Wong Kar-wai - Poetischer Meister des Hongkong-Kinos

17.07.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Chungking ExpressStudioCanal
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Er gilt als einer der bekanntesten Regisseure des Hongkong-Kinos. Mit Chungking Express schuf er einen rasanten Kultfilm der 90er, der selbst Quentin Tarantino schwer beeindruckte, sein Meisterwerk In the Mood for Love wurde mit dem Lob der Kritiker überschüttet. Aus Anlass seines 58. Geburtstags blicken wir heute auf Wong Kar-wais Karriere.

Unerfüllte Liebe und Einsamkeit in den engen pulsierenden Straßen der Metropole Hongkong verpackt wohl niemand so poetisch in bewegte Bilder wie der Autorenfilmer Wong Kar-wai. Aufmerksam wurde die Welt 1994 auf den chinesischen Regisseur dank des rasanten Kultfilms Chungking Express, berühmt wurde er spätestens durch seinen Cannes-Erfolg In the Mood for Love - Der Klang der Liebe 2000. Sechs Jahre später war er selbst Jury-Präsident. Bei den 60. Filmfestspielen von Cannes ein Jahr später eröffnete sein erstes auf amerikanischem Boden gedrehtes Werk My Blueberry Nights das Festival und trat im Wettbewerb an.

Bis heute wird Wong Kar-wai wohl trotzdem vor allem mit dem Hongkong Kino assoziiert. Geboren wurde er allerdings 1958 auf dem chinesischen Festland in Shanghai. 1963 zog er mit seiner Mutter nach Hongkong. Noch bevor sein Vater und seine Geschwister ihnen folgen konnten, brach die Kulturrevolution in der Volksrepublik China aus und die Familie blieb für viele Jahe getrennt. Hongkong genoss zu dieser Zeit als Kronkolonie und abgeriegelter Stadtstaat vor der Südküste Chinas eine Sonderstellung. Erst 1997 gab Großbritannien seine Kolonie zurück in die Hände Chinas. Seitdem ist Hongkong eine Sonderverwaltungszone. Im letzten Jahrhundert war die Insel ein Zufluchtsort für Schutzsuchende, Exilanten und Heimatlose - so wie Wong Kar-wai selbst und viele seiner filmischen Helden. In the Mood for Love und Days of Being Wild führen zurück in die 1960er Jahre, also die Kindheitsjahre, die der Regisseur in Hongkong erlebte. Verklärende Nostalgie oder Aufarbeitung der eigenen Erlebnisse?

"Natürlich kann man der Erinnerung nicht trauen. Sie täuscht. In der Erinnerung erscheint alles besser und schöner. Aber meine Filme sind für mich auch so eine Art Ersatzgedächtnis. Mit ihnen kann ich tun, was sonst unmöglich ist: in die Vergangenheit reisen."*
All the lonely people

Nur auf der Durchreise sind die unsteten Figuren in den Filmen Wongs, träumen von fernen Orten oder machen sich direkt auf die Socken. Elizabeth (Norah Jones) begibt sich auf einen langen Roadtrip durch die USA, um ihre verlorene Liebe zu vergessen, Faye (Faye Wong) setzt sich kurzerhand in den Flieger nach Kalifornien anstatt ihre Verabredung in einer gleichnamigen Hongkonger Bar wahrzunehmen und Chow (Tony Leung Chiu Wai) treibt die unerfüllte Liebe nach Singapur. Trotz der bedrängenden Enge der Hotelzimmer, Apartments oder überfüllten Gassen der Metropole Hongkong inszeniert Wong die Menschen als einsame Seelen, deren Melancholie er poetisch in Szene setzt. Wie in Edward Hoppers berühmtem Gemälde Nighthawks sitzen sie rauchend oder grübelnd allein am Tresen einer Bar oder an den Tischen trostloser Diner. In der Einsamkeit sieht der Meister selbst jedoch nichts Bedauerliches:

"Ich habe nichts gegen Menschen, aber ich fühle mich unter vielen Menschen nicht wohl. Ich bin lieber einsam. Die Traurigkeit liegt darin, dass in der Vergangenheit etwas Wichtiges passiert ist, und wir nie mehr dahin zurück können."

Besonders in westlicheren Gefilden wird das Hongkong-Kino schnell mit Martial Arts, knallharter Action und Kampfgrößen wie Jackie Chan oder Bruce Lee assoziert. Allein damit wird man einem vielseitigen Kino und dessen Vertretern wie Wong Kar-wai nicht gerecht. Trotzdem lieferte er mit Ashes of Time einen elegischen Schwertkampf-Film, mit The Grandmaster widmete er Ip Man (Tony Leung Chiu Wai), Meister der Kampfkunst Wing Chun und Mentor von Bruce Lee, eine filmische Hommage. Sein erster Film, den er als Autor und Regisseur 1988 realisierte, As Tears Go By, vereint Motive des Gangster- und Liebesfilms.

Niemand Geringeres als Quentin Tarantino zeigte sich begeistert von dem 1994 erschienenen Chungking Express und verhalf dem Werk zum Kultstatus im Westen, in dem seine eigene Firma Rolling Thunder Pictures den Film in die Kinos brachte. Wie viele Hongkong-Filme ist auch Chungking Express schnell geschnitten, wurde innerhalb kürzester Zeit produziert und spielt sich im Gewimmel der Straßen ab. Experimentell sind die Filme des Hongkong-Kinos auch, da sie nicht staatlich und kaum durch Institutionen finanziell unterstützt werden. Knappe Mittel erfordern Kreativität.

Zehn Spielfilme hat Wong Kar-wai bisher als Autor und Regisseur inszeniert. So vielfältig seine Filmographie auch sein mag, universelle Motive wie die gescheiterte oder unerfüllte Liebe, getriebene Menschen auf der Suche, Einsamkeit oder das Leben in der Großstadt kehren immer wieder. Trotz des rasanten Erzähltempos gelingt es ihm, die kleinen, die besonderen Details hervorzuheben, das Unausgesprochene und die Gefühlswelt der Figuren zu betonen. Wong Kar-wais wunderschön komponierte Laufbilder sind Meisterwerke, die durch ein feines Händchen in der Musikwahl betont werden. Wir gratulieren dem Meister zum Geburtstag und wünschen uns weitere seiner filmischen Erinnerungen.

Welcher Film von Wong Kar-wai hat euch am meisten beeindruckt?

*Die Zitate entstammen einem Interview mit Wong Kar-Wai, das in der Sammlung "Zeichen und Wunder. Das Kino von Zhang Yimou und Wong Kar-Wai" von Josef Schnelle und Rüdiger Suchsland (Marburg, 2008) erschienen ist.

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