Achtung, Spoiler zum One Piece-Anime: Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, dann ist One Piece die Serie, die mich wie keine andere vor den Bildschirm bannte. Ich suhle mich in nostalgischer Wonne, wenn ich an die endlosen Anime-Nachmittage bei RTL II denke, die mir den Schulfeierabend täglich versüßten und es jedes Mal zum Abenteuer machten, nach Hause zu kommen.
Vor 20 Jahren, am 20. Oktober 1999, feierte die erste Folge One Piece ihre Premiere auf dem japanischen Sender Fuji TV. Über 900 Folgen lang stachen Ruffy und Co. seitdem schon regelmäßig in See und ich bin jedes Mal mit wehenden Fahnen mitgesegelt. Doch mittlerweile ist die Luft raus. One Piece hat sich mitten in eine Flaute hinein navigiert. Ohne Wind in den Segeln ist der Anime für mich zum anstrengenden Ruderakt verkommen.
One Piece leidet unter den typischen Problemen des Shonen-Animes
One Piece hat mir einige der emotionalsten Serienmomente verschafft, an die ich noch heute gerne denke. Doch die enorme Länge des Animes kann die gängigen Probleme des Genres nicht mehr zurückhalten:
- One Piece zieht sich wie Kaugummi und ist voll mit Filler-Episoden, weil der Anime auf den Manga warten muss.
- Stärkere Gegner erfordern unglaubwürdigere Techniken. Statt Taktik gibt es stumpfe Prügeleien. Die Kämpfe verlieren ihren Reiz.
- Fehlende Charakterentwicklung und fragwürdige, optische Updates schaden den Figuren. Der Zeitsprung lässt viel Potential liegen.
Die genialen Anfänge von One Piece
Zu Beginn der Reise im East Blue hatte One Piece noch keines der genannten Probleme. Hier wurde Ruffys Kerncrew vorgestellt. Durch Rückblicken erfuhren wir von deren Traumata der einzelnen Charaktere und sie wuchsen uns schnell ans Herz. Viel Charakterentwicklung war da noch nicht nötig, hatte die Reise doch erst begonnen.
Die einzelnen Story-Arcs boten kurze und knackige Unterhaltung. Der Anime konnte hier noch Vollgas geben, weil die Vorlage einen großen Vorsprung hatte. Anfangs wurden teils gleich zwei Mangakapitel in eine Folge umgewandelt. In den einzelnen Episoden ist stets eine Menge passiert.
Die Konflikte mit verfeindeten Piraten waren bodenständig und machten kreativ von den individuellen Fähigkeiten der Kämpfer Gebrauch. Obwohl auf der Grand Line die Gegner mächtiger wurden und jeder drittklassige Handlanger plötzlich eine Teufelskraft besaß, war Taktik stets ein entscheidender Faktor. So spielte Sandmann Sir Crocodile zwar in einer ganz anderen Liga als Ruffy, doch der Strohhut-Kapitän konnte dessen einzige Schwäche nutzen und so triumphieren.
Die Kämpfe von One Piece machen keinen Spaß mehr
Später kam die CP9 und obwohl ich deren Saga für eine der besten in ganz One Piece halte, startete sie einen Trend, der in den kommenden 500+ Folgen zum Fluch für die Serie werden sollte.
Die Gegner waren plötzlich so mächtig, dass auch die Strohhüte übertriebene Kampftechniken lernen mussten. Ruffy begann hier, seine Gliedmaßen auf enorme Größe aufzupumpen, Sanji bringt seitdem per Pirouette seinen Fuß zum Brennen (für was braucht man da noch eine Feuerfrucht?) und Zorro lässt sich fortan mit reiner Willenskraft zusätzliche Körperteile inklusive Schwerter wachsen.
Wäre diese Saga das große Finale des Anime, wären diese Kampftechniken als ultimative Fähigkeiten in Ordnung. Doch seitdem stehen alle weiteren Duelle vor der Aufgabe, jedes Mal eine weitere Schippe Spektakel draufzulegen.
So auch im Kampf gegen Doflamingo. Der Samurai der Meere war von der reinen Kampfkraft her eindeutig stärker als Ruffy und Law. Deshalb wäre es nur logisch gewesen, Laws spezielle Fähigkeiten zu nutzen, um den Strippenzieher von Dressrosa zu besiegen. Und genau so geschah es auch ... fast. Denn siehe da, Doflamingo überlebte das geniale Manöver. Danach ging es nur wieder darum, dass Ruffy doller zuhauen kann als alle anderen.
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118 Folgen lang dauerte die Dressrosa-Arc. 118 Folgen mit teils unerträglichen langen Phasen, in denen nichts passierte. 118 Folgen Spannungsaufbau, nur um am Ende so enttäuscht zu werden. (Zum Vergleich: Im Manga dauert der Arc 102 Kapitel. Pro Folge wurde also nicht mal ein Kapitel der Vorlage umgesetzt.)
Der Zeitsprung hat One Piece mehr geschadet als genutzt
Auch die fehlende Charakterentwicklung der Strohhüte nagt an meiner Begeisterung. Gerade der Zeitsprung, der in Episode 517 stattfand, versäumte es, eine wichtige Zäsur im Reifeprozess der Piratenbande darzustellen. Nach ihrer ersten großen Niederlage trainierten die Strohhüte zwei Jahre lang einzeln, um sich für die Gefahren der Neuen Welt zu wappnen. Doch leider kehrten unsere Helden nur optisch verändert und mit neuen Fähigkeiten aus dem Training zurück.
Charakterlich hat sich nichts getan. Lysop, Chopper und Brook sind immer noch ängstliche Schreihälse, auch wenn sie viel durchlebt haben und eigentlich wissen müssten, dass sie starke Krieger sein können. Besonders Chopper, der zum riesigen Monster mutieren kann, kaufe ich die hysterischen Heulkrämpfe nicht mehr ab.
Nami und Robin hat es besonders schlimm erwischt: Beide wurden als ambivalente Perönlichkeiten etabliert, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Freiheit und den Schatten ihrer Vergangenheit. Seit dem Zeitsprung sind sie nur noch übersexualisierte Schaufensterpuppen, deren Dreidimensionalität sich auf ihre stetig zunehmende Körbchengröße beschränkt.
Aces Schicksal hat Ruffy nicht nachhaltig verändert
Auch von Ruffy habe ich mir mehr erhofft. Gerade nach dem Tod von Ace hätte der Strohhut-Kapitän gut daran getan, seine bisherige Einstellung zu überdenken. Stets stürzte er sich optimistisch und verantwortungslos in jedes noch so gefährliche Abenteuer und war immer erfolgreich - bis zur Schlacht im Marine-Hauptquartier, als er seinen Bruder verlor.
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Alles an dieser Situation deutete eine maßgeblichen Einschnitt in Ruffys Leben an. Ace war wie der Gummimann ein waghalsiger Abenteurer, der sich selbst überschätzte. Doch Ruffy lernte aus dessen Ableben nur die stumpfeste aller Lektionen: mehr trainieren und stärker werden.
Klar möchte ich nicht, dass Ruffy seinen Optimismus verliert, aber würde es denn schaden, wenn er beim nächsten Mal kurz nachdenken würde, bevor er sich und seine Crewmitglieder blindlings in die Gefahr stürzt. Er war es doch, der sich nach Aces Ableben geschworen hat, nie mehr einen Freund zu verlieren. Mittlerweile scheint er seinen Vorsatz schon wieder vergessen zu haben. Innerlich bleibt er derselbe naive Strohkopf.
Wo führt die Reise von One Piece hin?
Vor dem Zeitsprung hatte ich kaum etwas an One Piece auszusetzen. Eiichiro Oda schuf eine Welt, die ihres gleichen sucht. Ich habe mich schon lange mit dem langsamen Pacing seines Piratenabenteuers abgefunden, doch die Kämpfe und Charaktere darin wurden mit dem Eintritt in die Neue Welt leider immer uninteressanter.
Das 20-jährige Jubiläum von One Piece nehme ich zum Anlass, erstmal den Anker zu setzen und eine Pause einzulegen. Bestimmt werde ich mich irgendwann wieder in die Wellen stürzen, doch aktuell fühle ich mich etwas seekrank.
Was haltet ihr von One Piece und der Entwicklung des Anime-Dauerbrenners?