Netflix ist das Beste & Schlechteste, was Cloverfield passieren konnte

06.02.2018 - 09:05 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
The Cloverfield Paradox
Netflix
The Cloverfield Paradox
9
7
The Cloverfield Paradox ist dank seiner plötzlichen Veröffentlichung der Film der Stunde, doch der Netflix-Film und sein aufsehenerregender Start könnte für die Reihe nicht nur positive Folgen haben.

Bis vor wenigen Tagen war unklar, ob The Cloverfield Paradox ins Kino kommt, nun haben Millionen Abonnenten von Netflix die Möglichkeit, den Film zu sehen. Der Start von Cloverfield-Filmen erinnerte stets an einen Überfall, das gehört zum Werbeprinzip der Reihe, die über virales Marketing und sparsame Informationen ein Mysterium um sich aufgebaut hat, das im Grunde viel aufregender ist als alles, was in der Handlung passieren kann. The Cloverfield Paradox treibt dies mit seinem Überraschungs-Start im Kontext der riesigen Super Bowl-Publicity-Bühne auf die Spitze. Während des Finales der Football-Meisterschaft wurde der Trailer veröffentlicht, und wenige Stunden später folgte der ganze Film. In drei Stunden wurde der Hype von 0 auf 100 gefahren. Das bringt allerdings nicht nur Vorteile für die Cloverfield-Reihe, die nun in aller Munde ist.

Je weniger Mundpropaganda The Cloverfield Paradox erhält, desto besser

Es gibt verschiedene Gründe, warum die Netflix-Schocktaktik das Beste ist, was The Cloverfield Paradox hätte passieren können. Ganz oben stehen die Finanzen. Hätte Paramount, die offenbar kein Vertrauen in den Film hatten, den Film unter minimalem finanziellen Aufwand in den Kinos abgeladen, wäre er womöglich untergegangen. Nicht zuletzt weil der Film selbst dem üblichen Cloverfield-Hype vielleicht nicht standgehalten hätte. Wir hätten vorher den Trailer gesehen, wir hätten vorher Kritiken gelesen und wir hätten unsere Erwartungen gedämpft. Die Cloverfield-Reihe lebt von ihrem Mysterium, keine Frage, aber auch von guten Kritiken und Mundpropaganda.

The Cloverfield Paradox

Anstatt den Film vorher Kritikern zu zeigen, wie es bei Netflix-Eigenproduktionen üblich ist, und wie es trotz Embargos selbst bei Fifty Shades of Grey 3 - Befreite Lust geschieht, dem negative Kritiker-Reaktionen fast schon vorherbestimmt sind, erhielten Zuschauer und Kritiker gleichzeitig Zugang zum paradoxen Cloverfield-Pre-Sequel. Der Rotten Tomatoes-Wert ist nun im Keller, die Reaktionen bei Twitter gemischt. Befürchtungen von Paramount-Insidern, das Weltraum-Abenteuer ähnele eher einer Syfy-Pilotfolge als einem Kinofilm, bewahrheiten sich in den Augen vieler Kritiker. Gesehen wurde der Film aber, gesprochen wurde über ihn, und Netflix geht, was die Lautstärke der Werbemaschinerie angeht, als einer der Sieger aus dem Super Bowl-Trubel 2018 hervor. Okja und Bright waren die ersten Netflix-Spielfilme, die aus ihrer On-Demand-Dimension in die kulturelle Konversation vordringen konnten, wie es sonst nur Serien à la Stranger Things gelingt, und The Cloverfield Paradox tut ihnen gleich.

The Cloverfield Paradox ist der ideale Netflix-Film

Wir haben in den letzten 24 Stunden also die veritable Rettung eines Films erlebt, der Gefahr lief, im regulären Veröffentlichungszyklus seinen eigenen Hype und damit seine raison d'être zu zerstören. Im Grunde ist The Cloverfield Paradox nämlich wie geschaffen für den Content-Maelstrom, den Netflix seit einiger Zeit am Laufen hält. Er saugt dank seiner Franchise-Anbindung mehr Aufmerksamkeit auf sich als ein Jadotville (wer diesen Film kennt, hebe den im Weltraum herumkrabbelnden rechten Arm). Er wird allerdings schnell aus dem öffentlichen Diskurs verschwinden in die undurchschaubaren Algorithmen persönlicher Empfehlungen, die die grundlegende Netflix-Dementia tarnen. Etwas Besseres kann ihm und seinem Franchise nicht passieren.

The Cloverfield Paradox

Immerhin steht mit Overlord der 4. Cloverfield-Film in den Startlöchern, der dieses Mal während des Zweiten Weltkriegs angesiedelt ist. Bis zum Kinostart im Oktober ist der spaßige, aber auch blasse Event Horizon-Verschnitt namens The Cloverfield Paradox nur noch eine fade Erinnerung eiskalter Händchen und pausbäckiger Monster.

Die Cloverfield-Aura wird zerstört

The Cloverfield Paradox hat trotzdem etwas Filigranes zertrampelt auf seiner Abkürzung in die Streaming-Dimension, namentlich die Cloverfield-Aura selbst. Das fängt beim viralen Marketing an, das diesmal halbherzig umgesetzt wurde. Das Rätselraten vor dem Kinostart gehört schließlich zum Unterhaltungsfaktor der Reihe ebenso dazu wie das danach. Beides wurde durch den neuen Film zusammengestampft. Inhaltlich erweitert The Cloverfield Paradox eine Welt, deren Reiz in ihrer Begrenzung liegt. In Cloverfield von 2008 bleiben wir weitgehend auf dem Wissensstand der Hauptfiguren, bis hin zu Perspektive des Kameramanns. Die Tiefsee-Experimente von Tagruato bildeten damals ein Appetithäppchen, Sättigung wurde nie erreicht, und das war auch nicht gewollt.

10 Cloverfield Lane

Bei 10 Cloverfield Lane wurde die zum Markenzeichen der Reihe gewordene Beschränkung der Perspektive sinnig variiert, diesmal als psychologisches Kammerspiel, sozusagen die Tim Robbins-Sequenzen aus Krieg der Welten als Spielfilm. Einmal mehr wurden klare Antworten darauf verweigert, wie sich der Film zum Vorgänger verhält. Vielmehr erinnerten die beiden Filme in ihren hauchdünnen Verbindungen an Twilight Zone- oder ähnliche Anthologieserien-Episoden. Man wusste, was man bekommt, weil man nicht wusste, was kommt.

Wie viel in The Cloverfield Paradox in dieser Hinsicht schieflaufen wird, zeigt sich, sobald der Film die Raumstation in einer anderen Dimension verlässt, um parallel die Zerstörung auf der Erde zu schildern. Während auf der Cloverfield Würmer den ikonischen Chestburstern nacheifern und die Crew auf eine fremde Erde blickt, versteckt sich der Ehemann der Astronautin mit einem Kind, das niemanden interessiert, in einem Bunker mit Top-Handy-Empfang, wahrscheinlich weil diesem jedwede klaustrophobische Atmosphäre entzogen wurde. Die Erinnerungen an den Horror auf engstem Raum in 10 Cloverfield Lane kommen dem Erd-Handlungsstrang nicht gerade entgegen. Die freiwillig auferlegten Scheuklappen werden abgelegt, der Überraschungseffekt des Endes verpufft, bevor die Zündung erfolgt.

The Cloverfield Paradox

Als wäre dies nicht genug, gibt das Drehbuch sein Äußerstes, um die Geschehnisse in der Cloverfield-Reihe mit Hilfe von Multiversen zu erklären. Natürlich geschieht das nicht mit direktem Verweis auf bisherige Filme. Beim Balanceakt zwischen der Entwicklung der Story (es gibt mehrere Dimensionen!) und des Universums (die Vergangenheit kann geändert werden!) stolpert der Film indes kopfüber in den metaphorischen Schlund seines Monsters.

Zu viel Event des Guten

Wir werden all das in ein paar Monaten vergessen haben. Das bleibt für Overlord zu hoffen, der einiges an Mysterium verlieren könnte, sollten Paralleldimensionen und interdimensionale Kurztrips alle kommenden Cloverfield-Filme erklären. Für einen Retcon des Retcons aus The Cloverfield Paradox, also die rückwirkende Continuity-Änderung, könnte es schon zu spät sein. Selbst wenn die Reihe im vierten Film zu ihren vagen, widersprüchlichen Anfängen zurückkehrt, hätte ihr ein verbuddelter Kinostart von The Cloverfield Paradox womöglich doch besser getan als die ultimative Event-Programmierung zum größten Fernsehereignis in den USA.

Dann gäbe es eben diesen Film und er wäre, wenn nicht am ersten, so doch am zweiten Wochenende eingebrochen und damit hätten alle, besonders die Finanzabteilung von Paramount leben müssen, aber wenigstens weiterleben, überwinden, ersetzen. Statt des Fallenlassens im Kino erlebte der neue Cloverfield den Content-Dump bei Netflix gekoppelt an seinen eigenen kulturellen Moment. Zu verdanken hat er diesen nicht seinen eigenen Qualitäten, sondern der Veröffentlichungsstrategie, die sich gegen diverse ungeschriebene Gesetze der Branche richtet. Ein Moment nur ist es, aber einer, der für diesen Film schon zu lang ausfallen könnte. Da liegt er jetzt ganz oben auf der Original-Halde. Vor aller Augen.

Das könnte dich auch interessieren

Schaue jetzt The Cloverfield Paradox

Kommentare

Aktuelle News