Die Angst von Jared Leto und Diane Kruger vor Mr. Nobody

09.07.2010 - 08:50 Uhr
Familiäre Stimmung beim Dreh: Jared Leto und Diane Kruger
Concorde Film
Familiäre Stimmung beim Dreh: Jared Leto und Diane Kruger
Im dritten Teil unserer Interviewreihe zum Kinostart von Mr. Nobody kommen dieses Mal die Darsteller zu Wort. Jared Leto, Diane Kruger, Sarah Polley und Linh-Dan Pham berichten, wie es zur Zusammenarbeit mit Jaco van Dormael kam und wie sie sich auf ihre Rollen vorbereitet haben.

Gestern startete das Science-Fiction-Drama Mr. Nobody in den deutschen Kinos. Der Film erzählt aus dem Leben von Nemo Nobody (Jared Leto), der sich nach der Scheidung seiner Eltern für ein Elternteil entscheiden muss. Oder doch nicht? Denn so lange er keine Wahl trifft, bleiben alle Optionen offen. In diesem Sinne begleiten wir Nemo in drei möglichen Varianten seines Lebens. In allen lernt er seine große Liebe kennen: Anna (Diane Kruger), Elise (Sarah Polley) und Jean (Linh Dan Pham). Als 118jähriger Greis im Jahre 2092 blickt er reflektierend auf das Erlebte zurück.

Die Hauptdarsteller stehen zum Interview bereit. Jared Leto ist in der Titelrolle als Nemo Nobody zu sehen. Seinen Durchbruch als Schauspieler hatte er im Drogendrama Requiem for a Dream (2000). Zuletzt spielte er 2007 im wenig erfolgreichen Krimidrama Chapter 27 – Die Ermordung des John Lennon. Die deutsche Schauspielerin Diane Kruger durfte sich vor einiger Zeit im kontroversen Erfolgsfilm Inglourious Basterds von Quentin Tarantino austoben. Sarah Polley ist zur Zeit im Horrorfilm Splice – Das Genexperiment im Kino zu sehen. Aufgefallen ist sie Jaco van Dormael in Das Geheime Leben der Worte (2005). Die Vietnamesin Linh Dan Pham konnte die Aufmerksamkeit des Regisseurs im französischen Film Der wilde Schlag meines Herzens (2005) auf sich ziehen.

Nemo Nobody und die drei Frauen in seinem Leben verraten nun, wie die Zusammenarbeit mit Jaco van Dormael zustande kam, wie sich sich auf ihre jeweilige Rolle vorbereitet haben und welche Schwierigkeiten sie bei den Dreharbeiten zu bewältigen hatten.

Kannten Sie Jaco van Dormael s Filme, bevor Sie Mr. Nobody mit ihm drehten?
Jared Leto: Ich hatte viel darüber gehört, hatte aber noch keinen gesehen, bevor ich Jaco traf. Dann jedoch habe ich sie mir angesehen und war begeistert.

Sarah Polley: Toto der Held (Toto le Héros, 1991) ist einer der schönsten Filme, die ich kenne. Jaco hat eine originelle Art, auf die Welt zu blicken, er hat eine einzigartige Phantasie. Seine Filme gleichen keinen anderen. Sie spiegeln seine Persönlichkeit.

Diane Kruger: Ehrlich gesagt kannte ich sie nicht. Aber ich fand Toto der Held (Toto le héros, 1991) wunderbar. Die Geschichte hat mich berührt. Es war als würde man von den Schauspielern an der Hand genommen und in einen Traum geführt.

Linh Dan Pham: Ich hatte Toto der Held (Toto le héros, 1991) schon gesehen und mochte ihn sehr gern. Er ist ähnlich poetisch und einfallsreich wie Mr. Nobody, er hat übermütige und bewegende Momente, die sofort Kindheitserinnerungen hervorrufen.

Wie haben Sie Ihre Rollen bekommen?
Jared Leto: Ich sah Jaco zum ersten Mal in Utrecht. Ich spielte dort mit meiner Band „30 Seconds to Mars“, und erfuhr erst direkt bevor ich auf die Bühne ging, dass er kommen würde. Es war also ein ziemlich unerwartetes Treffen. Ich hatte aber sein Drehbuch schon Monate vorher gelesen und war hingerissen. Er war dann bei diesem ersten Treffen sehr freundlich und bescheiden, unglaublich interessant und gar nicht anmaßend. Er wirkte nicht wie ein Regisseur, eher wie ein Bildhauer. Ich sagte ihm, dass ich es sehr spannend fände, mit ihm zu arbeiten.

Sarah Polley: Sobald ich hörte, dass Jaco einen neuen Film machte, wollte ich um jeden Preis dabei sein. Ich erzählte diesen Wunsch herum und hatte daraufhin ziemlich schnell das Drehbuch in Händen. Beim Lesen wurde mir klar, dass ich die Elise spielen wollte. Jaco und ich verabredeten uns in New York. Ich übte vorher Überredungsstrategien, um ihn davon zu überzeugen, dass ich genau diejenige wäre, die er für die Rolle bräuchte. Als wir uns dann trafen, bat er mich von sich aus, doch bitte diese Rolle zu übernehmen. Wir waren offensichtlich auf der selben Wellenlänge. Das setzte den Maßstab für unsere Zusammenarbeit, es ging während der ganzen Dreharbeiten so weiter. Ich war noch nie so glücklich an einem Set.

Diane Kruger: Ich bin durch Zufall in dieses Projekt hineingeraten. Ursprünglich sollte jemand anderer diese Rolle spielen. Dann wurde jedoch ich gefragt, und um mir einen ersten Eindruck zu verschaffen, ließ man mich eine Folge von Szenen sehen, die bereits gedreht worden war. Es waren Nemo und Anna als Kinder, und ich fand es großartig. Am nächsten Tag fuhr ich nach Belgien, um mit Jaco darüber zu reden. Wenn ich einen Regisseur für so ein Gespräch treffe, versuche ich, mich so anzuziehen, dass ich der Rolle möglichst ähnlich sehe. Bei Jaco wählte ich ein rotes Kleid. Als er mich sah, war er überwältigt: ohne es zu ahnen, hatte ich die Farbe rot gewählt, die er für Annas Universum geplant hatte. Das war der Anfang dieses Abenteuers.

Linh Dan Pham: Der Film sollte auf Englisch gedreht werden, also wollte Jaco gar kein Casting in Frankreich machen. Er dachte, dass französische Schauspieler immer einen Akzent im Englischen behalten würden. Aber dann rief mich eines Tages sein Assistent Renaud Alcalde an. Er erklärte, Jaco habe Audiards Der wilde Schlag meines Herzens (De Battre mon coeur s’est arrêté, 2005) gesehen und wolle mit mir arbeiten. Kurz danach rief mich sein Casting-Direktor an. Der Anruf war hauptsächlich ein Test, wie mein Englisch klang. Fünf Minuten später rief er noch einmal an und sagte, er schicke mir jetzt das Drehbuch, damit wir dann ein Treffen organisieren könnten. So lernte ich, wie geschmeidig Jaco arbeitete: viel Führung, aber auch Raum für Freiheit.

Wie haben Sie sich vorbereitet?
Jared Leto: Ich benutzte hauptsächlich das Drehbuch. Ich verließ mich auf den Text und auf meine Vorstellungskraft. Diese ganzen Leben werden schließlich doch nur von einer einzigen Person gelebt. Nemo bleibt immer die selbe Person, auch wenn er verschiedene Leben führt. Letztlich wollte ich nicht 12 völlig verschiedene Personen spielen, sondern zwölf Versionen derselben Person, die sich jeweils durch die Entscheidungen ergeben, die diese Person für ihren Lebensweg trifft. Denn es ist ja wirklich dieselbe Person, nur in zwölf anderen Existenzen.

Sarah Polley: Ehrlich gesagt fand ich meine Figur nicht schwer zu spielen. Ich hatte volles Vertrauen zu Jaco und alles ergab sich wie von selbst. Wir redeten über die Rolle, und diese Gespräche reichten mir aus. Wenn man das Vertrauen des Regisseurs spürt und es ihm genauso entgegenbringt, hat man vor nichts Angst. Alles fließt. Man weiß instinktiv, was man für die Rolle braucht. Es war auch immer eine beglückende Atmosphäre am Set. Bei solchen Drehs ist der Beruf des Schauspielers der Beste, den es gibt.

Diane Kruger: Jaco erklärte mir detailliert, wie er sich die Figuren vorstellte. Er bestimmte die Welt jeder einzelnen Figur sehr präzise. Aber was mir besonders geholfen hat, Anna zu werden, waren die Äußerlichkeiten. Ich färbte mir die Haare brünett und trug Anna-Kleider. Dieses Mädchen ist sehr weit von meiner realen Persönlichkeit entfernt, das machte es mir nicht leicht, mich in sie zu verwandeln.

Linh Dan Pham: Bei Jaco hat man von Anfang an viel Freiheit. Ich musste vor allem daran arbeiten, meinen amerikanischen Akzent abzulegen und einen englischen zu bekommen. Ich hatte einen Coach, der zu mir ans Set kam. Ich merkte schnell, dass ich mich nach dem Akzent richten konnte: Sobald er richtig klang, stimmte auch das Spiel. Und die Rolle selbst war einfach: Total verliebt zu sein ist etwas, das ich nachvollziehen kann, dafür musste ich nicht groß üben oder Techniken aus dem Actor’s Studio bemühen!

Was für Erfahrungen haben Sie während der Dreharbeiten gemacht?
Jared Leto: Es war so ein langer Dreh! Wenn man sechs Wochen lang einen Film dreht, muss man sein eigenes Leben natürlich auch zurücklassen, aber sechs oder sieben Monate sind trotzdem etwas anderes. Dazu kam, dass ich an manchen Tagen mit zehn oder mehr verschiedenen Nemo-Nobody-Persönlichkeiten jonglieren musste. Wenn ich zurückblicke, würde ich sagen, dass ich das eher nüchtern und wissenschaftlich angegangen bin. Aber ich konnte mich auch auf Jacos wachsames Auge verlassen, er begleitete und unterstützte mich mit einer Aufmerksamkeit, wie ich sie bis dahin noch nie kennengelernt hatte. Viele aus dem Team hatten bei Jacos anderen Filmen schon mitgearbeitet, am Set ging man familiär und respektvoll miteinander um. Es war wunderbar, zu dieser Familie zu gehören. Ich fand es wirklich toll.

Sarah Polley: Es machte mir Spaß, zu diesem Team zu gehören, was sicher an der Atmosphäre lag, die beim Drehen herrschte. Ich musste mich nicht einmal zurückziehen, um mich auf meine schwierigen Szenen zu konzentrieren. So etwas tat ich nur während der ersten Tage, als ich sicherstellen wollte, dass ich die Dunkelheit erreichen kann, in der Elise sich verliert. Aber ich merkte schnell, dass ich nicht allein sein brauchte, um in dieses Stadium hineinzufinden. Das ganze Team arbeitete so leidenschaftlich für Jaco, dass jeder davon getragen wurde.

Diane Kruger: Die Stimmung war glücklich. Ich habe schon an vielen sehr freundlichen Sets gearbeitet, aber hier fand ich eine familiäre Zusammengehörigkeit vor, die mir völlig neu war. Jaco kennt die meisten seiner Techniker seit Jahren. Man hatte eigentlich nie das Gefühl, dass man überhaupt arbeitet. Ich blieb am Set, auch wenn ich gar nicht dran war, nur um den anderen zuzusehen oder mich mit ihnen zu amüsieren.
Linh Dan Pham: Weil der Dreh so lang dauerte, musste man sorgsam miteinander umgehen, was nicht einfach ist. Ich war nicht kontinuierlich dort, aber jedes Mal, wenn ich zurückkam, war es, als hätte ich das Set nie verlassen.

Welche Szene fürchteten Sie am meisten?
Jared Leto: Ich hatte am meisten Angst davor, den Nemo in der Ehe mit Sarah Polley zu spielen, denn diese Rolle ist am weitesten von meinen eigenen Erfahrungen entfernt. Ich selbst wurde noch nie emotional so ausgeschlossen, ich war nie so hilflos, wie er es mit dieser Frau ist. Die Szenen waren schwierig, denn ich wollte stärker sein, als Jaco das geschrieben hatte. Für ihn war dieser Nemo jemand, der nicht weiß, was er tun soll, oder wie oder wann er es tun soll, und der auch nicht weiß, was er sagen soll. Das fand ich ungeheuer schwer. Außerdem war es auch nicht einfach, einen Vater zu spielen. Ich weiß nicht genau, wie man das macht, denn ich habe keine eigenen Kinder. Ich war extrem nervös während dieser Szenen, aber Jaco war sehr geduldig und half mir darüber hinweg.

Sarah Polley: Ich fürchtete die Geburtstags-Szene von Elises Tochter. Mir graute davor, inmitten all der Kinder diese verrückte Mutter zu spielen, ich fand es demütigend. Ich hatte Angst, die Kinder würden mich anstarren und mich tatsächlich für irre halten. (Gelächter)

Diane Kruger: Eine Herausforderung sind immer die Liebesszenen. Man gerät so leicht in ein Klischee. Für Anna gab es extreme Szenen, die entweder tragisch oder versöhnlich waren. Meine größte Angst war, dass wir dabei übertreiben.

Linh Dan Pham: Schwierig war die Bettszene, in der Jean versucht, mit Nemo darüber zu reden, dass er sie nicht genug liebt. Unter anderem wirft sie ihm dabei vor, dass er nicht einmal weiß, wieviel Stück Zucker sie für ihren Kaffee nimmt. Ich hatte Angst davor, weil die Szene einerseits sehr emotional ist, andererseits ist es auch ein Schlüsselmoment für die Geschichte. Jean versucht, ihre Beziehung zu retten, aber sie läuft gegen eine Wand – Nemo reagiert einfach nicht.

Mit Material von Concorde

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