Color Grading - Warum jeder Film gleich aussieht

03.07.2013 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Tron Legacy
Walt Disney
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Das Kino ist auf dem besten Weg, sich mit der Farbgebung seiner Filme in eine ästhetische Sackgasse zu bewegen. Die ewig gleichen Kontraste und Kombinationen bilden längst schon einen visuellen Einheitsbrei, der Vielfalt unmöglich macht.

Es gibt einige Gründe, warum ich „privat“, also nur meiner ganz persönlichen Leidenschaft zuliebe, vorrangig so genannte alte Filme schaue. Die Beschäftigung mit aktuellem Kino erfordert es schlicht, viele Filme zu sehen, und darunter natürlich auch viele, die ich vielleicht lieber nicht gesehen hätte. Im letzten Jahr waren es etwa 180 Produktionen aus 2012, vom gigantomanischen Blockbuster bis zum Nischenfilm, der nach seiner Premiere in der Sektion irgendeines Festivals vielleicht nie mehr zu sehen sein wird. Der private Rückzug in die Filmgeschichte ist da aber nicht nur eine Reaktion auf etwaige Übersättigung, sondern ein stückweit auch die Flucht vor den visuellästhetischen Sackgassen des Gegenwartsfilms. Eine dieser Sackgassen ist das monotone Color Grading.

Von der Unart der identischen Farbgebung sind sowohl der gigantomanische Blockbuster als auch der Nischenfilm auf dem Festival betroffen. In den letzten 15 Jahren hat sich das Color Grading wie eine Krankheit über den nunmehr lediglich hypothetischen optischen Reichtum des Kinos gelegt. Es heißt, wer einmal davon Kenntnis genommen hat, wird es nie mehr übersehen können.

Die Virulenz des Color Gradings
Color Grading ist im Wesentlichen das, was einmal unter dem Begriff der Farbkorrektur firmierte, etwa in Photographie, Film oder Video. Längst aber beschriebt es, insbesondere in Zeiten des Digital Intermediate (DI), die digitale Aussteuerung von Farben zugunsten kategorischer Stimmungserzeugung. Es geht also im wörtlichen Sinne nicht mehr um die Korrektur, um die Bereinigung simpler Bildfehler, sondern die Bestimmung der Farben und visuellen Ausrichtung. Um die Erschaffung eines nachbearbeiteten Gesamtlooks in der Postproduktion. Nun bin ich natürlich kein Filmschaffender. Und die Diskussion mit Filmschaffenden über das Thema kann schnell in eine demonstrative Überlegenheit derselbigen ausarten. Ganz so, als sei nur derjenige befähigt über etwas zu urteilen, für das er allein aufgrund praktischer Erfahrung Kompetenzen beansprucht. Um Color Grading als konkreten technischen Prozess soll es hier natürlich nicht gehen, und das würde auch kaum jemanden interessieren (falls doch: dieses Video liefert eine Einführung). Die ästhetische Sackgasse kann ohnehin nur von der Warte der Empfindung her argumentiert werden: Die Virulenz des Color Gradings offenbart sich ja erst in der Rezeption von Kino.

Farbliche Gleichmachung
Warum aber Sackgasse? Es haben sich handelsübliche Farbgebungen durchgesetzt, in deren konfektionierter Sättigung nahezu sämtliche Hollywoodfilme, und längst auch Produktionen anderer Länder, vom Big-Budget- bis zum Independentfilm, einem visuellen Standard huldigen. Dieser Standard bildet als farbliche Gleichmachung aber nicht unbedingt nur eine ästhetische Entsprechung der auch sonst auf Einheitsbrei gebürsteten Produktionen. Denn das gesamte gegenwärtige Kino (und Kino ist ja gottlob mehr als Hollywood) erstrahlt in den ewig gleichen Farbkombinationen aus ganz besonders grün-grau und blau-orange (bzw. blaugrün-rotorange).

Das Color Grading, theoretisch sinnvolles Werkzeug visueller Akzentuierung, ist dabei zu einem der größten ästhetischen Klischees des Filmemachens verkommen. Jeder Science-Fiction-Dystopie muss hinter künstlichem Filmkorn die Farbe entzogen, jedem Horrorfilm der bläuliche Gruseltouch verliehen und jeder Rückblende der obligatorische Sepia-Anstrich verpasst werden. Bestimmte farbliche Codes scheinen längst untrennbar verbunden mit Genres, Standards, Konventionen. Die künstlerische Entscheidung, die Frage des individuellen Stils, weicht einem gestalterischen Dogma: Es so zu machen, wie es auch erwartet wird. Wie es möglichst „schick“aussieht.

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