Terry Gilliams Don Quixote in Cannes: Von der Zeit überholt

19.05.2018 - 10:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
The Man Who Killed Don Quixote: Adam Driver und Terry Gilliam
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The Man Who Killed Don Quixote: Adam Driver und Terry Gilliam
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Nach 25 Jahren hat Terry Gilliam endlich The Man Who Killed Don Quixote fertiggestellt, mit Adam Driver in der Hauptrolle. Beim Festival Cannes erntete der Film teils vernichtende Kritiken.

Die Nachricht über den "leichten Schlaganfall" wenige Tage vor der Premiere beim Festival Cannes sei falsch gewesen, hat Terry Gilliam mittlerweile erklärt. Dabei wirkte sie wie das grausame Tüpfelchen auf dem i einer 25 Jahre dauernden künstlerischen Leidensgeschichte. Als am Freitag die erste Pressevorführung von The Man Who Killed Don Quixote anstand, jenem Projekt, das von Geldproblemen, Rechtsstreiten, erkrankten Hauptdarstellern und der Gewalt der Natur wiederholt gestoppt wurde, war ich auf alles vorbereitet - selbst einen göttlichen Zeichentrickfuß, der die DCP zermalmt, sobald das Licht ausgeht. Terry Gilliam aber hat sein Werk doch noch vollendet. Es wurde der Presse gezeigt und wird als Abschlussfilm heute einen Endpunkt hinter das Festival von Cannes 2018 setzen. Dabei wirkt The Man Who Killed Don Quixote keineswegs wie das Opus magnum eines Regisseurs, also das Werk, das auch den letzten Tropfen Blut, Schweiß, Tränen und Kreativität eines Künstlers aufsaugt, das die Essenz dessen festhält, was seinen oder ihren Schaffensdrang ausmacht. Negativ fallen einige Kritiken aus. Der Hollywood Reporter  kann sich nicht einmal vorstellen, wie das anvisierte Publikum für diesen Film aussehen soll, während Variety  ihn als "lautes, aggressives, kaum verständliches Durcheinander" beschreibt. Mit anderen Worten: The Man Who Killed Don Quixote ist ein Terry Gilliam-Film.

25 Jahre in Arbeit: The Man Who Killed Don Quixote

Amazon Studios soll angeblich von seinem Verleih-Deal in den USA zurückgetreten sein, wie der THR nebenbei bemerkt. Vielleicht sollte Gilliam noch einen ironischen Zusatz darüber in seinen Vorspann schreiben, der bereits auf den laufenden Rechtsstreit mit dem portugiesischen Produzenten Paulo Branco verweist und in dem Fazit gipfelt: "And now… after more than 25 years in the making… and unmaking... A Terry Gilliam Film." Applaus gab es dafür in der Pressevorführung, deren Zuschauer an der Ziellinie auf einen Marathon-Läufer warteten. Zunächst einmal, ob laut, aggressiv oder ein Durcheinander, verdient Terry Gilliam Respekt für sein Durchhaltevermögen.
Adam Driver und Jonathan Pryce in The Man Who Killed Don Quixote

Das Filmgeschäft lebt auf einem Friedhof nie vollendeter Projekte, Projekte, die über Idee oder Drehbuch nicht hinausgekommen sind, deren Finanzierung kurz vor Drehstart in sich zusammengefallen ist, Projekte, die von den Naturgewalten in die Knie gezwungen wurden oder der Flucht des Personals zu neuen Ufern. Niemand hätte es Terry Gilliam übel genommen, hätte er seinen Don Quixote in den 90ern mangels Finanzierung aufgeben oder 2000, als der Dreh abgebrochen werden musste, oder 2015 nach der Krebserkrankung von John Hurt. Spätestens mit der Veröffentlichung der dokumentarischen Chronik Lost in La Mancha war der Kampf Terry Gilliams für seinen Don Quixote-Film ein größeres Abenteuer, als es der Film-Quixote und sein Sancho Panza je bestreiten konnten. Gilliam hatte durch Selbst- und Fremdeinwirkung seine späte Karriere einer Erzählung unterworfen, die ihn mit dem spanischen Adligen und dessen Kampf gegen Windmühlen gleichsetzte. Nun musste er diese Geschichte auch zu Ende erzählen.

Trumpige Seitenhiebe sollen The Man Who Killed Don Quixote modernisieren

Insofern war eine Enttäuschung, wenn nicht vorprogrammiert, so doch der mathematisch wahrscheinlichste Ausgang. The Man Who Killed Don Quixote ist schließlich nur ein Film, noch dazu gedreht von einem Regisseur, der seinen kreativen Zenit vor 20 Jahren erreicht hat. Das Drehbuch von Gilliam und Tony Grisoni (Fear and Loathing in Las Vegas) wurde notdürftig modernisiert. Auf Seitenhiebe gegen Donald Trump und russische Oligarchen darf sich der geneigte Zuschauer "freuen". Im Kern geht es immer noch um einen Werberegisseur (Adam Driver), der an den Schauplatz seiner früheren kreativen Träume zurückkehrt. In Spanien dreht er einen Werbespot und stolpert über das Dorf, in dem er vor 10 Jahren einen Studentenfilm über Don Quixote inszeniert hatte. Der Schuster (Jonathan Pryce), der damals die Hauptrolle gespielt hatte, hält sich nun selbst für den verrückten Edelmann und den Amerikaner Toby für seinen Sancho Panza. Über die Umwege der Imagination und eines gewohnt chaotischen Plots treffen sie auf Angelica (Joana Ribeiro), die als Teenie das personifizierte weibliche Ideal Dulcinea gespielt hatte und nun dem "bösen Russen" (Jordi Mollà (!)) eine Art Haussklavin ist. Sie ist die geborene Jungfrau, die Toby aus ihren Nöten befreien muss. Obwohl The Man Who Killed Don Quixote als Meta-Film über den künstlerischen Prozess und seine Korrumpierung angelegt ist, lässt er sich nämlich nicht so weit auf das Meta-Spiel ein, um diese Art Frauenfigur zu hinterfragen.

The Man Who Killed Don Quixote

Wo man nach Jahrzehnten der Arbeit eine Durchdringung der Geschichte erwartet, eine persönliche Aneignung des Don Quixote-Mythos oder auch nur seine Dekonstruktion, hat sich The Man Who Killed Don Quixote in Wirklichkeit wohl nur versteinert. So wirkt der Film zwar nach außen turbulent und dynamisch, aber in seinem Innern wie ein Fossil, dessen Essenz irgendwann in den 90er Jahren mineralisiert wurde. Freigelegt und poliert wurde es, hier und da ein paar Drähte gewickelt, um die Knochen beieinander zu halten und daneben steht eine Illustration, damit wir uns vorstellen können, wie der Film hätte aussehen können. Ein Überrest aus einer anderen Zeit bleibt er dennoch, besonders wegen der offensichtlichen politischen Spitzen, die den Film in vier Jahren (hoffentlich) schon wieder veraltet wirken lassen.

Laut und aggressiv und durcheinander ist The Man Who Killed Don Quixote, er vergräbt die bewegenden Aspekte von Jonathan Pryces Darstellung in der Hysterie, während sich Adam Driver abmüht, uns durch das Labyrinth der müde gewordenen Vorstellung von Terry Gilliam an die frische Luft zu führen. Mit ihm stolpern wir in das Finale, das im Convento de Cristo im portugiesischen Tomar gedreht wurde. Im 12. Jahrhundert von den Templern erbaut, wurde die Festung über die Jahrhunderte erweitert. So gut wie jeder Kreuzgang ist in einem anderen Baustil gehalten. Romanische Elemente gehen in dem Bau in gotische über und in manuelinische, Renaissance koexistiert neben Barock. Die vergehende Zeit wird zum architektonischen Element, das das Gebäude zu dem macht, was es ist. Eine unwissentliche Herangehensweise, von der The Man Who Killed Don Quixote profitiert hätte. Stattdessen hat Terry Gilliam einen Film gedreht, der versucht, sich an die Gegenwart anzukoppeln, aber von ihr längst überholt wurde. Wie wohl auch sein Schöpfer.

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