Like a Complete Unknown: Der Bob Dylan-Film mit Timothée Chalamet macht eine Sache richtig, die sonst viel zu oft falsch läuft

15.02.2025 - 07:36 UhrVor 2 Monaten aktualisiert
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Like a Complete Unknown wirkt auf den ersten Blick wie eines von vielen Musiker-Biopics. Doch dann hat mich der Bob Dylan-Film mit Timothée Chalamet in einem Punkt komplett überrascht.

Ich hatte die Hoffnung fast aufgegeben, dass mich Like a Complete Unknown doch noch im Kino umhauen wird. Viel zu oft habe ich in den vergangenen Wochen gelesen, dass der neue Bob Dylan-Film die langweiligste Form des Musiker-Biopics darstellt und sich nur pflichtbewusst am Leben ein Legende abarbeitet. Selbst der James Mangold-Enthusiast in meinem Herzen verblasste in den vergangenen Wochen.

Als ich mich gestern Abend auf der Berlinale in die Pressevorführung von Like a Complete Unknown begab, waren meine Gefühle sehr gemischt. Plötzlich fühlte sich der Film selbst wie eine Pflichtübung an, die auch noch mit Überlänge daherkam. Gerade in einer Welt, in der ein unfassbares Meisterwerk wie I'm Not There existiert, braucht es wirklich keine uninspirierte Dylan-Revue mit Hollywood-Prestige-Gestus.

Doch dann war ich auf einmal wieder Feuer und Flamme für den Film.

James Mangolds Bob Dylan-Film umschifft eine große Schwäche von vielen anderen Musiker-Biopics

Like a Complete Unknown beginnt 1961 in den kalten, grauen Straßen von New York. Der junge Bob Dylan (Timothée Chalamet) ist in die Großstadt gekommen, um sein im Krankenhaus liegendes Idol Woody Guthrie (Scoot McNairy) zu besuchen. Der liegt jedoch auf der anderen Seite des Hudsons in New Jersey, sodass Dylan gleich wieder umdreht, ehe er dort ankommt, wo er eigentlich hin will.

Hier könnt ihr den Trailer zu Like a Complete Unkown schauen:

Like a Complete Unknown - Trailer (Deutsch) HD
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Ausgerechnet in den hoffnungslosen Räumen des Krankenhauses entfaltet sich der erste magische Moment des Films: In Gegenwart von Guthrie und Folk-Ikone Pete Seeger (Edward Norton) spielt Dylan seinen ersten Song auf der Gitarre und zieht die beiden in den Bann. Auch ich konnte mich von den schlichten Bildern im schummrigen Licht nicht lösen, so verletzlich, kostbar und roh wirkte jede einzelne Sekunde.

Plötzlich war sie verflogen, die Angst vor dem durchproduzierten Bob Dylan-Film, der uns einmal durch den Werdegang des Musikers schleust, ohne irgendetwas von der Essenz seiner Hauptfigur einzufangen. Bei Dylan ist das mit der Essenz sowieso eine knifflige Sache, da die Persona des Künstlers vor allem daraus besteht, dass er sich so schwer greifen lässt. Das war auch eine der großen Stärken von I'm Not There.

Das von Todd Haynes inszenierte Biopic von 2007 nähert sich Dylan in fragmentarischer Form und mit sechs verschiedenen Schauspieler:innen, die sich im Kopf und Körper des Protagonisten eingefunden haben. Mangolds Interpretation fällt deutlich konkreter, aber dadurch nicht weniger einnehmend aus. Denn – im Gegensatz zu vielen anderen Biopics über Musiker:innen – interessiert sich Mangold tatsächlich für die Musik.

Sehr viel Zeit für die Musik: Timothée Chalamet und Co. müssen sich nicht durch den Film hetzen

Oft verkommt Musik in dieser Art von Filmen zum ausschmückenden Beiwerk und nimmt nur eine obligatorische Rolle ein. Sie passiert einfach, aber selten dringt man zu ihrer Entstehung, zu ihrem Charakter und ihrer Wirkung vor, da der Fokus auf der erprobten Geschichte über Aufstieg und Fall liegt. Schnelle Montagen, hier ein Highlight kurz hervorgehoben, aber dann wird sich schon zur nächsten Station gehangelt.

Was mich bei Mangold überrascht hat, ist, wie viel Zeit er sich nimmt, um die Momente zu erkunden, in denen Songs gespielt werden. Hier entsteht nie diese Gleichgültigkeit, mit der von A bis Z jeder wichtiger Punkt abgehandelt wird. Stattdessen versinkt der Film in den Gitarren, in den Worten und Stimmen – und auch in den Gesichtern, spärlich beleuchtet von einem geheimnisvollen Scheinwerfer im dunklen Raum.

Dylans schüchterne und dennoch mit der Überzeugung seiner flinken Finger und kratzigen Stimme vorgetragene Performance im Krankenhaus bei Guthrie und Seeger ist die erste von vielen Szenen, in denen ich vollständig in die Musik eintauchen konnte. Mangold weiß, dass er dem Mythos Dylan nicht allzu viel Neues hinzufügen kann. Deswegen hört er seiner Musik und wie sie sich verändert umso aufmerksamer zu.

Like a Complete Unknown ist über weite Strecken ein unerwartet entschleunigter Film, der am liebsten in rauen, atmosphärischen New York-Bildern verweilt. Trotz ihres digitalen Ursprungs fühlen sich diese so an, als wären sie direkt aus der damaligen Zeit gegriffen. Reich an Textur und Details: Dylans Musik bettet sich in eine greifbare Umgebung ein, durch die ich komplett gedankenverloren wandern konnte.

Like a Complete Unknown lebt sehr von seiner nachdenklichen, herbstlichen New York-Atmosphäre

Graue Bordsteinkanten, nasser Asphalt und von Laubblättern bedeckte Treppenstufen: Like a Complete Unkown führt durch das herbstlich, kalte New York, von den glühenden Neonlichtern im Hintergrund eines Diners bis zur warmen Studioumgebung, wo nichts faszinierender ist als der Graben zwischen Mikrofon und Mundharmonika. Und an diesem Punkt hat Dylan noch nicht einmal angefangen, elektrisch zu spielen.

Das ist die große Rahmung des Films: Dylan, der zum Folk-Helden aufsteigt und später beim Newport Folk Festival als Verräter der Musikrichtung auf der Bühne ausgebuht wird. Mangold fokussiert sich auf die vier Jahre, die dazwischen liegen, ehe er Like a Rolling Stone mit voller Wucht entfesselt und die Leinwand zum Beben bringt. Ein ekstatisches Finale, das einen Musikgeschichte hautnah miterleben lässt.

In Erinnerung bleibt mir Like a Complete Unkown aber mehr durch seine überraschend ruhigen, nachdenklichen und dadurch auch sehr berührenden Momente. Manchmal klopft Mangolds Film sogar bei der Einsamkeit von Inside Llewyn Davis an und verweilt in dem Augenblick, in dem ein Song seinen Weg in einen spärlich beleuchteten Raum findet, egal, ob er von Bob Dylan, Joan Baez oder Pete Seegers gesungen wird.

Oh, und ich war nicht darauf vorbereitet, wie unfassbar gut das Casting von Boyd Holbrook als Johnny Cash ist. Mangold widmete Cash bereits vor zwei Dekaden mit Walk the Line ein Biopic. Damals hat Joaquin Phoenix die Country-Legende gespielt. Nun schafft Holbrook in kürzester Zeit seine eigene Version des Sängers. Die strotzt nicht nur vor Energie, sondern bringt auch ein tiefes Verständnis für Dylans Eigensinn mit.

Wir haben Like a Complete Unknown im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen. Am 27. Februar 2025 startet der Film regulär in den deutschen Kinos.

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