Es ist Sommer und niemand denkt um diese Zeit an den Oscar, der bekanntlich im winterlichen Februar verliehen wird. Das stimmt nicht ganz: Eine kleine Kommission aus neun deutschen Filmschaffenden aller Coloeurs hat die deutschen Filme gesichtet und sich für einen Kandidaten entschieden, der den Oscar nach Deutschland holen soll. Es ist Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte von Michael Haneke. Der Film hat bereits in diesem Jahr die Goldene Palme in Cannes gewonnen, beschäftigt sich mit den psychologischen Ursachen für die Entstehung des Nationalsozialismus und ist ein in schwarz-weiß-gehaltendes Sittenbild des Protestantismus.
Der Österreicher Michael Haneke erzählt in Das weisse Band von einem Dorf im Norden Deutschlands am Vorabend des Ersten Weltkriegs 1913/14. Es geht um den Dorflehrer, der den Schul- und Kirchenchor leiten, seine kindlichen und jugendlichen Sänger sowie deren Familien: Gutsherr, Pfarrer, Gutsverwalter, Hebamme, Arzt, Bauern. Seltsame Unfälle passieren und nehmen nach und nach den Charakter ritueller Bestrafungen an. Alle fragen sich: Wer steckt dahinter?
Wie die Fachjury bekannt gab, habe Das weisse Band “durch seine erzählerische und ästhetische Qualität sowie seine außergewöhnliche Figurenzeichnung einer Dorfgemeinschaft in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts überzeugt.” Andere deutsche Filme, die auf der Liste standen, hatten gegen den Cannes-Gewinner keine Chance. Insgesamt gab es neben Das weisse Band noch elf andere Kandidaten: John Rabe, Anonyma, Nordwand und auch Krabat, aber keiner konnte die Jury derart beeindrucken. Die Oscar-Verleihung ist für den 7. März geplant und dann wissen wir, ob auch die Amerikaner von dem Film begeistert sind.
Die Entscheidung für den deutschen Oscar-Kandidaten ist einen Monat früher als üblich gefallen. Hätte sich die Jury für einen anderen Film entschieden, dann hätte Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte immerhin noch durch Österreich in Oscar-Rennen geschickt werden können, wird als Grund angegeben. Die Österreicher sind allerdings nicht alle ob dieser Entscheidung glücklich. Wie der Leiter der Austrian Film Commission Martin Schweighofer in der Presse zitiert wird, müsste der Film als österreichischer Streifen eingestuft werden. Nach den Regeln der Oscar-Nominierungen für den Besten fremdsprachigen Film müssen zumindest zwei von drei Kategorien für das nominierende Land erfüllt sein: Produzent, Regisseur und Drehbuchautor. Nun ist Michael Haneke Österreicher, aber wie Hanns-Georg Rodek in der Welt feststellt, hat sich German Films bereits bei der American Academy abgesichert: Sie wird Das weisse Band als deutschen Film akzeptieren.