drehbuchautor und Regisseur bei der 1. Staffel von Barry tätig ist, geht wahrlich auf in der Rolle dieses Auftragskillers, der in Trostlosigkeit fast ertrinkt. Gerade in der Zurückhaltung liegt die große Stärke seines Auftritts, der jede Regung im Gesicht plötzlich zu einer ganzen Wellenbewegung werden lässt, die das Bild und die Umgebung erschüttert. Zwar mag Barry die meiste Zeit über wie eingefroren in der Gegend herumstehen, für viele Menschen womöglich sogar komplett unsichtbar sein. Dass Barry existiert und ein echter Mensch ist - das alleine ist Bill Haders Vermächtnis, der fortan damit beschäftigt ist, seinen Eisblock von Protagonisten aufzutauen. Als Barry vom tristen Cleveland ins sonnige Los Angeles gelangt, erwacht in ihm plötzlich eine ungeahnte Leidenschaft. Zu schade, dass er eigentlich nur gekommen ist, um zu töten.

Schon in seiner ersten halben Stunde wechselt Barry gekonnt die Fronten zwischen tragikomischen Elementen und dem zwielichtigen Fundament des Auftragskiller-Sujets. Manchmal erweckt Barry den Eindruck, als wäre er unmittelbar Zach Galifianakis FX- Dramedy Baskets entnommen worden, die mit herzzerreißenden Gesten ebenfalls von der Grausamkeit der Menschen erzählt. Dann findet Barry jedoch seinen ganz eigenen Humor, der vor allem aus dem bedächtigen und unaufgeregten Erzähltempo resultiert. Die Melancholie ist spürbar, vereint sich mit dem Grotesken, nimmt die düsteren Facetten der Hauptfigur durchaus ernst. Barrys Profession ist überaus problematisch und die Serie bisher nicht daran interessiert, die konventionelle Geschichte eines Killers zu schildern, der sein Herz entdeckt. Wenn Barry also für fiese Gangster einen gewissen Ryan (Tyler Jacob Moore) um die Ecke bringen soll, gibt es vorerst nichts zu scherzen.

Barry

Bevor er Ryan in kalter Anonymität aber um die Ecke bringen kann, gerät Barry in den Kreis der Theatergruppe des sehr von sich selbst überzeugten Schauspiellehrers Gene Cousineau (Henry Winkler). Plötzlich steht der Auftragskiller mit seiner Zielperson auf der Bühne, die wild gestikulierend ihre beste Imitation von Gary Oldman in True Romance darbietet. Gefangen vom Schauspiel saugt Barry jede Bewegung und jedes Wort in sich auf, sodass er Ryan am Ende des Tages umarmt, anstelle zu töten. Den Auftraggebern sowie seinem Chef Fuches (Stephen Root) gefällt das allerdings überhaupt nicht. Entgegen des offensichtlichen Interessenkonflikts besitzt Barry in seiner Teilnahmslosigkeit jedoch auch die Coolness, die Welt der Gangster und ihrer Posen hinter sich zu lassen. Fortan will er auf der Bühne das Leben erschaffen, von dem Gene Cousineau in seinem mit aller Poesie des Theaters betitelten Buchs Hit your mark and say your lines berichtet.

Nie wieder Ärger aufgrund eines fehlenden Schalldämpfers im FedEx-Paket mit der angelieferten Tatwaffe: Barry ist bereit, ein neues Leben anzufangen und in die Schauspielerei zu investieren. Sogar der sonst so unbeeindruckte Gene Cousineau sieht großes Potential in ihm, nachdem er Barrys Schilderung seines Lebenslaufs mit einem improvisierten Monolog verwechselt. "The story’s nonsense, but there’s something to work with", lautet das Fazit des Experten, der auf Wahrheit pocht, sie aber nicht erkennt, wenn sie ihm voll intimer Aufrichtigkeit offenbart wird. Barry erfährt derweil ein weiteres von vielen Missverständnissen, die sein Leben bestimmen und dominieren. Trotzdem ist er es, der am Ende zum ersten Mal seine Mine verzieht und lächelt - wenngleich sich dieses Lächeln aktuell noch etwas verkrampft und unnatürlich anfühlt. Die wahre Freude blitzt dennoch hindurch, obwohl der letzte abgefeuerte Schuss noch keine drei Sekunden her ist.

Die 1. Staffel von Barry feierte am 25.03.2018 auf HBO ihre Premiere, umfasst insgesamt acht Episoden. In Deutschland sind die einzelnen Episoden einen Tag nach US-Ausstrahlung in der Originalfassung bei Sky Ticket  zu sehen, ehe die lineare Ausstrahlung mit deutscher Synchro am 08.05.2018 auf Sky Atlantic erfolgt. Als Grundlage für diesen Serien-Check diente die erste Episode.

Habt ihr auch schon einen Blick in Barry geworfen?

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