Beruf Provokateur

09.07.2009 - 09:00 Uhr
Die vielen Gesichter des Sacha Baron Cohen: Von Ali G. zu Brüno
montage: moviepilot
Die vielen Gesichter des Sacha Baron Cohen: Von Ali G. zu Brüno
Ob als proletiger Ghetto-Rapper, als rassistischer Kasache, als schwuler Rennfahrer oder tuckiges Supermodel Brüno – Sacha Baron Cohen liebt es zu provozieren. Seine Fans lieben ihn und seine Dreistigkeit, seine Gegner werfen ihm gnadenlose Eigenvermarktung vor.

Deutschland hat nicht allzuviele glorreiche Comedy-Highlights vorzuweisen, wenn wir von Loriot alias Vicco von Bülow und Michael Herbig mal absehen und Otto Waalkes gnädig verschweigen. Kein Wunder, dass die wenigen Momente, die es gibt, kultisch verehrt und immer wieder zitiert werden.

Ohhh jetz mal legger Middagessen

Als holländisch quakendes Königinnendouble hatte Hape Kerkeling irgendwann Anfang der 90er eine einsame Sternstunde, als es ihm gelang, in den Sicherheitsbereich eines Staatsbesuchs einzudringen. Erst im neuen Jahrtausend konnte er mit dem Brachial-Ekel Horst Schlämmer einen ähnlichen Erfolg wiederholen. Auch hier schaffte er es, verborgen unter einer aufwendigen Verkleidung, als vermeintlich trinkfreudiger Lokalreporter des Grevenbroicher Tageblatts, seinen Interviewpartnern peinliche Aussagen zu entlocken.

Was Kerkeling macht, ist der Taktik seines britischen Kollegen Sacha Baron Cohen nicht unähnlich. Und doch sind beide grundverschieden. Denn egal, was Hape macht, er bleibt letztlich harmlos und freundlich. Er nervt vielleicht oder ist mal das, was man hierzulande “frech” nennt, aber er ist letztlich im Grundton immer versöhnlich, weiß genau, wie weit er gehen kann, ohne jemanden ernstlich vor den Kopf zu stoßen.

Ich hab das Baby gegen einen iPod getauscht

Cohen verfolgt dabei konsequent das gegensätzliche Konzept. Er will schocken, beleidigen, foppen, wütend machen. Als Ali G befragte er Drogenbeauftrage der Polizei, wo man denn am besten an das Zeug herankäme und welche Waffen am besten geeignet seien, “einer Verrätersau die Lichter auszuschießen”. Als Borat gab er sich unverhohlen antisemitisch, frauenverachtend und homophob. “Meine Frau ist gestorben. High Five!”, rief er aus und brachte damit sogar den selbst nicht immer geschmackssicher kalauernden Talkmaster David Letterman für eine Sekunde aus dem Konzept. In einer Bar brachte er die versammelten Gäste dazu, mit ihm den Song “Throw the jews down the well” zu gröhlen, in Borat lieferte er sich einen abstrusen Nacktringkampf mit seinem unförmigen Kollegen, der selbst hartgesottene Kinogänger ungläubig japsen ließ.

Mit seiner Nebenrolle als Jean-Girard, dem schwulen Gegner von Will Ferrell, in der Highspeed-Groteske Ricky Bobby – König der Rennfahrer brachte er beim Dreh die versammelten Nascar-Fans gegen sich auf, als er über die Fahrbahn stolzierte und mit Ferrell einen innigen Kuss austauschte. Der Abscheu und lautstarke Protest mussten nicht lange geprobt werden, die Redneck-Fans buhten ganz von alleine.

Sind eigentlich alle Skinheads schwul?

Mit schwulen Rollen hatte Cohen jedoch schon vorher seine Erfahrungen gesammelt. Als Top-Modell und Reporter des österreichischen Schwulenfernsehens nervte er schon im TV, in Segmenten der Ali G-Show Skinheads, fromme Christen und Modedesigner. Ein Konzept, das er jetzt gekonnt auch auf die große Leinwand übertragen hat.

Sacha Baron Cohen weiß, was er tut. Der 37jährige Cambridge-Absolvent ist kein Chaos-Komiker, sondern jemand, der seine Rollen und Interviews minutiös vorbereiten lässt, um den größten Effekt zu erzielen. Natürlich geht es ihm nicht nur um den reinen Schock, sondern auch darum, mit brachialen Mitteln alltäglichen Rassismus, Homophobie, Sexismus, Dummheit und Intoleranz vorzuführen.

Ihre Muschi schlabberte wie der Mantel eines Zauberers

Kritiker werfen ihm vor, dass er diesen Zielen damit aber bisweilen einen Bärendienst erwiese. Die Bewohner des vorgeblich kasachischen Dorfes (in Wirklichkeit das rumänische Glod), in dem die Eingangssequenz zu Borat gedreht wurde, fühlten sich, nachdem sie den Film gesehen haben, diffamiert und beleidigt. Die Produktion zahlte ihnen wohl nur wenige Dollar für ihre Teilnahme und Cohen sparte als Borat nicht gerade mit bösartigen Seitenhieben. Und auch in Deutschland machten sich Interessenvertreter der Roma gegen den Film stark, bestätige er doch gängige negative Vorurteile.

Andere Teilnehmer fühlten sich gezielt in eine Falle gelockt und vorgeführt. In der Tat leistete die Borat-Crew wohl ganze Arbeit, sich Opfer herauszusuchen, die in gewünschter Weise dumm reagierten, um sie dann in die offene Kamera rennen zu lassen. Denn natürlich kann auch zu unbedarfte Freundlichkeit, Nachsichtigkeit, das bloße Überrumpeltfühlen der Grund sein, warum nicht jeder bei Borats rassistischen Tiraden sofort empört gegensteuert und auf die Barrikaden geht. Doch auch, wenn das wahrscheinlicher ist als ein befürchteter Abgrund an rassistischen Durchschnittsbürgern, bleibt dennoch eine Lehre aus diesen Aktionen: Zivilcourage ist immer noch etwas, was sich jeder Mensch aufs Neue erkämpfen muß. Und damit hat Sacha Baron Cohen sein Ziel doch wieder erreicht.

Geht das Auto kaputt, wenn ich damit in eine Gruppe Zigeuner reinfahre?

Das er selbst auf Überraschungen nicht sonderlich souverän reagiert (wie Journalisten, die ihn zur Borat-PR mit nicht abgesprochenen Fragen konfrontierten, erfahren durften), darf dabei nicht überraschen. Cohen ist Perfektionist und Controllfreak, der viel wagt, sich aber bei seinen Eskapaden immer absichert. Bodyguards stehen bereit, falls doch mal eines seiner Interviews zu sehr aus dem Ruder laufen sollte. Ungemütlich wird es auch für jene, die vorab Fotos von Brüno veröffentlichen wollten, schnell war eine hilfreiche Crew-Hand zur Stelle, die das Objektiv abdeckte.

Und selbst Journalisten, die die kurzfristig anberaumten Pressevorführungen zu Brüno wahrnehmen durften, wurden mit eisenharten Sperrfristen geknebelt. Die Onlinepresse durfte gleich ganz draußen bleiben. Das schmälert sicher alles nicht die Leistung und den Unterhaltungswert des Films, hinterlässt aber, wie bei Brüno auch, einen merkwürdigen Beigeschmack, wenn ein Künstler, der sich selbst so durchkalkuliert an den Schwächen und Peinlichkeiten anderer abarbeitet, selbst so dünnhäutig auftritt und vor Risiken zurückschreckt.

Aber vielleicht ist das auch typisch, den – und hier schliesst sich der Kreis – auch Hape Kerkeling zeigt sich in Interviews oft erstaunlich unlocker, wenn jemand ihn mit provokanten Fragen überrascht.

Bleibt beiden zu wünschen, dass ihnen nicht mal ein echter Brüno oder Horst Schlämmer begegnet, der den Spieß umdreht.

Denn Provokation und peinliche Reaktionen darauf funktionieren immer in beide Richtungen.

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