Eine Jugend in den wilden Siebzigern

03.09.2012 - 08:00 Uhr
Bunt und psychedelisch: Die Wilden Siebziger
Fox
Bunt und psychedelisch: Die Wilden Siebziger
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In Die Wilden Siebziger erleben wir das legendäre Jahrzehnt von seinen verrückten aber auch alltäglichen Seiten – vor allem aber aus dem Keller der Formans. Wäre es nicht interessant gewesen, diese Zeit selbst zu erleben?

Hello Wisconsin! – oder: Warum ich mir eine Jugend in den wilden 70ern wünsche

Hat nicht jeder von uns sich einmal vorgestellt, wie es wohl wäre in einem Film oder in einer Serie zu leben? Wäre es nicht toll in Springfield zu leben, die Familie Simpson und andere schräge Charaktere kennenzulernen? Wäre es nicht vorstellbar selbst übernatürliche Kräfte zu entwickeln und wie Hiro Nakamura in Heroes durch die Zeit zu reisen? Möchte man nicht manchmal sogar selbst wie Dexter Morgan in Miami Mörder jagen?

So verrückt diese Visionen und so gut diese Serien auch sein mögen, für mich gibt es nur einen Ort, eine Zeit und eine Serie in der ich gerne aufgewachsen wäre: Point Place, Wisconsin, in den wilden 70ern! Aufwachsen im Wisconsin der 70er Jahre gemeinsam mit der Clique rund um Eric Forman.

Point Place, Wisconsin. 24.3. 1978. Eric Formans Keller. 15:13. So oder so ähnlich beginnt so manche Folge der Sitcom Die wilden Siebziger (‘That 70s show’). Die Clique der Jugendlichen rund um Eric Forman sitzt gemütlich im Keller dessen Elternhauses, diskutiert mal mehr mal weniger zusammenhängend über alle möglichen Themen, die Jugendliche (auch heute noch) interessieren. Die unabsichtliche Komik dieser Gespräche wird dabei nicht selten vom Drogenkonsum, immer aber durch die unterschiedlichen Auffassungen der Hauptcharaktere beeinflusst.

In dem legendären Keller und im Haus der Formans spielen die meisten Szenen dieser Serie und man bekommt nach manchen Folgen den Eindruck, dass sowohl die anderen Jugendlichen der Clique als auch die erwachsenen Charaktere kein anderes Zuhause hätten. Und unter anderem dies ist es, was diese Serie so toll macht: Sie gibt den Charakteren ein Zuhause und zeigt sie in den komischsten Situationen, die man sich dort mit dem skurrilen Freundes- und Familienkreis vorstellen kann, gespickt mit jugendlichem Leichtsinn aber auch Themen, die in den 70ern von Bedeutung waren (Feminismus, Wirtschaftskrise,…).

Ganz gekonnt gelingt es der Serie, welche zwischen 1998 und 2006 gedreht wurde, ein
Kleinstadtleben im Amerika der 1970er Jahre darzustellen. Man hat schon nach wenigen Folgen den Eindruck, als ob die Serie tatsächlich in den 70ern gedreht worden wäre. Nebenbei ist es herrlich zu sehen, wie Utensilien, welche heute fast schon unverzichtbar sind von den Charakteren als neuester Hit angesehen oder verteufelt werden und die Geburtsstunde von Meilensteinen der Popkultur wie Star Wars oder Videospiele mitzuerleben.

Auch formal geht diese Sitcom andere Wege als so manche moderne Serie. Interessant sind zum Beispiel die Diskussionen im Kreis der Clique, bei denen sich die Kamera von einem zum anderen Jugendlichen dreht. Ganz besonders gefallen mir aber die nachgestellten Schwarz-Weiß-Filmszenen im Stile von Lehrfilmen aus den 70ern und der Abspann, welcher nicht wie gehabt von Musik, sondern von einem Sketch, einer Schlusspointe, welche eine Szene aus der Folge eindringlicher beleuchtet begleitet wird (Ein besonders feinfühliger Effekt: Die letzte Folge der wilden 70er spielt Silvester 1979). Nicht zu unterschätzen ist diese Serie außerdem dadurch, dass sie das Sprungbrett zu bedeutenden schauspielerischen Karrieren war (zum Beispiel denen von Mila Kunis und Ashton Kutcher).

Natürlich zeichnet sich diese Serie nicht nur durch ihren unkonventionellen formalen Rahmen, sondern besonders durch den Inhalt ab, welcher in seiner Komik vor allem den unterschiedlichen Charakteren zu verdanken ist.

Da wäre erstens Eric Forman, ein schlaksiger Durchschnittsjugendlicher, dessen Liebes-, Schul- und Familienprobleme den größten Teil der Serie bestimmen. Donna Pinciotti ist die Nachbarstochter und Erics große Liebe. Sie ist wohl die besonnenste der Clique und zieht durch ihre Figur und ihren kumpelhaften Eindruck nicht nur Eric in ihren Bann. Steven Hyde würde man wohl am ehesten als Delinquent bezeichnen, Rebell gegen das Establishment und konspirativ gegen die Regierung. Trotzdem scheint er an Coolness nicht zu übertreffen zu sein. An Schönheit nicht übertreffen zu sein, glaubt hingegen Michael Kelso von sich. Der einfältige Schönling und Weiberheld ist regelmäßig der Grund für grandiose ‘Brüller’ und durchgeknallte Szenen. Seine Langzeitfreundin Jackie Burkhart entspricht dem Profil einer oberflächlichen, nervtötenden Zicke. Ihre Hauptsorgen gelten dem Aussehen und dem Geld. Der letzte im Bunde ist Fez, der Austauschschüler, der irgendwie in Point Place festzuhängen scheint und von dem man als Running Gag bis zum Schluss nicht erfährt aus welchem Land er stammt. Durch ihn sehen wir auch Amerika mit anderen Augen.

Nicht zu unterschätzen, besonders für die Situationskomik, sind außerdem die Charakterzüge der Erwachsenen. Neben dem legendären Alt-Hippie Leo und Donnas Eltern sind es vor allem Erics gluckenhafte Mutter, die jede peinliche oder schwierige Situation entweder mit Alkohol oder mit ihrem typischen Lachen wegspült. Und sein strenger Vater Red, der von der Wirtschaftskrise, aber besonders vom zweiten Weltkrieg und dem Koreakrieg gezeichnet ist, nur wenig Humor (dafür umso mehr Sarkasmus) hat und nicht selten mit einem ‘Fuß in den Arsch’ droht, welche diese Sitcom prägen.

Was diese Serie interessant und nie langweilig macht ist, dass, obwohl diese Charaktere so einseitig scheinen, sie sich doch über das Jahrzehnt unglaublich weiterentwickeln und dennoch zusammenhalten, wie es in der Jugend sein sollte: Wer hätte gedacht, dass Kelso einmal Vater oder Polizist wird, dass Hyde doch nicht im Gefängnis endet sondern sein eigener Boss in einem Plattenladen wird und Jackie schließlich nicht nur mit Kelso, sondern auch noch mit Hyde und Fez zusammen kommt? Kurz gesagt: Diese Serie steckt voller Überraschungen und Situationskomik erster Klasse.

Ich wünsche mir meine Jugendzeit zurück in den 70ern – nicht etwa wegen der guten Musik, den tollen Autos (zu gerne möchte ich in Erics Vista Cruiser ‘In the street’ grölen) und schon gar nicht wegen der autoritären Erziehung eines Red Forman, sondern eben genau wegen diesen Charakteren (man kann nicht anders als mit ihnen befreundet sein zu wollen), die unterschiedlicher nicht sein könnten und trotzdem ein Jahrzehnt lang den stärksten Freundeskreis bilden, den ich in einer Serie bis jetzt gesehen habe. Diese Serie ist nicht nur eine wunderschöne, manchmal sicher übertriebene, komische, klischeehafte und ironische Darstellung dieses bunten Jahrzehnts, sondern vor allem ein großes Lehrstück in Sachen Freundschaft, welches sich über alle Jahrzehnte hinweg halten kann.

Obwohl diese Serie zeigt, dass die Jugendlichen wohl zu jedem Jahrzehnt die gleichen Themen interessieren und die gleichen Probleme zu bewältigen aber auch ähnliche Freuden haben, so hinterlässt sie bei mir dennoch das Gefühl, 30 Jahre zu spät geboren worden zu sein und verleiht mir gleichzeitig eine Ahnung davon, wie sie hätte sein können – meine Jugend, damals in den wilden 70ern.


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