Nicht mehr im Kino, aber da sollte er spielen

16.06.2014 - 00:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Filmanalyse zu Fahrenheit 451
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Filmanalyse zu Fahrenheit 451
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Der Filmanalytiker kramt diesmal einen Klassiker von Truffaut aus der Filmkiste und wünscht ihn sich auf die Leinwand zurück.

Wenn das FIFA-Regime für „Brot und Spiele“, sprich für die Fußball-WM, sorgt, geht das Kino für gewöhnlich in den Sommerschlaf. Lieber schaut man nun den Comicfiguren und Transformers auf dem Rasen zu. Das ist bedauerlich, aber vielleicht nur folgerichtig. Dem Amüsierbetrieb der Kulturindustrie ist jedes Mittel recht, um die Bürger bei Laune zu halten und vom Denken abzuhalten. Welcher Film könnte also aktueller sein als der Science-Fiction-Klassiker Fahrenheit 451 von François Truffaut aus dem Jahre 1966 nach einem Roman von Ray Bradbury. Aktuell deshalb, weil die dystopische Prophezeiung längst Realität geworden ist. Schlimmer noch, die Wirklichkeit hat die Fiktion wieder einmal überboten. Bradbury und Truffaut ahnten noch nichts von der Digitalisierung der Welt, den omnipräsenten Smartphones, den E-Books. Immerhin den Serienhype haben beide schon vorweggenommen. Der große Mime Oskar Werner spielt einen Feuerwehrmann namens Montag, ein ungebildeter Technokrat, der im Auftrag der Regierung mit seinen Kollegen die verbliebenen Bücher verbrennt. Jedes Buch ist gefährlich. Es könnte unglücklich oder melancholisch machen, es könnte Streit oder gar Hass schüren.

Verbrannt wird hier alles – egal ob es von Nietzsche, Nabokov, Hitler oder Dickens ist. Fahrenheit 451 zeigt uns, wie das Medium Buch zerstört wird. Heute braucht man dazu keine Flammenwerfer mehr. Heute zerstört man dieses jahrhundertealte und bewährte Medium mit E-Books und der Ideologie der Digitalisierung (Open Access, Digital Humanities). Doch es geht in Fahrenheit 451 nicht nur um das Buch als Gegenstand. Hinzu kommt die Ideologie der Gleichmacherei, die die Ansprüche und das Niveau der Hochkultur nicht mehr länger dulden will. Schließlich muss man ja die Menschen dort abholen, wo sie stehen, wie demagogische Politiker und Wirtschaftsvertreter gerne behaupten. Weniger Kultur, stattdessen ruft Montags Vorgesetzter den WM-Seligen zu: „Mehr Sport für alle! Jubel, Trubel, Gemeinschaftsgefühl!“ Fahrenheit 451 ist der Film der Stunde.

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