Heute Abend konnte im Ersten zur Abwechslung mal gebingt werden, wie sonst nur im Stream. Die ersten drei Folgen von Babylon Berlin wurden hintereinander gezeigt, was sich als sinnvolle Entscheidung herausstellte. Auf Grund der vielen Figuren und Verschwörungen in dem historischen Krimi über Pornoringe, Goldtransporte und Gangster-Priester (ja, genau) lohnt es sich, die Serie im Marathon zu schauen. Die ersten drei Episoden von Babylon Berlin bieten eine äußerst dicht erzählte Einführung ins Berlin der Weimarer Republik. Dabei folgen wir einem Außenseiter, dem Kölner Gereon Rath, in die Hauptstadt des Jahres 1929. Gereon ist unser erster Halt, doch mit jeder Folge wird das Ensemble erweitert und damit auch die Parteien, die einem Waggon voll Gold hinterherjagen. Berlin ist nämlich damals schon Weltstadt und Schauplatz internationaler Konflikte. Getanzt wird aber auch. Und wie!
Drei(einhalb) wichtige Fragen nach den ersten drei Folgen von Babylon Berlin
- Was genau sucht Gereon in Berlin? Gereons Untersuchung in Berlin verfolgt ein delikates Ziel. Sein Vater, künftiger Polizeipräsident von Köln, hat ihn auf die Suche nach einem Film geschickt, mit dem eine bekannte Persönlichkeit erpresst wird. Auf dem Stück Film, das Gereon findet, ist das Gesicht jedoch nicht zu erkennen. Es soll sich um Konrad Adenauer handeln, später erster Bundeskanzler der Bundesrepublik, der mit einem Sadomaso-Porno bloßgestellt würde. Adenauer war zwischen 1917 und 1933 Oberbürgermeister von Köln.
- Was plant Swetlana Sorokina? Swetlana, die als Nikoros (Sorokin rückwärts) mit Schnurrbart im Moka Efti singt, wird als Partnerin des Musikers Alexander Kardakow eingeführt. Kardakow ist ein Anhänger des geschassten Stalin-Gegners Trotzki und plant mit seinen Genossen die Gegenrevolution. Deshalb soll das Gold in dem Waggon nach Istanbul, wo sich Trotzki im Exil befindet. Allerdings verrät Swetlana die Gruppe an den sowjetischen Geheimdienst, der die Konterrevolutionäre in der Druckerei ermordet und später den Zugführer foltert. Swetlana will das Gold nach Paris bringen, denn wie wir am Ende der 3. Folge erfahren, gehört das Gold den Sorokins, ihrer Familie. Swetlana ist eine adlige Russin im Exil (deshalb auch das Familiengemälde in ihrer Wohnung).
- Wer will alles das Gold in Babylon Berlin? Trotzkisten fahren das Gold aus Russland nach Berlin, wo Swetlana sie übers Ohr zu hauen versucht. Das macht zwei Parteien. Aber unterwegs sieht man, wie ein gewisser Generalmajor Seegers von der Reichswehr den Zug durchwinkt. Apropos: Seegers ist es, den Raths Kollege Bruno Wolter in einem Kaffeehaus trifft. Außerdem kommen die Sowjets nach dem Massaker an den Frachtbrief des Waggons und per Folter an die Information über dessen Inhalt: das Gold.
- Und natürlich: Wann geht es mit Babylon Berlin weiter? Am Donnerstag laufen die nächsten drei Folgen. Alle Sendetermine von Babylon Berlin haben wir euch an anderer Stelle aufgeführt. Außerdem soll die Serie in der ARD Mediathek zur Verfügung stehen.
Babylon Berlin - Ein Krimi als Gesellschaftsgemälde
Obgleich die ersten Folgen einen ganzen Stapel von Handlungssträngen sortieren müssen, zeigt Babylon Berlin von Anfang an größere Ambitionen. Die Serie begreift die Weimarer Republik zunächst einmal nicht aus der Rückschau - also von ihrem Scheitern aus und mit Erwartung des Aufstiegs der Nationalsozialisten. Die innenpolitisch angespannte Situation wird zwar angedeutet mit Verweisen auf die kommenden Proteste der Linken am 1. Mai sowie mit Treffen von Generälen, die offenbar über den Außenminister Stresemann flüstern.
Im Vordergrund steht jedoch Berlin als Schmelztiegel sozialer Schichten und Identitäten in einer Zeit rapiden Fortschritts. Das Radio steht bereits in vielen Wohnzimmern. In den "Pläsierkasernen" (Siegfried Kracauer) wie dem Moka Efti wird allabendlich an den Pfeilern der Sexualmoral gesägt. Charlotte (Liv Lisa Fries) ist ein echter Flapper, eine jener jungen Frauen der 20er, die in kurzen Röcken und mit kurzem Haar erstaunlich freizügig ihrem persönlichen Vergnügen nachgingen. Als Prostituierte mit BDSM-Einschlag muss sie ihre in Armut lebende Familie durchbringen, während sie sich tagsüber bei der Polizei unter die Frauen mischt, die mittlerweile selbst ihren Lebensunterhalt verdienen. Viel Zeit wird in diesen ersten Folgen von Babylon Berlin auf die Hinterhöfe verwendet. Auf engstem Raum leben Familien. Die Arbeitslosigkeit der Nachkriegsjahre grassiert. Krankheiten wie die Syphilis, dazu drohende Kinderarbeit und alles in allem furchtbare hygienische Zustände öffnen ein Fenster ins 19. Jahrhundert, während auf den Straßen die Zukunft von den Litfaßsäulen winkt.
Die Musik ist in Babylon Berlin der Trumpf
Diese lebendige Rekonstruktion einer Ära und speziell einer einzigartigen Stadt gehört zu den Stärken der Serie von Tom Tykwer, Achim von Borries und Hendrik Handloegten, die sich Drehbuch und Regie der Adaption nach Volker Kutscher teilen. Man sieht, wo die 40 Millionen Euro geblieben sind, aber anders als bei vergleichbaren Prestige-Produktionen aus Deutschland wirkt die Welt von Babylon Berlin nicht wie ein seelenloser Straßenzug im Studio Babelsberg. Ein weiterer Aspekt, der die Serie von deutschen Konkurrenten abhebt, ist die Musik. Die diversen Fraktionen und Subplots der ersten Folgen können verwirren und Volker Bruchs Gereon Rath wirkt ein bisschen zu spröde und betont gebrochen, um ihn ins Herz zu schließen. Dafür verführt von Anfang an die Musik von Johnny Klimek, Tom Tykwer und anderen.
Höhepunkt der ersten drei Folgen von Babylon Berlin ist zweifelsohne die zweiteilige Moka Efti-Sequenz am Ende von Episode 2. Es beginnt mit dem Überschwang, als Swetlana (Severija Janusauskaite) im Männer-Outfit mit "Zu Asche, Zu Staub" die Besucher in Verzückung bringt, die eine aufgefrischte Version des 20s Charleston tanzen. Das Moka Efti wird zum Tempel des Vergnügens und Swetlana zur Hohepriesterin. Gemeinsame Unsterblichkeit lautet die Losung, während die Choreografie eine Einigkeit der Tanzenden erst durch die gleichen Schritte suggeriert, dann durch den free-style. Alle werden sozusagen in ihrem eigenen Tanzstil selig. Es ist eine kleine Utopie, die sich da im 20er-Jahre-Äquivalent des Berghains entfaltet.
In der zweiten Hälfte dieses Finales treten die düsteren Untertöne hervor. Zunächst wird in den Bauch des Clubs geführt, wo wir erfahren, wie Charlotte ihr Geld verdient. Die Lust, eben auf der Tanzfläche geteilt, wird ganz profan zur Ware. Wirklich düster gestaltet sich die Angelegenheit allerdings erst, als der Tanz der Massen im Moka Efti in die zuckenden, sterbenden Leiber in der Druckerei der Trotzkisten übergeht. So sehr verschmelzen sie, dass auch die Tanzenden kurzzeitig in Totenstarre verfallen. Es ist eine beeindruckende Sequenz, auch weil sie so stark auf Bilder und Musik vertraut, also nicht alles en detail erklärt werden muss. Was das angeht, scheint mir die nächste Serienverwandtschaft von Babylon Berlin immer noch Netflix' Dark zu seinen. Ebenfalls sehr plotlastig, aber über Wasser gehalten von einem erstklassigen Soundtrack und dem Vertrauen in die Kraft des filmischen Moments. Keine Selbstverständlichkeit fürs hiesige Serienschaffen. Nun müssen die kommenden Folgen von Babylon Berlin diesen in drei Episoden formulierten Ambitionen allerdings gerecht werden.
Hier noch eine Bitte: Babylon Berlin war schon vor einer ganzen Weile über Sky zu sehen. Seien wir also angenehme Serien-Nachbarn und unterlassen Spoiler für kommende Folgen in den Kommentaren. Danke!
So sah die Fassade des Moka Efti 1928 aus:
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