Night on Earth - Mit Jim Jarmusch durch die Nacht

21.06.2016 - 09:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Night on EarthArthaus
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Ich schenke mein heutiges Herz für Klassiker Jim Jarmuschs episodischer Großstadtballade Night on Earth. Niemals waren nächtliche Taxifahrten poetischer und unterhaltsamer: Einsteigen, bitte!

Indie-Ikone Jim Jarmusch lädt uns ein auf eine nächtliche Reise durch fünf verschiedene Weltmetropolen. Sein Episodenfilm Night on Earth aus dem Jahr 1991 stellt Jarmuschs erste internationale Koproduktion dar und spielt sich auf zwei Kontinenten innerhalb einer Nacht ab. In melancholischen Bildern lassen wir uns mit fünf Taxifahrern und ihren Fahrgästen durch die Nacht treiben und lernen Los Angeles, New York City, Paris, Rom und Helsinki aus der Perspektive der emsigen Chauffeure kennen. Mal skurril und höchst amüsant, mal nachdenklich und schwermütig kommen diese fünf Star-gepickten Episoden daher. Jim Jarmusch beweist mit Night on Earth, dass er einer der originellsten Filmemacher seiner Generation ist und zeigt sich gleichzeitig als einfühlsamer Geschichtenerzähler, der aus alltäglichen Begegnungen, Zufällen und Schicksalsschlägen wunderbar ehrliche und beseelte Momentaufnahmen zaubert. Dazu begleiten uns die elegischen Gitarrenklänge seines guten Freundes Tom Waits durch die Nacht.

Warum ich Night on Earth mein Herz schenke

Selten gelingt es einem Film so gut, die Poesie banaler Augenblicke und alltäglicher Begegnungen so schön einzufangen wie Night on Earth. Das mag auch dem Melancholie-Faktor nächtlicher Taxifahrten zu verdanken sein. In Jim Jarmuschs fünf Großstadt-Episoden kommt es in den kultigen gelben Autos immer wieder zu schicksalshaften Aufeinandertreffen, die das Leben der Taxifahrer und ihrer Fahrgäste nachhaltig prägen und verändern. Im Taxi-Innenraum entfaltet sich ein lebendiger Mikrokosmos, der das Leben selbst in seinen unzähligen Facetten widerspiegelt. Und gleichzeitig strömt dabei um uns herum das pulsierende Leben nächtlicher Großstädte dahin. Jim Jarmusch hat mit Night on Earth eine Vielzahl an herzerwärmenden, höchst amüsanten und bedeutungsvollen Momentaufnahmen geschaffen, die uns bewusst machen, wie klein wir doch sind und wie groß und schicksalhaft das Leben über uns allen thront und wacht. Und dabei bleibt der Spaß nie auf der Strecke, denn Freude, Liebe und Freundschaft sind es, die unser Leben so lebenswert machen!

Night on Earth

Warum auch andere Night on Earth lieben werden

Langsam geht die Sonne unter im sommerlichen Los Angeles. Hier werden wir in dieser Nacht zum ersten Mal Zeuge, wie zwei Lebenswelten während einer Taxifahrt aufeinanderprallen. Die junge, selbstbewusste Taxifahrerin Corky (Winona Ryder) chauffiert die erfolgreiche Filmagentin Victoria (Gena Rowlands) durch die nächtlichen Straßen von Los Angeles. Beide Frauen sind auf ihre Art stark und unabhängig, haben eine ganz bestimmte Vorstellung vom Leben und vom Glück. Schnell kommt die lässig Kaugummi kauende und kettenrauchende Corky mit der feinen Dame Victoria ins Gespräch. Und es zeigt sich, dass die beiden vielleicht doch viel mehr gemeinsam haben als anfangs gedacht. Aber am Ende trennen sich ihre Wege genau so schnell und unverbindlich, wie sie sich gekreuzt haben. Und Victoria lächelt der kleinen, zielstrebigen und ölverschmierten Taxifahrerin mit ihren ach so bodenständigen Träumen und Zielen selig hinterher. Immer wieder aufs Neue wird das Taxi in Night on Earth zum Ort der Begegnung, wo unterschiedlichste Lebensentwürfe kurzzeitig aufeinandertreffen. In dialoglastigen Episoden lernen wir sehr verschiedene Menschen kennen, die sich gegenseitig wichtige Lektionen erteilen. Und dabei hat Jim Jarmusch stets in der jeweiligen Landessprache seiner Protagonisten gedreht und die einzelnen Episoden im Nachhinein nicht nachsynchronisieren lassen, um die landesspezifische Atmosphäre auch sprachlich exakt wiedergeben zu können.

Night on Earth

Warum Night on Earth die Jahrzehnte überdauern wird

Bei all der filmischen Alltagspoesie fehlt es Jim Jarmuschs Night on Earth auch wahrlich nicht an Witz und Situationskomik. Bis heute natürlich unvergessen: Armin Mueller-Stahl als ehemaliger DDR-Bürger Helmut im nächtlichen New York. Unbeholfen versucht sich der gelernte Zirkusclown nach der Wende als Taxifahrer im bitterkalten Big Apple und stößt dabei schon bald an seine Grenzen, da er mit dem Automatikgetriebe seines Wagens einfach nicht zurechtkommt. Doch er hat Glück, denn prompt erbarmt sich Yoyo (Giancarlo Esposito), den sonst einfach niemand nach "Brookland" fahren will. Der gereizte Amerikaner übernimmt gar das Steuer und erteilt dem überforderten "Helmet" eine aberwitzige Fahrstunde. Gemeinsam braust das ungleiche Duo durch die New Yorker Nacht. Und auch in Rom geht es durchaus heiter zu, wenngleich das Szenario mit einem gut aufgelegten Roberto Benigni, der als redseliger Taxifahrer geschwind durch die engen Gassen der heiligen Stadt jagt, äußerst delikate, tödliche Folgen hat. Lege niemals deine Beichte im nächtlichen Taxi ab, zumindest nicht, wenn sie mit Kürbissen, Schafen und Schwägerinnen zu tun hat!

Night on Earth

So viel sei gesagt: Mit Night on Earth von Jim Jarmusch auf nächtliche Entdeckungstour zu gehen, ist immer eine Taxifahrt wert. Der facettenreiche Episodenfilm ist bis heute stilprägend, auch weil die poetische Strahlkraft seiner "banalen" Augenblicke stark an spätere Richard Linklater-Filme erinnert. Der texanische Filmemacher steckte damals übrigens mitten in der Arbeit an seinem Debütfilm Rumtreiber - ebenfalls ein Episodenfilm, der mit einem durchaus ähnlichen Erzählkonzept aufwartet. Und insbesondere Linklaters spätere Romanze Before Sunrise (1995) hat sich narrativ augenscheinlich von Night on Earth inspirieren lassen.

Habt ihr auch ein Herz für Jim Jarmuschs Night on Earth?

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