Castingshow-Alarm, einmal 15 Minuten Ruhm für jeden!

18.12.2009 - 15:00 Uhr
Auch Furzen kann ein Supertalent sein.
RTL
Auch Furzen kann ein Supertalent sein.
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Supertalent, DSDS, Star Search, Popstars, Topmodel, Big Brother – das Format der Casting- und Reality-Show zieht sich weltweit durch alle Sender. Was ist da so wahnsinnig Faszinierendes dran? Wir sagen es euch.

In ein paar Jahren wird jeder einmal für 15 Minuten berühmt sein – Andy Warhols berühmter Spruch aus dem Jahr 1968 beschreibt unsere moderne Realität sehr genau. Damals löste dieser Satz noch eine gewisse Beunruhigung aus, heute können wir uns vor Möchtegern-Stars kaum retten.

Wer heute noch über diese Entwicklung wettert, ist mit seiner Einstellung am Pop-Kultur-Pessimismus vorbeigeschrammt und geradewegs in der Einsiedlerklause eines Trappistenmönchs gelandet. Castingshows und Reality TV haben die 15 Minuten Ruhm theoretisch für jeden in greifbare Nähe gebracht. Dunkel erinnert sich der geneigte Zuschauer noch des Skandals um die Erstausstrahlung von Big Brother, als die durch die Titelwahl beabsichtigte Nähe zu George Orwells Dystopia noch ein Gewitter an negativer Aufmerksamkeit auslöste – komplett mit Ekelschauern und Empörungswellen. Mittlerweile geht Big Brother in die 10. Staffel, es gibt also noch genügend Zuschauer. Der Rest der Gesellschaft wandte sich schnell neuen Aufregern zu, da schnell klar war, dass das rund um die Uhr gefilmte Leben von “Normalos” genauso langweilig ist, wie das eigene. Essen kochen, Zähne putzen, ein Quickie unter der Bettdecke – wer filmt sich denn tagtäglich bei diesen unglaublich spannenden Aktivitäten?

Die Apathie gegenüber dem einst so gehypten Format ist ein Merkmal des Konzepts 15 Minuten Ruhm: Es gibt extrem kurze Halbwertszeiten. Die erste Staffel von Big Brother bescherte uns den berüchtigten Zlatko, dessen kurzes Dasein als Star im Jahr 2001 endete. Da nahm er mit dem Lied „Einer für alle“ an der Vorentscheidung für den Eurovision Song Contest teil, wurde vom Publikum ausgepfiffen und ging mit den Worten „Vielen herzlichen Dank, ihr Fotzköpfe!“ endgültig von der Bühne. Ein Abgang mit Stil. Doch wer kann mir die Gewinner der zweiten Staffel nennen, oder jemand Berühmten aus der dritten? Eben. Ähnliches passierte mit DSDS, den Topmodels und vielen anderen Formaten. Daniel Küblböck ist zumindest ein Begriff, Mark Medlock verlängerte seine Relevanz clever durch die Symbiose mit Dieter Bohlen. Wer aber kennt die Sieger der vierten Staffel von Popstars, oder der fünften Version von DSDS?

Interessantweise übersteigt die Langlebigkeit der Formate die Halbwertszeit der durch sie produzierten “Stars” um ein Vielfaches. Dem liegt ein geniales, zweiteiliges Konzept zugrunde. Der erste Teil jeder Show ist das öffentliche Casting, wo sich Normalos die Klinke in die Hand geben, um ihre “Talente” vorzustellen. Das ganze Theater lässt sich kurz unter dem Begriff “Fremdschämen” zusammenfassen. Wenn sich offensichtlich untalentierte Freaks bar jeder Selbstreflektion in aller Öffentlichkeit prostituieren, sitzt der Zuschauer schadenfreudig vor der Glotze und kichert: “Oh Mann, merkt der’s noch?”

So sieht fremdschämen aus:

Im zweiten Teil schlägt die Stimmung um, und der Zuschauer wartet auf ein Aschenputtel. Ungeschliffene Diamanten werden ihrer obskuren Existenz entrissen und dürfen sich endlich im wohlverdienten Ruhm sonnen. Der Zuschauer bekommt das wohlige Gefühl, dass jeder es mal schaffen kann – und zwar ohne jahrelanges Training oder die richtigen Beziehungen. Das beste Beispiel war Susan Boyle, die schottische Hausfrau mit der schlechten Frisur, deren starke Stimme jeden überraschte, der sich von ihrem matronenhaften Äußeren täuschen ließ.

Dieser Clip von Susan Boyles erstem Auftritt sorgte im Internet für Furore:

Hollywood setzte bisher das Konzept des “Normalos”, der plötzlich berühmt wird, ganz anders um. Ed TV und Die Truman Show waren Beispiele für Big Brother-artige Konzepte, die aus normalen Bürgern rund um die Uhr überwachte Hamster im Käfig machten. Viel interessanter für die Traumfabrik ist derzeit aber das Konzept des Avatars, welches in Streifen wie Avatar – Aufbruch nach Pandora, Gamer oder Surrogates – Mein zweites Ich das Übergreifen der virtuellen Realität in unser Leben thematisiert.

In Hollywood kommen die Stars auch nicht aus der Dunkelheit durch irgendeine Casting-Show zu ihrem Status. Zwar ist die Presse fasziniert, wenn ein Schauspieler wie Sam Worthington (vorher Maurer) oder Harrison Ford (früher Zimmermann) eine ungewöhnliche Vita hat, aber meist sind auch diese Stars von ihren normalen Jobs durch Schauspiel-Kurse und unzählige Bewerbungen gegangen, bis sie ihre erste Rolle landeten. Einmal nur gab es die Aktion zu Vom Winde verweht, wo Zuschauerinnen durch Zeitungsanzeigen aufgefordert wurden, sich für die Rolle der Scarlett zu bewerben. Den Zuschlag bekam schließlich nicht etwa eine Teilnehmerin, sondern die relativ unbekannte, aber professionell ausgebildete britische Schauspielerin Vivien Leigh.

Eines bleibt als Fazit: Das Konzept der Castingshow ist ein Selbstläufer, der noch einige Zeit andauern wird. Die Dramaturgie ist zwar vorhersehbar, aber die Shows haben eben den unsterblichen Schäm-und-Mitfieber-Faktor. Darüber hinaus fehlt es nicht an motivierten Teilnehmern und die Produktion ist billig. Es kommen immer noch neue Formate auf den Markt, die dem ursprünglichen Konzept einen Kick geben, wie zuletzt das Supertalent, dessen großes Finale am Samstag, dem 19. Dezember um 20.15 Uhr ausgestrahlt wird.

Wie steht ihr zu Castingshows und Reality-Formaten? Qualitäts-Unterhaltung oder Schund? Langeweile oder Aufreger?

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