Kurz
und bündig ausgedrückt: Sie kann. Zumindest für diejenigen Fans, die bereit sind, ein halbes Auge zuzudrücken. Das Fiasko des Auftakts zu Staffel 4 von Sherlock wieder halbwegs auszubügeln. Das ist kein leichtes Unterfangen, doch
irgendwie ist es Steven Moffat und Mark Gatiss gelungen und zwar mit der Hilfe
von viel britischem Humor, einem Kampf der Titanen und der einzigen Person der
Serie, die wirklich alles richten kann.
Wir beginnen die zweite Folge der 4. Staffel mit dem
sehr bezeichnenden Namen The Lying Detective (Der lügende Detektiv) genau so,
wie für uns auch der Serienpilot begann: Mit einem zerrütteten John Watson (Martin Freeman) im
Sessel seiner Therapeutin. Er und auch Sherlock (Benedict Cumberbatch)stehen vor den Bruchstücken
ihres Lebens. Sie beide gehen damit ihrer Natur entsprechend ganz verschieden
um. John sitzt in der Therapie, Sherlock verbarrikadiert in seiner Wohnung und
konsumiert fragwürdige Substanzen. Er ist selbst für seine Verhältnisse in miserablem Zustand. Zur Ablenkung stürzt sich der Detektiv wirr
faselnd in den Fall einer verzweifelten jungen Dame. Die setzt ihn auf die Spur
ihres eigenen Vaters: Culverton Smith, gemimt vom endlich erscheinenden Toby Jones. Der will angeblich jemanden töten. Sie weiß nur nicht, wen.
So
gibt es endlich einen neuen Fall, einen richtigen dieses Mal. Die Struktur einer
gut gebauten Sherlock-Folge beginnt, sich vor dem Auge des Zuschauers
abzuzeichnen. Einen Haken gibt es jedoch: Durch Sherlocks seelisch und
psychisch völlig verwirrten Zustand müssen wir stets alles, was er deduziert,
kombiniert oder fragt, anzweifeln. Selbst in Schnitt und Effekten spiegelt sich
der verdrogte, angeknackste Sherlock wieder. Am erwähnenswertesten sind die
Informationen, die Sherlocks Geist sonst in festen Computerlettern neben
Verdächtige, Opfer oder Indizien druckt: Diese bestehen inzwischen nur noch aus
Kreidestrichen auf einer geistigen Tafel, die Sherlock immer wieder fortwischt.
Er ist von sich selbst verärgert und überfordert.
Umso gefährlicher ist sein Widersacher. Wenn
Fans auf einen neuen Moriarty gehofft hatten, werden sie enttäuscht. Culverton
Smith ist nicht als großer, allumfassender Widersacher angedacht. Das ist gut
so, denn ansonsten wäre er mit der Mastermind-Imitation vermutlich ebenso
haarscharf am Ziel vorbeigeschlittert wie Bösewicht Magnussen aus der 3. Staffel.
Nein, Smith ist ein Mann für eine Folge. Ein genialer. Mit dem Lachen eines
Bond-Bösewichts und den schiefen Zähnen eines Lord Blackwood aus Guy Ritchies Sherlock Holmes stellt er sich ins hellste Rampenlicht. Er hat wie Moriarty ein
Faible für eine gute Show, doch er beobachtet nicht vom Spielfeldrand aus. Er
ist der Starspieler. Ein superreicher Philanthrop, der der Gesellschaft augenscheinlich
nur Gutes tut. Sherlock ahnt als einziger, dass hinter dem breiten Grinsen Smiths
ein Monster lauert. Smith ist im Vorteil: Er fühlt sich auf offener Bühne wohl
und weiß Sherlocks desorientierten Zustand für sich zu nutzen. Er verdreht
seinen Gegnern nicht nur das Wort im Munde, sondern auch die Gedanken im Kopf.
Ein
Glück, dass Sherlock endlich wieder Verstärkung hat. Denn The Lying Detective ist nicht
die Folge des Sherlock Holmes oder Culverton Smith. Es ist die Folge der Mrs.
Hudson (und damit die der Una Stubbs). Das Chaos, das The Six Thatchers
angerichtet hat, konnte wirklich nur von der liebenswerten, bissigen und wild
entschlossenen Landlady der Baker Street aufgeräumt werden. Während Sherlock
und John einander aus dem Weg gehen, rammt sie (fast buchstäblich) die Köpfe
der beiden zusammen und tritt vehement für ihrer aller Seelenheil ein. Mit Fast and the Furious-verdächtigem Fahrstil, kriminellem Genie und ihrem unendlich
großen Herzen beweist Mrs. Hudson, dass die Welt ohne sie vermutlich morgen
untergehen würde. Gemeinsam mit ihr, John und einem tatsächlich hilfreichen
Mycroft schafft es Sherlock zurück zu alten Geistesblitzen.
The
Lying Detective besinnt sich auf die Stärken Sherlocks. Auf den
überlegenden Geist, einen ebenso verzwickten wie packenden Fall und das
Zusammenspiel aller Pappenheimer der 221 B Baker Street. Zwar werden auch hier viele menschliche
Probleme Sherlocks und Johns problematisiert. Doch dies erfolgt in genau
richtig dosiertem Maße, unterstützt von dem Humor, an dem es in der letzten
Folge allzu schmerzlich mangelte. Kaum zu glauben, dass das Trinken aus
Blumenvasen, ein schneller Sportwagen und etwas Kochsalzlösung reichen würden,
um dieses Versäumnis aufzuwiegen. Sherlock hat noch längst nicht zu dem
zurückgefunden, was die Serie einmal konnte. Die Autoren scheinen aber ihre Orientierung wiedergefunden zu haben. Die zuvor geschlagenen Wunden werden zumindest mit Heftpflastern versehen.
Erschien das Warten auf die nächste Folge letzten Sonntag noch als wenig spannende Tätigkeit, erscheint die Zeit bis zur finalen, unbetitelten Folge nun tatsächlich viel zu lang. The game is on und wir warten gespannt darauf, dass sich die neuen Puzzleteile mit den alten zu einem großartigen Gesamtbild zusammenfügen. Eines hat sich bei all der Reorientierung nicht geändert: der Schluss der Folge. Wie The Six Thatchers endet The Lying Detective mit einem Schuss. Einem Schuss, dem ein erstauntes Nach-Luft-Schnappen und der erste Schritt in Richtung der großen zwei Worte der vierten Staffel vorangingen. „Miss me?“
Hat euch The Lying Detective auch Lust auf das Finale gemacht?