Thomas Balmès über seine kleinen Hauptdarsteller in Babys

19.08.2010 - 08:50 Uhr
Bayar aus der Mongolei ist einer der Stars in Babys
Kinowelt
Bayar aus der Mongolei ist einer der Stars in Babys
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Ponijao, Bayar, Mari und Hattie sind die Namen der vier Hauptdarsteller in Babys, dem neuen Film von Thomas Balmès. Diesem gelang es, mit viel Geduld und einem Blick für das Besondere, einen Dokumentarfilm über vier Neugeborene zu machen, die alle in völlig unterschiedlichen Umgebungen aufwachsen.

Ob Japan, Namibia, die Mongolei oder die Vereinigten Staaten – Thomas Balmès bereiste alle vier Länder, um das Wunder des menschlichen Lebens unter seinen vielen verschiedenen Bedingungen mit der Kamera festzuhalten. Herauskam ein wunderbarer Dokumentarfilm über kleine Geschöpfe, die mit der Zeit immer mehr zu richtigen Individuen heranwachsen. Im Interview erzählt Regisseur Thomas Balmès seine Eindrücke zum Dreh von Babys.

Wie und wann entstand die Idee zu Babys?
Thomas Balmès: 2005 erhielt ich einen Anruf von Alain Chabat. Der trug sich seit ungefähr zehn Jahren mit dem Gedanken, einen Film über Babys zu drehen. Nun suchte er nach einem Regisseur, der seine Idee umsetzt. Ursprünglich wollte er einen sehr musikalischen Film machen, eine Art 90-minütigen Videoclip, illustriert mit Aufnahmen von Babys im Alter von ein bis drei Jahren. Chabat und ich kannten uns nicht, aber er hatte einige meiner Dokumentationen gesehen und war der Meinung, dass mir dieses sehr spezielle Projekt liegen könnte. Die Grundidee gefiel mir auf Anhieb sehr gut, und nach zahlreichen Diskussionen wurden wir uns über die grobe Richtung einig – nämlich einen beinahe experimentellen Dokumentarfilm ohne wirkliche Handlung zu drehen, in dem die Form fast schon wichtiger ist als der Inhalt.

War es schwierig, geeignete Eltern zu finden?
Thomas Balmès: Im Dezember 2005 unterschrieben wir die Verträge, und knapp ein halbes Jahr später drehten wir bereits. Die Vorbereitungen gingen also relativ zügig und problemlos vonstatten. Wir hatten Partner vor Ort, die uns bei den Castings rund um den Globus halfen. Diese fanden auch in Ländern wie der Schweiz, Indien und Kenia statt. In Südamerika wurde ebenfalls gesucht. Es ging uns aber nicht darum, die Erde vollständig abzudecken, nach dem Motto: fünf Kontinente, fünf Babys. Wir wollten Familien mit unterschiedlichen Lebensweisen und Erziehungsmethoden. Wobei sie nicht zwingend repräsentativ sein sollten für die Länder, aus denen sie stammen. Die amerikanischen Eltern etwa arbeiten als College-Professorin und Kameramann. Hätte ich eine US-Familie aus dem mittleren Westen genommen, die zunächst „typischer“ erscheint, weil sie den ganzen Tag Fernsehen guckt und Hamburger isst, wäre es schnell zur Karikatur und zum Klischee verkommen. Nach und nach kristallisierte sich also heraus, dass wir uns für Familien aus den USA, Namibia, Japan und der Mongolei entscheiden würden. Von diesen vier Ländern kannte ich drei bereits näher und wusste, dass es dort interessante Dinge zu filmen gibt.

Wie lange dauerten die Dreharbeiten?
Thomas Balmès: Von der ersten bis zur letzten Klappe circa zwei Jahre. Meine Frau hat ausgerechnet, dass ich an ungefähr 500 Tagen selbst vor Ort war. Als unsere Babys ihre ersten Schritte machten, waren sie zwischen 12 und 18 Monate alt. Wir hatten unsere Familien so ausgesucht, dass die Geburten in gewissen Abständen passierten, und so entwickelten sich die Kinder zum Glück nicht parallel, sondern quasi hintereinander.

Die Babys scheinen die Präsenz von Fremden und der Kamera nicht zu bemerken. Wie haben Sie gearbeitet: mit kleinen Digitalkameras, mit versteckter Kamera?
Thomas Balmès: Wir hatten zwei verschiedene Kameras. Eine kleinere und eine richtig große Kamera, wie sie bei klassischen Filmaufnahmen verwendet wird, inklusive unterschiedlicher Objektive, Sonnenreflektor usw. Egal ob Baby oder Erwachsener – irgendwann nimmt niemand mehr die Kamera wahr. Außerdem haben Babys keine Vorstellung von ihrem eigenen Bild, deshalb interessiert es sie nicht, wenn gefilmt wird. Dass ein Baby in die Kamera guckte und die Aufnahme nicht zu benutzen war, kam höchst selten vor. Die Kinder sind ja praktisch mit der Kamera auf die Welt gekommen! Wir haben sie also auch nie versteckt. Wir haben auch nichts inszeniert oder provoziert. Das würde mit Babys ohnehin nicht funktionieren. Nehmen wir nur die Sequenz mit der Ziege, die das Badewasser des kleinen Mongolenjungen trinkt – das war reiner Zufall. Für mich ist sie am repräsentativsten für das, was ich mit dem Film erreichen wollte. So etwas Schönes kann man nicht herbeischreiben. Natürlich filmten wir nicht von Morgens bis Abends, aber im Lauf der Zeit entwickelt man eine Art Instinkt für die Momente, in denen etwas passieren könnte. Andererseits gab es auch hübsche Dinge, die uns durch die Lappen gingen, weil die Kamera gerade nicht lief.

Welches Baby fanden Sie persönlich am interessantesten, und welche Kindheit erscheint Ihnen besonders beneidenswert?
Thomas Balmès: Das ist schwer zu sagen. Allerdings habe ich diese Harmonie, wie sie zwischen Natur, Eltern und Kindern in der Mongolei besteht, anderswo selten erlebt. Allenfalls in Namibia. Übrigens habe ich in diesen beiden Ländern die Babys während der gesamten Drehzeit nicht ein einziges Mal weinen sehen. Ich bin der Meinung, dass man Kinder auch mal allein und sich selbst überlassen sollte. In dieser Hinsicht müssen Eltern aus dem westlichen Kulturkreis deutlich mehr Vertrauen und Lockerheit entwickeln. Während der Dreharbeiten machten die Kinder aus der Mongolei und Namibia auf mich den fröhlichsten und glücklichsten Eindruck. Wobei ich inzwischen die Babys wiedergesehen habe, die jetzt drei bis vier Jahre alt sind, und es geht ihnen allen wunderbar. Ob Tokio freilich der beste Ort ist, um Kind zu sein, darüber lässt sich gewiss streiten.

Der Film soll und will kein Lehrfilm sein. Welches Publikum möchten Sie ansprechen?
Thomas Balmès: Potentiell jeden Zuschauer von sieben Monaten bis 77. Für mich handelt der Film ja nicht nur von Babys. In meinen Augen ist es ein Film darüber, was es heißt, in der heutigen Zeit auf die Welt zu kommen. Außerdem bin ich der Meinung, dass Babys eine Komödie ist. Bei einer Preview mit 400 Zuschauern in San Francisco wurde von der ersten bis zur letzten Minute gelacht. Was ich mir wünsche, ist, dass die Menschen ihre angeborene Scheu vor Dokumentarfilmen überwinden. Und erkennen, dass der Baby-Aspekt im Grunde zweitrangig ist. Wer Babys mag, wird sich den Film natürlich eher anschauen. Aber ich hoffe, dass auch die, die kein spezielles Interesse an Babys haben, sich nicht von einem Besuch werden abschrecken lassen.

Den Dokumentarfilm Babys könnt ihr euch ab dem 19. August im Kino anschauen. Mehr Informationen findet ihr in unserem Kinoprogramm.

Mit Material von Kinowelt.

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