Toy Story 4 - Warum Pixar von Disney ruiniert wurde

14.08.2019 - 10:05 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
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Seit der Übernahme durch Disney steckt das ehemals souveräne Animationsstudio Pixar in einer künstlerischen Krise. Wo ist die Experimentierfreude geblieben?

Vor knapp 10 Jahren verhalf Pixar seinen ersten Kinohelden zu einem stimmigen Abschluss. Toy Story 3 endete mit der Übergabe des heimlich agilen Spielzeugs in neue und vermutlich nicht letzte Kinderhände, die es genauso wertschätzen würden wie ihr früherer Besitzer. Darin lag eine beruhigende Gewissheit - jeder weitere Teil muss zwangsläufig redundant erscheinen.

Mit Toy Story 4 bzw. A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando produzierte Pixar dennoch einen Nachfolger, und tatsächlich ist der Film unnötig wie ein Kropf. Nachdem die Plastikfiguren um Cowboy-Sheriff Woody im Schrank des Mädchens Bonnie landen, werden sie abermals mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert. Ein aggressiv vorangetriebener Plot aus Rettungsmissionen und ewig gleichen Verfolgungsjagden stellt Woody erneut vor die Frage, wie glücklich ihn das fragile "Leben" im Kinderzimmer macht.

Pixar und der Zuwachs an Fortsetzungen

Toy Story 4 ist die bislang achte Fortsetzung aus dem Pixar-Produktionskatalog, der zuletzt von Franchise-Erweiterungen bestimmt wurde. In seinem 2014 veröffentlichten Buch über Kreativitätsmanagement legte sich Pixar-Präsident Edwin Catmull Fortsetzungen als unliebsame Notwendigkeit  zurecht. Zwar bräuchte es sie für eine Absicherung riskanter Projekte, doch würden Sequels allein zum Ende von Pixar führen. Sie nämlich seien "schöpferischer Bankrott".

Toy Story 4: Alles hört auf kein Kommando

Catmulls Worte blieben indes ohne Konsequenz. Sah der Unternehmensplan ursprünglich eine Aufteilung zugunsten neuer Stoffentwicklungen vor, bei der jeder Fortsetzung zwei Originalfilme hätten folgen sollen, drehte sich dieses Verhältnis schnell um. Im Hause Pixar sind Sequels vom Ausnahme- zum Regelfall geworden, womit das Studio ganz auf Linie seines Mutterkonzerns Disney liegt, in dessen Firmenpolitik nichts abwegiger ist als die Entwicklung neuer Stoffe.

Schon in den 1980er Jahren arbeiteten die Pixar-Macher mit Disney zusammen, 1995 brachte der Animationsgigant ihren ersten Langfilm Toy Story ins Kino. Zum Distributionspartner hielt Pixar aber Distanz. Als der gemeinsame Vertriebsdeal 2004 vor einer Erneuerung stand, versuchte Pixar die Befugnisse Disneys soweit einzuschränken, dass der Konzern keine weiteren Gestaltungsansprüche und Rechte an Figuren, Handlungen sowie Sequels gehabt hätte. Zudem wollte Pixar alle Filme selbst finanzieren.

Pixar in den Fängen von Disney

Verhandlungsziel schien somit eine Kooperation, die Disney finanziell beteiligen und Pixar trotzdem Unabhängigkeit garantieren würde. Hollywoods größtem Markenschlucker schmeckte das nicht. Während Pixar öffentlichkeitswirksam nach neuen Partnern suchte, verkündete Disney die Gründung des Animationsstudios Circle 7, das eigenständig an Fortsetzungen zu Pixar-Filmen wie Findet Nemo und Die Monster AG hätte arbeiten sollen - wozu es tatsächlich berechtigt war.

Hinter Circle 7 steckte ein kaum verhohlener Erpressungsversuch, der bald Erfolg brachte. Unter Mitwirkung von Steve Jobs, seinerzeit größter Pixar-Einzelaktionär, erwarb Disney das Unternehmen im Jahr 2006 für über 7 Milliarden US-Dollar. Besonders deutlich zeichnete sich die Verschmelzung an der Person John Lasseter ab. Das Pixar-Urgestein übernahm sowohl die künstlerische Leitung des akquirierten Studios als auch von Disneys eigener Animationsabteilung. Natürlich wurde Circle 7 umgehend stillgelegt.

Cars: Disneys umsatzstärkstes Pixar-Franchise

Auf dem Produktionsplan der Sequel-Skeptiker standen jetzt zahlreiche Fortsetzungen, von Findet Dorie über Die Monster Uni bis zu den Unglaublichen 2. Einen Narren schien Disney vor allem an Cars gefressen zu haben. Der vergleichsweise wenig beliebte Pixar-Film über sprechende Autos erwies sich als Merchandise-Goldgrube, die mit einfallslosen Sequels und noch einfallsloseren Spin-offs immer weiter ausgehoben werden sollte.

Von der viel gerühmten Pixar-Magie fehlte da bereits jede Spur. Im Pixar Cinematic Universe von Disney finden vergleichsweise experimentelle Erzählformen wie noch bei Wall-E keine Heimat. Und das hat nicht unbedingt mit der Frage nach Originalideen zu tun. Die für 2020 angekündigten Pixar-Filme Soul und Onward: Keine halben Sachen mögen zwar neue Geschichten erzählen, werden das jedoch nur zu den Bedingungen des Mutterkonzerns können.

Die Effizienz der Pixar-Formel

Andererseits lässt sich nicht eindeutig sagen, ob Disney den warenförmigen Markenkern des an Kinokassen nunmehr Milliarden generierenden Unternehmens geschärft oder lediglich freigelegt hat. An kommerziellem Talent mangelte es Pixar schließlich nie. Das Studio eroberte sein Publikum mit Toy Story, einem Märchenfilm über geistreiche Absatzprodukte, die beliebig ins Leben von Kindern eingreifen.

Vielmehr entdeckte das Maushaus in der lieblichen Ästhetik und den von Zwischengesellschaften handelnden Erzählungen der Pixar-Filme ausreichend eigene Firmenidentität wieder, um es effizient zu nutzen. Nicht nur großäugig dreinblickende Kinder, liebevolle Großeltern und niedliche (Haus-)Tiere erleichterten das Übereinkommen, sondern auch der an Eltern gerichtete Universalismus - jene familienkompatible Pixar-Spezialität, die noch an infantilste Bilder mächtige Aussagen über das Leben zu heften versteht.

Coco: kein Leben und schon gar kein Tod ohne Familie

An werteorientiertem Gesülze mangelt es jüngeren Pixar-Filmen folglich nicht. Im Totenreich von Coco setzen sich familiäre Hierarchien soweit fort, dass der "finale Tod" droht, wenn die Hinterbliebenen nicht der Verstorbenen gedenken. Eine schlimmere Bestrafung als das Vergessenwerden durch Angehörige kann es im Disney-Pixar-Universum nicht geben. Selbst das Jenseits wird von einer allzu irdischen, wenig Lust auf Erkundung machenden Logik bestimmt.

Auf diese Logik können sich jüngere Pixar-Produktionen problemlos verständigen. Das von der Selbstbestimmung eigensinniger Kinder bedrohte Spielzeug aus Toy Story 4 muss jetzt alles daran setzen, seine Produktivität und Zweckdienlichkeit zurück zu gewinnen. Dem sanftmütigen Existenzialismus der Vorgänger ist eine lärmende, nur ständig Figuren aufeinander loslassende Dringlichkeit gewichen. In diesem Kino gibt es nichts mehr zu entdecken.

Seht ihr einen Qualitätsverlust bei Pixar?

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