Tatort: Schutzlos - Flüchtlingskrimi zum Mitschreiben

05.07.2015 - 20:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Tatort: Schutzlos
SRF/ARD
Tatort: Schutzlos
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Es gibt viel zu lernen über die prekäre Lage von Asylsuchenden im neuen Schweizer Tatort Schutzlos. Aber mehr auch nicht.

Zum Abschluss der Tatort-Saison wird es relevant. Nein, es geht in Tatort: Schutzlos nicht um Greferendum und Grexit, wenn auch ein Griechenland-Tatort™ in den kommenden Jahren wohl unvermeidlich sein wird. Stattdessen widmen sich die Luzerner Kommissare Flückiger (Stefan Gubser) und Ritschard (Delia Mayer) dem anderen großen Thema spätabendlicher Gruppentherapie der Öffentlich-Rechtlichen. Der Mord an einem nigerianischen Asylsuchenden zeigt den beiden Polizisten in diesem pessimistischen Krimi die ganze Unmenschlichkeit des Schweizer Asylrechts auf, dessen Verschärfung im Sommer 2013 per Volksabstimmung bestätigt wurde. Dabei bietet Schutzlos alles auf, was das Tatort-Arsenal für sozialkritische Fälle hergibt: ein düsteres Farbschema, ein kräftiger Infodump und ein Held mit halluzinatorischen Migräne-Erleuchtungen.

Tatort: Schutzlos

Der junge Nigerianer Ebi (Charles Mnene) wird erstochen aufgefunden und als erstes lernen wir, was ein UMA ist. Als unbegleiteter minderjähriger Asylsuchender war er in die Schweiz gekommen und bei örtlichen Drogendealern gelandet. Flückiger und Ritschard drängen auf Aufklärung, während ihr Chef den Ermittlungsaufwand so gering wie möglich halten will. Auf der Suche nach Ebis Mörder folgen die beiden der Kette von Profiteuren dieser Politik der Kriminalisierung: vom Junkie auf der Straße, der seinen Stoff bei dealenden Einwanderern kauft, bis zum nigerianischen Drogenboss, der die Verschuldung der Flüchtlinge für sich ausnutzt. Wir treffen Bürokraten, die geflissentlich Paragrafen zitieren und ausrufen: "Ich bin ein Bürokrat!" Und wir hören von den fatalen Umweltschäden, die das schwarze Gold in Nigeria hinterlassen hat , bevor uns eine Dokumentation zum Thema gezeigt wird. Wir alle wissen: Wiederholung ist die Mutter des Lernens.

Im Kern dieses Krimis steckt eine bewegende Geschichte über drei junge Menschen, die nur einander haben, was zu ihrem Verhängnis wird. Doch mit Menschen will sich das Buch von Josy Meier nicht wirklich beschäftigen. Typen sind ihr Anliegen. Typen wie der Bürokrat, der sich Bürokrat nennt (wie war das mit der Wiederholung?), der herzlose Polizeichef, der als herzloser Polizeichef zu handeln hat, egal wie gezwungen und eindimensional es auch wirken mag; das in die Zwangsprostitution entführte Flüchtlings-Mädchen, der Junge, der mit Drogen dealt, weil für ihn im Asylrecht keine legale Arbeit vorgesehen ist. Einmal abgesehen von der verqueren Logik eines Tatorts, der die Kriminalisierung von Flüchtlingen kritisiert, in dem er diese in knapp 90 Minuten durchweg kriminalisiert, ergeht es dem Buch letztlich wie so manchem Bürokraten. Was als nüchterne Aufarbeitung eines Missstands beginnt, verwandelt sich in Tatort: Schutzlos schnell in charakterliches Schubladendenken, denn der Krimi ist in erster Linie ein Ausdruck der Überforderung. Stichpunktartig werden möglichst alle Aspekte der Flüchtlingsthematik abgearbeitet und da sind Typen, die solche Aspekte (oder zwei oder drei) zu verkörpern haben, eben effizient. Stempel drauf und gut ist. Wer sich schon immer gefragt hat, warum David Simon Corners, Hafen und Schulen in The Wire jeweils über zehn Stunden Serienzeit gewidmet hat, braucht sich nur diesen Tatort anscheuen. Dass einen die ganze Sache nicht vollends kalt lässt, ist denn auch weniger der epiphanischen Migräne des Reto Flückiger zu verdanken, als den Schauspielern wie Marie-Helene Boyd (Jola) und Rauand Taleb (Navid). Die lassen zumindest erahnen, dass da unter dem filmischen Papierkram noch ein Herz pocht.

Mord des Sonntags: Ein tödliches Missverständnis.

Zitat des Sonntags: "Please don't smile."

Hat euch der Tatort über Flüchtlinge in der Schweiz überzeugt?

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