Exiled - Blutige Action kann so schön sein

26.06.2011 - 08:50 Uhr
Exiled
Kinowelt
Exiled
20
22
Ein Italo-Western in China, das ist nur eine Facette von Johnnie Tos Exiled aus dem Jahr 2006. Für mich ist und bleibt es der Film, der mir den Weg zum asiatischen Kino geebnet hat.

Vier Gangster treffen sich in einer Seitenstraße von Macau. Sie warten auf einen Ex-Kollegen. Zwei sollen ihn töten, zwei wollen ihn beschützen. Irgendwann kommt der Kollege dann in einem kleinen Transporter angetuckert. Sie gehen hinauf in die karg eingerichtete Wohnung. Methodisch und präzise nehmen zwei von ihnen so viele Kugeln aus ihren Waffen, bis alle gleich viele zum Verschießen haben. Dann geht’s los. Ein Zeitlupenshootout auf engstem Raum. Eine Tür schlägt Saltos durch die Luft, irgendwo köchelt ein Kochtopf. Dann ist es auch schon vorbei. Keine Toten, keine Verwundeten, nur ein rauchendes Loch in der kugelsicheren Weste. Was nun? Essen wäre nicht schlecht. Aber es sind keine Möbel da! Dann müssen sie eben hochgetragen werden.

Das ist die Auftaktsequenz von Exiled und ja, die Gangster, die sich eigentlich töten sollten, richten danach die Wohnung ein, hängen Bilder an die Wand und essen etwas. An die Schießerei erinnert nur noch eine Kugel, die zur Belustigung aller im Reistopf gelandet ist. In der Welt des Hongkong-Regisseurs Johnnie To ist dieser Sprung vom großen Drama zum banalen Alltagsritual jederzeit zu erwarten. Das ist einer der Gründe, warum ich mich vor vier Jahren spontan in seine Filme verliebt habe. Damals an einem Samstag Mittag habe ich Exiled dank der Pünktlichkeit eines DHL-Mannes zum ersten Mal gesehen und wusste schon nach diesen Minuten, dass es sich um Liebe auf den ersten Blick handelte.

Ein Abgesang auf eine Epoche
Vor meinem ersten Johnnie To hatte ich schon ein paar Hongkong-Filme gesehen. Doch abgesehen von den offensichtlich beeindruckenden Actionszenen in The Killer und anderen stand mir stets der unfreiwillig komische Pathos im Wege. Nicht so bei Johnnie To. Breitet John Woo geradezu barock jeden Zeitlupenwirbel und jeden Schmerzensschrei in seinen Actionszenen bis ins operettenhafte aus, ist Johnnie To reduziert und geradezu lakonisch. Klar, auch Hard Boiled zählt heute zu meinen liebsten Hongkong-Filmen, doch Johnnie To hat das Genre ins neue Jahrtausend geführt und Exiled ist sein Opus Magnum im Actionbereich.

Ende der 90er ist Exiled angesiedelt, kurz vor der Rückgabe der portugiesischen Kolonie Macau an China. Im Hintergrund tickt gewissermaßen die Uhr, denn die Zeit für Veränderungen naht heran. So wie das Hongkong-Kino seit der Rückkehr in den chinesischen Schoß im Niedergang begriffen ist, warten die Gangster in Exiled im Grunde nur darauf, von der sich ankündigenden Epoche weggefegt zu werden. Ihre Zeit ist vorbei und sie sind sich dessen bewusst, ohne auch nur eine Träne zu vergießen. Ein leichter Hauch von Melancholie weht deswegen ein ums andere mal wie ein verirrter Tumbleweed durch das Bild. Denn Exiled mag ein Hongkonger Actionfilm sein, fußt aber ebenso stark auf amerikanischen und italienischen Western.

Lakonische Großstadtcowboys
Wie ein blutiges Klassentreffen kommt Exiled daher, in echt und in der Story. Die Schauspieler um Anthony Wong Chau-Sang und Francis Ng haben zuvor schon dutzende Filme zusammen gedreht. Nicht zuletzt deshalb müssen sie in Exiled gar nicht viel reden, um den Eindruck zu vermitteln, dass sie sich schon ewig kennen. Denn die fünf Männer, die sich da am Anfang des Films treffen, sind Freunde seit ihrer Jugend. In dieser Seitenstraße, nach Jahren wieder vereint, beginnen sie ihre Reise, wie es in einem Western üblich ist. Die Odyssee auf der Suche nach einem Ziel führt sie über verschiedene Schießereien und sogar zu einem Goldschatz.

Sergio Leone wird häufig als Vergleich für Exiled herangezogen, was angesichts der wortkargen Mantelträger und vielen Großaufnahmen nicht abwegig ist. Sam Peckinpah ist auch so ein Name, der bei den vielen blutigen Shootouts auf der Zunge liegt. Doch Exiled ist keine Referenzsammlung. Exiled ist Kino in seiner Reinform. Es ist ein audiovisuelles Poem, jede Einstellung einen Screenshot wert, jede Actionszene ein Gemälde bestehend aus der Noir-Lichtsetzung sowie pulverisierten Rauch- und Blutwolken, die in Zeitlupe die Figuren einhüllen. In Exiled geht es weniger darum, wer erschossen wird und wer nicht. Die Aktion an sich steht im Zentrum, denn die inszeniert Johnnie To wie einen morbiden, nichtsdestotrotz wunderschönen Tanz.

Exiled ist der lakonische, aber nicht zynische Abgesang auf das Heroic Bloodshed-Genre, in dem John Woos weiße Tauben durch Red Bull-Büchsen ersetzt werden. Er reiht sich ein in eine mythische Erzähltradition, die schon John Ford und Budd Boetticher hervorgebracht hat. Denn die Gangster in Exiled sind wie Ethan Edwards in Der schwarze Falke und Ben Stride in Der Siebente ist dran aus der Zeit gefallen, ewig in Bewegung. Sie können niemals sesshaft werden, weil sie nicht Teil der Gesellschaft sind. Doch diese Chronik des Aussterbens der verlorenen Großstadtcowboys ist wunderschön.


Wenn ihr auch an der Aktion Lieblingsfilm teilnehmen wollt, dann schickt euren Text an ines[@]moviepilot.de.

Und hier die Preise, die ihr gewinnen könnt. Wir danken ganz herzlich den Partnern der Aktion Lieblingsfilm, die wirklich tolle Preise für die Sieger bereitstellen.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News