Einmal mit der Zunge über Pinkellachen und erbrochene Bockwurststückchen auf der Reeperbahn fahren und ihr habt einen Vorgeschmack davon, wie sich Der goldene Handschuh anfühlt. Regisseur Fatih Akin (Aus dem Nichts) hat seinen Totmacher gefunden. Gestatten: Fritz Honka, realer Serienmörder, Roman- und nun Filmheld. Bei der Berlinale 2019 feierte die Literaturverfilmung nach Heinz Strunk Premiere. Es ist ein grausamer Film, nicht so sehr wegen seiner ausgemachten Gewaltszenen, in denen Frauen vergewaltigt, erschlagen und erwürgt werden. Vielmehr bereiten die verlorenen Gesichter Schmerzen. Säufernase, glasiger Blick, leere Pupillen. Keine Zukunft. Nirgends. In Der Goldene Handschuh werden wir zum Hinsehen gezwungen. Frauenschädel bersten außerhalb des Bildes, ihre Augen aber starren vorher durch uns hindurch.
- Der Goldene Handschuh basiert auf wahren Begebenheiten aus dem Hamburg der 1970er Jahre.
- Jonas Dassler spielt den Mörder Fritz Honka so überspannt, als hätte er Unterricht bei Joaquin Phoenix genommen.
- Der goldene Handschuh ist ein grausames Horrormärchen, das seinen "German Psycho" in den Randgestalten der Nachkriegsgesellschaft findet.
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Berlinale 2019 - Alle Artikel zum Festival auf einen Blick
Einmal zertrümmert Fritz Honka (Jonas Dassler) eine leere Flasche Korn nach der anderen auf dem Kopf eines Opfers, das einfach nicht sterben will. Honka, Flüchtling aus der DDR, arbeitet in Hamburg in einer Werft. Sein zweites Heim ist die Spelunke zum Goldenen Handschuh, wo man sich zu den Klängen von Heintjes "Du sollst nicht weinen" volltrunken in den Armen liegt. Die Verlierer der Nachkriegsgesellschaft gehen hier rein und torkeln wieder raus.
An der Oberfläche findet Der goldene Handschuh seine Stärke
Fritz Honka gehört dazu, allerdings nur zur zweiten oder dritten Klasse innerhalb der Kneipe. "Fiete" hat keinen zweigliedrigen Spitznamen - höchste Auszeichnung! - anders als "Soldaten-Norbert" und "Tampon-Günter" (die Erklärung für die Tampons wird nachgereicht und ja, sie ist eklig). In den Tränensäcken der Gäste, ihren verknoteten Nasen, deren Poren unter einem Fett- und Schweißfilm in die Kamera leuchten, blinzelt in Der goldene Handschuh eine eigenartige Schönheit auf. Liebe steckt in Fatih Akins Arrangement dieser Charakterköpfe, in deren Zügen das kurze 20. Jahrhundert ausgiebig gewütet hat.
Fritz Honka genügen derweil ein paar Gläser Fanta mit zwei, drei, vier Schuss Korn, um die älteren Frauen aus dem Goldenen Handschuh in seiner Dachbodenwohnung zu ermorden. Honkas sexuelles Verlangen findet nur in trunkener Gewalt Entladung. Wesentlich tiefer reicht die Charakteranalyse in Der goldene Handschuh nicht.
In Der goldene Handschuh entdecken wir eine grausame Märchenwelt
Die Adaption von Heinz Strunks Roman beschränkt den Blick im Vergleich zur Vorlage. Honkas Hintergrund ist Nebensache, ebenso die bessere Gesellschaft in der Hansestadt, die den Krieg trotz Schuld ganz wunderbar überstanden hat. Der Handschuh und sein Milieu dominieren das Geschehen, die Außenwelt findet nur insofern statt, als sie gelegentlich hereinschaut in das verrauchte Lokal, um neugierig nach diesen komischen Spitznamen zu fragen.
Es ist eine dunkle Märchenwelt in diesem deutschen Serienkillerfilm. Hexenhäuser auf Hühnerbeinen werden gegen verdächtig stinkende Dachkammern eingetauscht. Statt Goldenen Gänsen wartet nur der Handschuh auf Suchende. Die versenken die Gedanken an verlorene Träume am Boden eines Schnapsglases, wenigstens für ein paar Stunden.
Beinahe könnte die Angelegenheit beliebig wirken. So überzeichnet wirkt Honka, so klein und fremd scheint seine Welt, dass die in aller Mühsamkeit geschilderten Taten zur Pflichtübung zu verkommen drohen. Da muss man eben durch. Beinahe. Eine Tasse Weinbrand ändert das. Honka, ein neuer Job, gerade trocken, sitzt mit einer Kollegin zusammen. Sie kann nur in Gesellschaft trinken, meint sie und bettelt ihn förmlich an. Tränen strömen ihr übers Gesicht. Der goldene Handschuh ist überall.
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