Brutal fröhliche Unvorhersehbarkeit bei Paranoia Agent

03.09.2012 - 08:00 Uhr
Paranoia Agent
Anime Virtual
Paranoia Agent
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Dieser Text aus unserer Aktion Lieblingsserie bringt euch den Anime Paranoia Agent näher. Er beschreibt, wie sehr die Serie dem Leben ähnelt: zerschmetterte Erwartungen, Unvorhersehbarkeit und Subversion, gepaart mit der Weigerung, in ein Genre zu passen.

Alleine schon dieser Anfang. Kunterbunter Japano-Pop, dazu die Figuren der Serie, glücklich lachend, während sie mitten im Verkehr stehen, oder von Klippen zu fallen drohen, oder ein Atompilz hinter ihnen aufsteigt. Die Apokalypse naht, aber es wird hemmungslos gelacht. Die Welt geht unter, aber wir haben unseren Spaß. Oder so. Schwer zu sagen. So brutal, so fröhlich.

Worum es geht: Menschen. Eine junge berühmte Designerin, die auf der Straße von einem Jungen auf Rollerblades mit einem Baseballschläger niedergeschlagen wird. Ein gewissenloser Reporter, welcher eine große Story wittert und selbst zum Opfer wird. Zwei Polizisten – good cop, bad cop, aber das wird noch subversiert – welche von dem Fall sichtlich überfordert sind. Und noch mehr Attacken. Eine mysteriöse Obdachlose. Ein populärer Schuljunge, welcher unter Verdacht gerät, hinter den Angriffen zu stecken. Seine Nachhilfelehrerin, welche sich nicht von einer zweiten Identität lösen kann. Ein Mädchen, das vor ihrem Vater flieht. Ein korrupter Polizist. Eine Ehefrau, die sich als Last für ihren Mann sieht. Ein Panoptikum des menschlichen Scheiterns an sich selbst. Ein Kaleidoskop der Verzweiflung.

Ein Erzählkonzept wird aufgebaut und jäh durchbrochen. Danach: Pure Unvorhersehbarkeit. Nichts ist, wie es scheint. Die Richtung wechselt permanent, die Stimmung ebenso. Eine Zeichentrickfigur erklärt uns, wie Zeichentrickfilme produziert werden, Sekunden später geschieht ein grausamer Mord. Realität durch gestörte Wahrnehmung verzerrt – mal aus ihrer Sicht, mal aus seiner Sicht, mal aus unserer Sicht, einer arg verwirrten. Es ist alles nur ein Bewusstseinszustand.

Worum es geht: Menschen. Menschen wie wir, vielleicht in unglücklicheren Situationen, aber ebenso der Verdrängung und der Flucht verfallen. „Shounen Bat“, der Junge mit den goldenen Rollerblades und dem geknickten Baseballschläger, auf dem Weg, die Verlorenen zu erlösen. So möchte man es glauben, dann wieder: Bruch, zerschmetterte Erwartungen, neue Fragen. Unvorhersehbarer geht es nicht. Paranoia Agent braucht kein Genre, wie das Leben kein Genre braucht, wie unsere Gedanken und Gefühle kein Genre brauchen. Prämisse: Der Weg zur Erlösung. Die Welt geht unter, weil jeder im Einzelnen untergeht. Weil keiner sich traut, seine Ängste zu formulieren. Sich ihnen zu stellen. Die Welt versinkt in Paranoia. Dann: Schlag.

Satoshi Kon. Viel zu früh verstorben, aber so viel hinterlassen, wenn auch zahlenmäßig so wenig. Paranoia Agent: Sein Höhepunkt, seine Eigenhommage. Persönlichkeitsspaltung wie in Perfect Blue, Menschen in fremde Erzählung eingesogen wie in Millennium Actress, unmögliche Freundschaften zwischen den seltsamsten Menschen wie in Tokyo Godfathers. Und das Ende weist gen Paprika, wo die Grenzen der Welt durch die Grenzen unserer Welt definiert werden (es gibt keine Grenzen). Alles, was er uns noch hätte mitteilen können, in dreizehn Folgen Animation untergebracht. Intimer als die meisten Realfilme.

Mir fehlen die Worte. Mir fehlt die Zeit, einen würdigen Text zu schreiben. Ich muss, unbedingt, weil ich mir einrede, ich muss die Gelegenheit nutzen, für diese Perle zu werben, sie mit all meiner Begeisterung der Menge zu präsentieren. Nicht einmal meine Lieblingsserie, keine Nostalgie, keine lebensprägende Erfahrung, aber Faszination, die man teilen möchte. Tiefe, die man als nicht von genug Menschen erforscht betrachtet. Letzten Endes scheitere auch ich an mir selbst, an meiner Paranoia. Fehlt nur der befreiende Schlag auf den Schädel (ist er denn befreiend?). Was muss ich denn schon.

Am Ende verschmelzen Psyche und Physis. Die Apokalypse im Geist wird zur Apokalypse in Form. Die Fragen sind geklärt, die richtigen Wege wiederentdeckt. Im Abspann wieder die einzelnen Figuren. Nun schlafend, alle beisammen auf einer Wiese, friedlich, harmonisch. Frieden. Harmonie. So schwer, diese zu finden. Aber nicht unmöglich. Auch nicht in unserer, nicht-gezeichneten, „realen“ Welt. Die Welt, ein Bewusstseinszustand. Also ist Harmonie möglich. Wir dürfen nur nicht ständig fliehen, in Angst vor anderen, in Angst vor uns selbst. Wozu die ganze Paranoia?


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