Im Laufe der dreieinhalb Staffeln von Better Call Saul legten Vince Gilligan und Peter Gould immer und immer wieder Finten, die einen direkten Weg zu Jimmys endgültiger Transformation zu Saul Goodman andeuteten. Schon zum Ende der 1. Staffel - als wohl noch niemand ahnen konnte, was für eine lange Reise uns mit Jimmy bevorsteht - schien Saul Goodman förmlich greifbar. Die Autoren haben aus dieser Bipolarität, dieser Schiffsschaukel zwischen zwei Persönlichkeiten, eine regelrechte Sportart gemacht, in der sie das Publikum immer mal wieder mit dem jetzt-aber-wirklich-Gefühl in die Irre führen. In Folge 5, Quite a Ride, - die bislang stärkste Episode der 4. Staffel - wird dieses Spiel auf die Spitze getrieben: In einem Moment sind wir davon überzeugt, dass der Wandel jetzt endgültig vollzogen ist, im nächsten begeben wir uns zurück in sicheres Jimmy-Territorium. Und plötzlich ist die Hoffnung da, dass der Wandel zu Saul Goodman vielleicht gar nicht bedeutet, dass Jimmy gehen muss.
Better Call Saul zeigt uns Anfang und Ende von Saul Goodman
Die Eröffnungsszene wirft uns aus heiterem Himmel mitten in die 5. Staffel von Breaking Bad. Sauls (Bob Odenkirk) Verhältnis zu Walter White und Jesse Pinkman ist auseinandergefallen, alle unvorteilhaften Dokumente müssen vernichtet und das Bargeld ausgeräumt werden. Diese Szene funktioniert nicht nur deshalb so gut, weil sie eine Erinnerung daran ist, wie weit bergab es noch mit Jimmy gehen wird. Sie bebildert die letzten Atemzüge von Saul Goodman, der mit einem Anruf bei einem vermeintlichen Staubsaugerunternehmen seine eigene Identität zu Grabe trägt und bald Zimtschneckenverkäufer Gene sein wird. "Quite a ride, huh?" fragt er Francesca und setzt mit dem anschließenden Durchbrechen seines Handys den Schlussstrich unter eine Ära der knallfarbenen Hemden. In der Gegenwart von Better Call Saul wird derweil (jetzt aber wirklich!) der Anfang dieser Ära porträtiert - Saul Goodman lernt laufen, manifestiert im Durchbrechen des Handys und Zerreißen der Therapeutenkarte (sicherlich nicht aus Versehen eine Spiegelung des Eröffnungsbildes der geschredderten Dokumente). Es beginnt und es endet mit Vernichtung.
Kriminalität - eine Leidenschaft für Jimmy
Die erste Szene, der Tod von Saul Goodman, birgt noch eine weitere Erkenntnis: Jimmy ist in dieser Welt ebenfalls noch am Leben. "Tell them, Jimmy sent you" lautet die Anweisung an Francesca, während er ihr eine Visitenkarte in die Hand drückt. Es gibt in der Welt von Saul Goodman also doch noch irgendwo einen Platz für Jimmy, wo auch immer der sein mag. Irgendjemand aus seinem alten Leben ist noch präsent und offenbar auch hilfsbereit, wenn es hart auf hart kommt. Könnte er mit "them" vielleicht Howard (Patrick Fabian) oder gar Kim (Rhea Seehorn) meinen? Einerseits scheinen die beiden als Ansprechpartner am Wahrscheinlichsten, andererseits ist es um beide Verhältnisse zu Jimmy nicht besonders gut bestellt.
Es wird mit jeder Folge schmerzhafter, Kim und Jimmy weiter auseinanderdriften zu sehen, obwohl sie im Grunde von den selben Motivationen angetrieben werden und die selben Rückschläge einstecken müssen: Genau wie Jimmy versucht auch Kim, einer Arbeit nachzugehen, für die sie eine Leidenschaft aufbringen kann. Für Jimmy bedeutet das, den Kofferraum mit Handys füllen, auf die Straße gehen, sich die Hände schmutzig machen. Für Kim bedeutet das, sich mit Staatsanwälten die Köpfe einzuhauen, um Bewährungsstrafen für ihre jungen Mandanten auszuhandeln, damit die noch eine faire Chance auf ein nichtkriminelles Leben bekommen. Und sowohl Kim als auch Jimmy fahren mit ihren Wünschen gegen eine Wand: Letzterer wird am Ende einer langen Arbeitsnacht von drei Jugendlichen zusammengeschlagen und ausgeraubt, Erstere muss bei Mesa Verde Rechenschaft darüber ablegen, warum sie ihrem Hauptmandanten so wenig Aufmerksamkeit schenkt und die Zeit mit irgendwelchen anderen Fällen vertrödelt. Kims fatalistische Entschuldigung an Paige ("It'll never happen again") klingt allerdings nicht so, als würde sie sich dadurch von ihrem Weg abbringen lassen. Wenn hier jemand zurücktreten muss, dann wird das wohl Mesa Verde sein.
Jimmy und seine Pläne von der Weltherrschaft
Bei Jimmy bäumt sich durch den Raub für einen kurzen Moment eine kleine, gesetzestreue Stimme der Vernunft auf. "The hell's the matter with me?", resümiert während er seiner Verarztung durch Kim, und für diesen einen Wimpernschlag sieht Saul Goodman gebrochen aus. Jimmy verkriecht sich wie ein geschlagener Hund, nimmt sich vor, mit einem Therapeuten zu sprechen, säubert die Scheiben seines Handyladens von der Werbung für Kleinkriminelle. Doch schon am nächsten Tag stehen die Zeichen wieder ganz anders. Die Ausfahrt in ein geregeltes, ruhiges Leben - vielleicht die letzte - wird noch einmal ausgelassen. Die Pläne, mit einem Psychologen zu sprechen, werden nach einem kurzen Treffen mit Howard buchstäblich das Klo runtergespült. Was soll es auch bringen, mit einem Therapeuten zu sprechen, wenn man danach trotzdem so scheiße aussieht? Dann lieber Weitermachen und dem Bewährungshelfer die großen Zukunftspläne darlegen, wie ein Superbösewicht, der von der Weltherrschaft spricht. Sein Gegenüber nimmt das nur mäßig ernst, unterbricht Jimmys gigantomanische Rede stattdessen mit einem lakonischen "So, lawyer." Der kann aber auch nicht ahnen, was da auf Albuquerque zukommt.
"It's gonna be like it was, but bigger and better. Everything will be better."
Notizen am Rande:
- So viel Spaß ich auch mit Mike, Gus und Werner habe: Es erschließt sich mir nicht so ganz, warum wir ein Prequel zum Bau des Labors brauchen, außer, dass Jimmy irgendwann einmal in das Unternehmen einbezogen wird. Quite a Ride ist auch deshalb so eine starke Episode, weil die ganze Kartellgeschichte zurücktritt und mehr Platz für Jimmy und Kim da ist.
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"We are like a Mathew Brady photo", scherzt Jimmy, während Kim ihn behandelt. Kommt hin .
- Die wundervolle Montage von Jimmys Handyverkäufen ist ein netter Querverweis an Quentin Tarantino, samt lauter aus dem Kofferraum gefilmter Deals. Randy Crawfords Street Life wurde auch bei Jackie Brown verwendet.
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