Das verlorene Spider-Man-Universum: Zerdrückt vom MCU und Tobey Maguire

26.06.2019 - 10:30 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
The Amazing Spider-Man 2Sony Pictures
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Lange vor dem MCU gab es schon ein Spider-Man-Universum. Die Marvel-Reihe um Andrew Garfield wurde ausgebremst, bevor sie Schwung aufnehmen konnte.

"Spider-Man-Gedanken" heißt eine Mail, die ein Mann namens Nick Shore im November 2013  an die bekannte Sony-Produzentin Amy Pascal schickt. Nick Shore beriet die Produktion um Spider-Man offenbar in Zeitgeistfragen. Hot Yoga und Snapchat-Stories, schrieb Shore, seien gerade der heiße Scheiß bei den Millennials. Ob das nicht auch was für unseren Spidey wäre.

Sony hatte viel vor mit Spider-Man und im Jahr 2013 schien auch noch alles möglich. Andrew Garfields Peter Parker straffte seinen drahtigen Body in The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro (2014) nicht mit Hot Yoga, immerhin wummerten harte Dubstep-Riffs durch die New Yorker Häuserschluchten. Aber ein Jahr nach der Nick Shore-Mail war alles vorbei.

Ein E-Mail-Leak lässt ein Spider-Man-Franchise einstürzen

Als Sony im Dezember 2014 Opfer eines Hacks wurde , kamen nicht nur halbgare Spider-Man-Gedanken ans Licht. Erstmals wurde damals bekannt, dass Sony erwägte, seine wertvollste Marke Spider-Man an Marvel auszuleihen. Der MCU-Anschluss sollte endlich wahr werden - und damit auch ein riesiger Fan-Traum Wirklichkeit.

In den Mails ging es um eine neue Spider-Man-Trilogie, die Marvel produzieren sollte. Auch von einem Auftritts Spider-Mans in einem gewissen Captain America: Civil War-Film war die Rede. Der Leak riss Andrew Garfields Spider-Man endgültig den Boden unter den Füßen weg. Die vorsichtigen Marvel-Überführungspläne wurden mit ihrem Bekanntwerden zur selbst erfüllenden Prophezeiung.

Hatte Andrew Garfields Spider-Man überhaupt eine Zukunft?

Am 9. Dezember 2014, als der Inhalt der wichtigsten Mails der Spider-Man-Geschichte bekannt wurde, starb ein kaum halbfertiges Superhelden-Franchise.

Ein halbes Jahr zuvor zerriss die Kritik den irrsinnig teuren, zweiten Spider-Man-Film mit Andrew Garfield. Er spielte 47 Millionen US-Dollar weniger ein als sein Vorgänger. Die neue Spider-Man-Filmreihe, als frischer Neustart geplant, verlor an Relevanz und Fürsprechern. Einen sicheren Stand hatte das Reboot von Mark Webb auch vorher nicht, es startete nur fünf Jahre nach der beliebten und bis heute geachteten Sam Raimi-Trilogie mit Tobey Maguire. Schon damals, so schien es, drehte Sony einfach nur einen Spider-Man-Film, um einen Spider-Man-Film zu drehen.

Wir hatten große Pläne: Das verlorene Spider-Man-Universum

Sony plante sein neues Spider-Man-Universum mit Emma Stone (Gwen Stacy) und Andrew Garfield im Zentrum ungefähr so weit voraus, wie Disney heute den Abfertigungsrhythmus seiner MCU-Filme taktet. Das Universum war nach seinen zwei Filmen erst am Aufwachen.

Zwei weitere Spider-Man-Film mit Andrew Garfield in der Hauptrolle waren gesetzt. Allerdings hatte Garfield nur für drei unterschrieben und Spider-Man 3 wurde bereits für ein neues Projekt verschoben. Auch das gehört zur Wahrheit um das im Keim erstickte Spider-Verse: Garfields dritter Spider-Man wäre womöglich auch ohne die Marvel-Planspiele nie verwirklicht worden.

Der Sinister Six-Film von Drew Goddard, der auch heute noch nicht vollständig gestorben ist, hatte Priorität. Sony erkannte das Potenzial von Spin-offs über Anti-Helden-Figuren aus dem Spider-Man-Universum, das mittlerweile konsequenter ausgeschöpft wird. Ein Venom-Solo-Film, inzwischen verwirklicht, sollte ins Universum eingeflochten werden.

Was im 3. Spider-Man-Film mit Andrew Garfield passieren sollte

Eine Menge verrücktes Zeug haben wir verpasst, um es mal so auszudrücken. Regisseur Marc Webb, der beiden Filmen einen klaren Stempel aufgedrückt hatte, brannte für das Projekt. Die Story für Amazing Spider-Man 3 war fertig. Hier ein Auszug aus seinem Konzept für Teil 3, das er  Den of Geek  anvertraute.

  • "Chris Cooper sollte zurückkehren und den Grünen Kobold spielen." (Sein Norman Osborn starb in Teil 1)
  • "Wir hätten seinen Kopf eingefroren und ihn zum Leben erweckt."
  • Außerdem sollte es einen Charakter namens The Gentleman geben - der Hauptbösewicht, der wiederum die Sinister Six vorbereiten sollte. Auch Vulture kam zur Sprache, heute bekannt durch Michael Keatons Darstellung in Homecoming.

Überhaupt klingen manche Ideen rund um den 3. Spider-Man so abgedreht, dass ich mir nicht sicher bin, ob die Beteiligten das alles wirklich ernst meinen oder sich einen Spaß auf Kosten dieses am Boden liegenden, nie verwirklichten Filmes erlauben. Denis Leary zum Beispiel, der den Vater von Emma Stones Gwen Stacy spielte, ließ 2015 diese Katze aus dem Sack:

Da gab es diese Idee, dass Spider-Man an einem bestimmten Punkt diese Formel nutzt, um Leute aus seinem Leben wiederzubeleben, die gestorben waren.
Dementsprechend gab es die Diskussion, dass Captain Stacy in einer größeren Rolle in Teil drei wiederkommen würde. Und ich dachte: Los geht's!

Dann vielleicht doch lieber irgendwas mit Hot Yoga.

Spider-Mans Weg zurück ins MCU

Dass aus all dem nichts wurde, schiebt Marc Webb nur zum Teil auf den Marvel-Deal. "Es hat alles beschleunigt und verkompliziert," sagte er 2017. Es sei eine schwere Zeit für Sony gewesen. Dass Marvel seinen Spider-Man zurückhaben wollte, wusste er, als er die Story für den 3. Teil verfasste.

Im Februar 2015, kaum 2 Monate nach dem Hack, meldeten Marvel und Sony im Fall Spider-Man Vollzug . Nochmal vier Monate später, und Marvel hatte einen neuen Spider-Man: Tom Holland. Andrew Garfield war Geschichte.

Das MCU brauchte Spider-Man dringender als Sony

Der MCU-Boost verschaffte Homecoming ein 170 Millionen Dollar-Plus gegenüber seinem unbeliebten direkten Vorgänger Rise of Electro (710 Mio. US-Dollar weltweit). Amazing Spider-Man 1 spielte noch 757 Mio. Dollar ein. Es hat sich gelohnt für Disney. Die Fans sind glücklich, Spider-Man ist ein Herzstück des jetzt deutlich verjüngten MCU.

Die Entscheidung, Spider Man "Zurück nach Hause" zu holen, wirkt im Rückblick wie der erste Schritt eines größeren Plans. Nach einem deutlich spektakuläreren Heist gehören die X-Men jetzt Disney, die MCU-Eingliederung ist nur eine Frage der Zeit. Auch das bei Netflix gewachsene Hells Kitchen-Universum um Daredevil wird über kurz oder lang gerebootet im MCU aufschlagen. Die verstreuten Marvel-Stars assemblen bei Disney.

Und was machen wir jetzt mit Amazing Spider-Man?

Das liegt an uns. 17 Jahre liegen zwischen Spider-Man 1 mit Tobey Maguire und Spider-Man: Far From Home, dem zweiten MCU-Solofilm mit Tom Holland als Peter Parker, der nächste Woche in die Kinos kommt. Sieben Spider-Man-Filme erschienen in diesen 17 Jahren, mit drei verschiedenen Peter Parkers.

Irgendwo dazwischen zerquetscht liegen die Amazing-Filme, umzingelt von Raimis Brillanz und der durchorganisierten Marken-Power des MCU, nichts Halbes, nichts Ganzes, ein Rumpf. Aber trotzdem doch irgendwie schön und wertvoll.

Das Komische an Rise of Electro ist ja, dass er gleichzeitig unfertig und abgeschlossen wirkt. Abgeschlossen, weil die Figur zu sich findet. Peter Parker ist in zwei Filmen ein paar Mal mächtig auf die Schnauze gefallen, er hat viele Prüfungen bestanden und Verluste eingesteckt, steht am Ende aber mit beiden Füßen fest auf Manhattan-Asphalt und beschützt sein New York.

Unfertig wirken die beiden Filme nur deshalb, weil wir wissen, was noch möglich gewesen wäre, was geplant war und was die Franchise-Maschine noch in Petto hatte für diesen Spider-Man. Aber es gibt eine einfache Lösung: In der zerfahrenen Spider-Man-Geschichte kann Andrew Garfields Reihe zu Größe finden, wenn wir all das vergessen und sie einfach als Zweiteiler betrachten. Nichts weiter.

Hättet ihr euch weitere Spider-Man-Filme mit Andrew Garfield gewünscht?

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