Update, 29.01.2018: Unseren Serien-Check zur 2. Staffel von American Crime Story haben wir bereits anlässlich der US-Premiere auf FX geschrieben. Nun sind die neuen Folgen, die sich um den Mord an dem Modedesigner Gianni Versace drehen, auch in Deutschland auf Sky Atlantic zu sehen.
Noch bevor überhaupt eine Sekunde von American Crime Story: The Assassination of Gianni Versace gesendet wurde, distanzierte sich die Versace-Familie von den in der Serie dargestellten Ereignissen. "[...] this TV series should only be considered as a work of fiction”, heißt es in einem Statement des Mode-Unternehmens. Die Serie berufe sich bei ihrer Darstellung auf das Buch Vulgar Favors von Maureen Orth, das ebenfalls keinen Segen von dem Versace-Clan erhalten habe. Popkultur-Seiten beauftragen nun Reporter mit Fact-Checking . Ergebnis: Es stimmt fast alles, was in der ersten Episode gezeigt wurde. Auch das, was ausgedacht erscheint, also zu schön ist, um wahr zu sein. Etwa die weiße Taube, die von einem Querschläger gestreift wurde, abgefeuert durch den Feigling Andrew Phillip Cunanan bei dessen Ermordung von Gianni Versace, und zusammen mit dem berühmten Modedesigner ihre letzten Momente in der Morgensonne von Miami Beach erlebte.
Derlei sinnliche Schnörkel sind in dem Wikipedia-Artikel zu Gianni Versace (Édgar Ramírez) nicht aufgeführt, aber das soll euch nicht davon abhalten, ihn durchzuschmökern, bevor ihr die erste Folge der zweiten Staffel American Crime Story schaut. Gerade wenn ihr 1997 noch mit Matchbox-Autos gespielt habt, während im Hintergrund im Fernsehen die wichtigen Dinge der Welt mediale Verwirklichung erfuhren. Eine Show wie American Crime Story soll ja gerade mit dem kribbeligen Rückhalt "Wahrer Begebenheiten" rezipiert werden, als Echo der Vergangenheit und längst verjährter, aber nicht vergessener Ereignisse. "[....] it is not a work of fiction, it’s a work of non-fiction obviously with docudrama elements. We’re not making a documentary”, verteidigt Showrunner Ryan Murphy seine Serie. Die die Realität gewiss verzerrt, verfälscht und sie domestiziert mit den erzählerischen Techniken einer True-Crime-Serie, aber eben auch eine sensationelle Paparazzo-Jagd mit Verspätung fortführt. Die Reaktion der Versace-Familie ist nun die solcher von der Vergangenheit aufgeschreckter Menschen, die das alles hinter sich geglaubt hatten.
Die Widersprüche zwischen Reflexion von Sensationsgier und lustvollem Voyeurismus lebt auch American Crime Story II aus. Wie American Crime Story Staffel 1: The People vs OJ Simpson, interessiert sich Versace weniger für das Crime im Titel und vielmehr für die Rezeption des Crime in den Öffentlichkeitsinstanzen: Fernsehen, Fans, Klatsch, Regenbogenpresse, lauernde Reporter und alles, was euch sonst noch als Ausdruck medialer Sensationsjagd in den Sinn komm - in American Crime Story wird es sicher aufgegriffen. Mit seinen Anliegen hält Ryan Murphy nie hinterm Berg. Seine Serien sind nie diskret in der Ansprache ihrer Themen, weil sie eng mit dem Zuschauer und der Zeit, in der er lebt, in einen Dialog treten wollen, ihm die kritische Prüfung des Gezeigten überlassen oder es ihm satirisch vorkauen.
In der Tat von den ACS-Autoren ausgedacht und außerdem ein klassischer American Crime Story-Move ist so auch eine Szene, die sich kurz nach dem Angriff auf Gianni Versace am 15. Juli 1997 abspielt: Versace liegt blutend und sterbend auf den Treppen vor seiner Villa an einer belebten Straße. Die Polizei ist schon da, eine Menschentraube tut, was Menschentrauben hinter Absperrungen in Filmen tun, ein Krankenwagen ist aber noch nicht vor Ort. Wir hören eine panische Stimme, jemand solle doch endlich einen Krankenwagen rufen. Daraufhin rennt ein Mann los, biegt in eine Seitenstraße ein und läuft an einem sehr auffällig platzierten Münzfernsprecher vorbei und zu seinem Auto, um sich eine Kamera zu schnappen und sich für die Sensationen zu rüsten, die da kommen. Sein überstürzt geschossenes Polaroid vom Verfrachten des noch lebenden Körpers in den inzwischen eingetroffenen Krankenwagen bietet er später Journalisten feil. Mindestgebot: 30.000 US-Dollar. Diese Szene existiert natürlich nur, um zu zeigen, dass dasselbe Foto, geschossen von einem Smartphone-Schwarm, heute so gut wie wertlos wäre.
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Das ist American Crime Story im demonstrativen American Crime Story-Modus, subtil wie das Musikvideo zu Piece of me von Britney Spears (oben). Die Lebensrettungsversuche am Körper des Designers unterbricht Episoden-Regisseur Ryan Murphy mit geifernden Paparazzo, die vor dem Krankenhaus stehen wie kleine Kinder vor dem Einlass eines Vergnügungsparks; einer Frau, die sich durch die Absperrung stielt und eine Versace-Anzeige in Versace-Blut tunkt; ein Model, das in Versace-Couture vor dem Tatort posed. Jeder will noch ein bisschen Fame mitnehmen, oder wenigstens ein Stück davon.
American Crime Story erzählt dort weiter, wo die Paparazzi nicht hindürfen. Die Öffentlichkeit im Jahr 1997 muss sich mit einem verschwommenen Polaroidbild zufriedengeben. Wir kriegen alles. Den Sterbevorgang in 1000 Bildern. Die Kamera dringt als Kanüle behutsam in das dunkle Gewebe hinter der bunten Gazzettenwand ein. Wir sehen Versace auf dem Operationstisch, darüber seine panisch blinkende Lebensdatenanzeige, dann die arbeitenden Ärzte, verstohlen durch die Tür gefilmt, als müsste man sich verstecken, und als letztes die Röntgenbilder mit den verheerenden Auswirkungen des Schusses, der glatt durchging, einmal von Wange zu Wange.
Dann ist es vorbei, das Leichentuch wird gebreitet über den Körper und die Decke vom Privatleben gerissen, was natürlich eine direkte Folge des Falls O.J. Simpson ist. Versace ist nur die nächste Sau, die durchs Dorf getrieben wird. "And now the Press and the police will drag through his life", sagt Penelope Cruz mit schlaffem Akzent als Donatella Versace, die mit gebleichten Haaren und dunkler Sonnenbrille zuvor einem königlichen Privat-Jet entstiegen war. Das Treffen zwischen Donatella und dem von Ricky Martin gespielten Antonio D’Amico verläuft kühl. Martin sagt , er hätte sich glatt eingepinkelt, als er erfuhr, dass Cruz Donatella spielen würde. Innige Szenen werden die Schauspieler jedoch nicht teilen. Donatella Versace pflegte ein unterkühltes Verhältnis zum Lebensgefährten ihres Bruders, was ich nur weiß, weil gerade wieder über sowas geschrieben wird, Details aus dem Familienleben der Versaces.
What will they find out? - Everything.
Was American Crime Story in den nächsten 9 Episoden über die Ermordung des Gianni Versace sonst zu erzählen hat, ist jetzt auch schwer zu sagen. Über den flüchtigen Mörder Andrew Phillip Cunanan ließe sich eine düstere Jay Gatsby-Geschichte spinnen, er ist die faszinierendste Figur der ersten Episode. Darren Criss spielt den Serien- und Versacemörder so gruselig wachsfigurenhaft wie Cruz ihre Donatella, die nun schon begonnen hat, den Tod ihres Bruders abzuwickeln. Die Show ist in ihrer zweiten Staffel ungleich geforderter. Der Fall Versace hat eben nicht die Tragweite und diese perfekte Dramaturgie des O.J. Simpson-Prozesses. Arbeitete The People vs O.J. Simpsons auf den großen Knall hin, bleibt Versace die Nachbereitung und Nachstellung einer sensationellen Berichterstattung, die geweckte Erwartungen und Bedürfnisse erfüllen musste.
American Crime Story: The Assassination of Gianni Versace läuft seit Mittwoch bei FX in den USA. Ab dem 29.01.2018 ist die Serie bei Sky Ticket in Deutschland verfügbar.