Tatort: Der Inder - Famose Abrechnung mit Stuttgart 21

21.06.2015 - 21:30 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Tatort: Der Inder
ARD/SWR
Tatort: Der Inder
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Im "Drecksloch" Stuttgart stürzt sich der fabelhafte Tatort: Der Inder in ein Netz aus Korruption und Großmannssucht: Stuttgart 21.

Der weitgehend grandiose Politthriller Tatort: Der Inder von Niki Stein beginnt bei Henrik Ibsen und endet bei Quentin Tarantino. Wer also eine nüchterne Krimi-Lehrstunde über das Milliardengrab Stuttgart 21 erwartet, wird sowohl bedient als auch enttäuscht. Mit einem erstklassigen Ensemble rund um Thomas Thieme entwirft Regisseur und Autor Stein eine fiktive Abrechnung mit großmannssüchtigen Politikern und gierigen Spekulanten, die auf ihrem Weg in die Geschichtsbücher die halbe Stadt in eine Bauruine verwandelt haben. So zumindest die These dieses Stuttgarter Tatorts, der sich wie kaum einer zuvor dem schwäbischen Metropölchen widmet. Dabei beschränken sich die sonst eher privatlebenlastigen Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) angenehm auf ihre Ermittleraufgaben, bieten doch Pathologen, Architekten und Politiker genug Abwechslung im charakterlichen Kuriositätenkabinett.

Tatort: Der Inder

Bevor der Krimi 30 Stunden in die Vergangenheit springt, wird Thomas Thieme als Architekt Busso von Mayer (Was für ein Name!) in rotes Licht getränkt. Wie am Bühnenrand, dem Zuschauer zugewandt, steht er da im Besuchsraum der JVA Stammheim. Ein kleiner Baumeister Solness, der seine Karriere nicht durch den Brand im Elternhaus vorantreiben konnte, sondern ein gigantisches Bauprojekt auserwählte, über dessen Nutzen für die Einwohner von Stuttgart bis heute diskutiert wird. Was in Tatort: Der Inder folgt, ist nun kein theatralisches Kammerspiel. Stattdessen eröffnet Steins Drehbuch gleich mehrere Zeitebenen, deren Übergänge virtuos in Szene gesetzt werden. Action-Kameras zwingen den Zuschauer an einer Stelle in die Perspektive eines soeben Erschossenen, während an anderer Dokumentaraufnahmen aktuelle Ausschreitungen vor der Bahnhofsbaustelle vorspielen sollen. Bemühungen um Authentizität im Entwurf fiktiver Untersuchungsausschüsse wechseln sich mit überzeichneten Genre-Momenten ab, was uns wieder zum Anfang führt.

Thiemes im offenen Vollzug befindlicher Architekt von Mayer scheint direkt einem von Ibsens psychologischen Dramen entflohen und förmlich von der Bühne in die reale Welt gesprungen zu sein. Ebenso der Ex-Ministerpräsident Heinerle (Ulrich Gebauer), der manchen an einen gewissen Stefan Mappus erinnern kann (und soll). Beide wünschten sich für ihre Namen die Ewigkeit und das bizarrerweise in Schwaben. Also heißt es, den Markusplatz von Stuttgart zu errichten, koste es, was es wolle. Wie Stein die klassischen Tatort-Ermittlungen nicht in endlosen Erklärszenen auffädelt, sondern - geradezu als filmisches Ausrufezeichen - lieber zu interessanteren Schauplätzen wechselt (ein verletzter Auftragskiller treibt sich schließlich auch herum), erfreut das sonntagskrimi-geprüfte Herz, gerade auch weil diese Schnitte im Buch dezent angeboten werden. Das lädt mehr zur zweiten Sichtung ein, als dass es fundamental verwirrt und damit abstößt.

Abseits dieser formalen Raffinessen besticht Tatort: Der Inder in erster Linie durch das Prisma seines Titels. Der Inder, ein Hochstapler allererster Güte, hält sich bescheiden raus aus diesem Krimi. Man möchte meinen, er stellt sich gerade irgendwo auf der Welt anderen Einflussträgern vor, deren Ego weit über die Grenzen ihrer Stadt oder ihres Ländles reicht. Manche durchschauen ihn und wittern eine Chance, aus Verlusten massive Gewinne zu schöpfen. Viel interessanter, auch in diesem Tatort, bleiben jene, die dem falschen Propheten wider besseren Wissens nachjagen. Die Ewigkeit ist dann doch zu verführerisch.

Mord des Sonntags: Eigentlich ist es Notwehr, aber die Entsorgung im Koffer ist schwer zu toppen.

Zitat des Sonntags: "Wenn, dann richtig. So ist der Schwabe."

Was sagt ihr zum Stuttgart 21-Tatort von Niki Stein?

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