Zuletzt hatten wir einen lügenden Detektiv. Im Finale der
4. Staffel Sherlock, The Final Problem (DT: Das letzte Problem), haben wir einen kämpfenden Detektiv. Denn
das allerletzte Problem, der große, ungelöste Fall des Sherlock Holmes,
erwartet uns. Im Vorfeld zur 4. Staffel wurde viel gemunkelt, ob eventuell
der dritte Holmes-Bruder enthüllt werden könne. Im Cliffhanger der letzten
Folge entpuppte sich dieser Bruder in einem geschickten Drehbuch-Schachzug dann
als die verlorene Holmes-Schwester. Sie ist das letzte Rätsel, der
große Gegner im Schatten. Doch ehe Sherlock (Benedict Cumberbatch) an sie herankommen kann, tut sie,
was jeder Holmes-Gegner früher oder später tut: Sie fordert ihn zum Spiel
heraus.
Eurus
Holmes (Sian Brooke) ist aus gutem Grund „verloren“. Als Genie, das jedem Vergleich trotzt,
ist sie leider auch die absolute, vollkommene Soziopathin. Das erfahren wir von
Mycroft (Mark Gatiss) in einer ebenso aufgebrachten wie erschütternden Aussprache. Die nur
als gestört zu bezeichnende Eurus wurde schon als Kind weggesperrt, auf
Sherrinford, einer Insel in der irischen See. Ihr Talent, Menschen praktisch „umzuprogrammieren“,
macht sie zum gefährlichsten Insassen dort. Natürlich treten wir gemeinsam mit
Sherlock die Reise in dieses Askaban der Sherlock-Welt an. Schließlich hat
Eurus in den letzten Folgen eindrucksvoll bewiesen, wie wenig weggesperrt sie
tatsächlich ist.
Sherlocks erste Begegnung mit seiner Schwester erinnert
stark an unser erstes Zusammentreffen mit Dr. Hannibal Lecter. Hinter Glas und
mit dem unguten Gefühl, von vorne bis hinten manipuliert zu werden, erwarten
wir ihre ersten Worte. Kein Wunder also, dass sich der Gefängnisbesuch, schneller
als uns oder Sherlock lieb ist, zu einer Falle entwickelt. Einer Mausefalle, um
genau zu sein, denn John (Martin Freeman), Mycroft und Sherlock sind Eurus‘ neue Laborratten. Offenbar
rein zur Befriedigung ihrer verdrehten Neugier an den menschlichen Emotionen
und Gehirnen lässt sie die drei Rätsel lösen. Zu Hannibal Lecters
Charakterzügen gesellt sich ein Anflug von Jigsaw. Die Aufgaben für die drei
verdienen als Prädikat nämlich kein geringeres als „pervers“.
Kurze geistige Auszeit. Denkwürdig mit Queen (Bitte Video aktivieren) untermalt
erscheint uns endlich der Mann, auf den wir seit dem Ende der dritten Staffel
gewartet haben: Jim Moriarty (alias der unvergleichliche Andrew Scott). In (leider nur) einer Rückblende wird uns endlich
der Ursprung seiner letzten Botschaft an Sherlock aufgedeckt. Wie nach diesem
Folgenstart zu vermuten, ist sie lediglich eine Art Programmuntermalung für
Eurus‘ Spiel. Die beiden durften einander in der Vergangenheit kennenlernen. Showrunner Steven Moffat und Mark Gatiss hätten Moriarty zur Marionette von Eurus Holmes machen
können, aber sie konnten sich glücklicherweise beherrschen. Er bleibt selbständig,
Eurus ist lediglich eine verwandte Seele für ihn. Trotz der Erleichterung über diesen Umstand
schmälert sein immer wieder eingeblendetes Grinsen ein wenig die Begeisterung
für den Napoleon des Verbrechens. Fast verkommt er zum Pausenclown.
Mit Moriarty als Countdown-Ticker zurück zum Geschehen: Ein
menschenverachtendes Spiel nach dem anderen arbeiten sich Sherlock und sein
Team voran. Eurus Holmes etabliert sich Stück für Stück zur Horrorgestalt. Wie
Sherlock bekommt der Zuschauer das Gefühl, sich frustrierend schleppend auf
kein erkennbares Ziel zuzubewegen. Hoffentlich mussten die Zuschauer über ihrer
ungewohnten Hilflosigkeit nicht so sehr aus der Haut fahren wie der
verzweifelte Sherlock, sonst dürften gestern Abend einige Wohnzimmertische zu
Kleinholz verarbeitet worden sein. Wer durchhält bis zum Schluss, wird
schließlich belohnt.
Letztendlich kann es natürlich nur einen großen Holmes-Geist
geben, und das ist der Sherlocks. Das letzte Problem wird mit rührenden und
auch grausigen Enthüllungen gelöst und wir sitzen vollkommen überwältigt auf
dem Sofa. The Final Problem ist strapaziös. Wer sich an The Great Game
erinnert, unser erstes Staffelfinale mit Sherlock, wird das wiederverwertete
Erzählprinzip schnell erkannt haben. Zu etwas Eigenem wird die Folge nicht
durch die Struktur. Viel eher durch ihre Superlative, denn Eurus ist zwar
mächtig wie Moriarty, doch irgendwie erscheint sie dreimal so grausam. Als
Familienangelegenheit wird ihr Spiel so perfide, dass es einem die Tränen in
die Augen treibt. Wie bei einem Staffelfinale üblich leiden, hoffen und zittern
wir in höchstem Maße.
Ganz blenden kann The Final Problem trotz allem Nervenkitzel
aber nicht. Das Spiel wird rund beendet. Die Folge enthält die wohl
menschlichsten und intensivsten Momente Sherlocks seit Langem. Und trotzdem
wird offenbar, dass Moffat und Gatiss langsam ihre Kapazitätsgrenze erreicht
haben. Dass The Final Problem so sehr an The Great Game erinnert, ist Zeugnis
dafür. Eine Flucht in „krasser, gemeiner, rasanter“ kann über die kreative
Erschöpfung nach so viel hochgehaltener Qualität nicht hinwegtäuschen und
einen Moriarty schlagen, kann das Finale nicht. Muss es auch nicht. The
Final Problem ist so schöngeschliffen, so perfekt sättigend, dass es auch The
Final Final heißen könnte. Die Folge wäre als Serienfinale ein wundervoll
formuliertes Schlusswort. Wie die zwei Köpfe hinter Sherlock andeuteten, könnte
es ab hier statt in Staffeln in gelegentlichen Einzelepisoden weitergehen. Wer nach wie vor Sherlock-typische Genialität
wünscht, dürfte dieser Lösung sehr zugetan sein.
Eines steht jedenfalls fest: In der 221B Baker Street warten
zwei Männer, die jedes Rätsel lösen können. Und wenn wir sie brauchen, werden
sie da sein.
Wie hat euch das Sherlock-Staffelfinale The Final Problem gefallen?