Der Vorleser: Ein schlechter Holocaust-Film?

26.02.2009 - 08:45 Uhr
Kate Winslet in der Rolle der Hanna Schmitz
Senator Film Verleih GmbH
Kate Winslet in der Rolle der Hanna Schmitz
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Der Film berührt das schwierigste aller Themen. Macht er das gut? Geht das überhaupt? Ein Überblick.

In der Verfilmung des Bestsellers Der Vorleser von Bernhard Schlink spielt Kate Winslet eine ehemalige KZ-Aufseherin. Doch nicht nur das. Sie spielt auch eine Liebhaberin; und sie spielt eine Analphabetin, die sich so sehr dafür schämt, nicht lesen und schreiben zu können, dass sie am Ende lieber 300 Morde an jüdischen Häftlingen gesteht, als diese Tatsache ans Licht kommen zu lassen. Für diese Rolle bekam Winslet nun bei der 81. Verleihung der Academy Awards einen Oscar als beste Hauptdarstellerin. Im Vorfeld der Verleihung gab es jedoch einige Stimmen, die sich laut dafür aussprachen, dem Vorleser keinen Oscar zuzusprechen. Manche bezeichneten ihn gar als den „schlechtesten Holocaust-Film aller Zeiten“. Ist das so? Sind alle Kritiker dieser Meinung? Das sind sie nicht. Die wichtigsten Stimmen im Überblick:

Am 9. Februar schreibt der US-amerikanische Publizist und Holocaust-Experte Ron Rosenbaum im Online-Magazin Slate ein Essay über den Film. Der Titel: Gebt dem Vorleser keinen Oscar. Er ist es, der ihn als den “schlechtesten Holocaust-Film aller Zeiten” bezeichnet. Seiner Meinung nach sympathisiere der Film zu sehr mit Kate Winslets Figur und impliziere, dass “Analphabetismus etwas ist, für das man sich mehr schämen muss, als an Massenmord teilgenommen zu haben”. Ein vernichtendes Urteil, das von Unterstützern rivalisierender Filme den jüdischen Jurymitgliedern der Academy Awards gezielt zugeschickt worden sein soll, um die Chancen des Films auf einen Oscar-Erfolg zu schmälern. Vergeblich, wie die Verleihung gezeigt hat.

Auch in der deutschen Presse hagelt es teils vernichtende Kritik. Lars Jensen schreibt in der FAZ: “Es fällt schwer, dem Film seinen Anspruch abzunehmen, weil alle moralischen Appelle in der Hochglanzästhetik von Regisseur Stephen Daldry versinken. Wenn ein Film das Konzentrationslager Auschwitz im Gegenlicht der Morgendämmerung zeigt, die Gaskammern in elegante Braun- und Beigetöne taucht und die Schatten an den Öfen perfekt arrangiert: Dann hat der Artdirector sein Bestes gegeben und der Regisseur versagt.”

Peter von Becker schreibt im Tagesspiegel, dass der Film klugerweise “auf jeden rückblendende Nachstellung der Nazizeit” verzichtet. “So ensteht der Horror stärker im Kopf. Atmosphärisch dicht wirken dabei die historischen Nachkriegs-Settings, vom vorbeihoppelnden Goggomobil bis zur Straßenbahn mit Holzsitzen, Messinggriffen. Schwächer geraten dagegen die Studentenszenen aus der 68er-Zeit, trotz Bruno Ganz als kauzigem Professor. Auch die Bilder eines KZ-Besuchs, mit blitzenden Verbrennungsöfen, die ein ästhetisiertes Auschwitz suggerieren, gehören zu den hollywoodesken Ausrastern, ebenso wie die vieles verschmalzende Musik.”

In der Süddeutschen Zeitung behauptet Jörg Häntzschel, dass selbst Kate Winslet die Verfilmung nicht retten kann. “So exquisit seine Bilder von deutscher Nachkriegstristesse auch sind – an der Geschichte hat der britische Regisseur Stephen Daldry für seine Adaption gewiss nichts beschönigt. Doch das Spröde und Förmliche, auf das der Film viel zu oft vertraut, um Kitsch zu vermeiden, lässt ihn auch leblos und auf seine eigene Art kitschig erscheinen. Vor allem das erste Drittel des Films mit der verstockten und unerfüllten Affäre der beiden ist streckenweise schwer zu ertragen. Auch Ralph Fiennes, der den älteren, beziehungsunfähigen Berg, einen erfolgreichen Berliner Anwalt, spielt, fordert dem Zuschauer mit seiner gequälten Diktion und seinen noch gequälteren Zügen einiges ab.”

Doch nicht bei allen Kritikern scheint der Film durchgefallen. Es gibt auch Stimmen, bei denen positive Seiten des Films durchschimmern. Andreas Kilb zum Beispiel schreibt in der FAZ über den Vorleser und entdeckt Zersplitterung. Sie ergibt sich nicht aus der Struktur der Vorlage, sie ist ein Spezialität von Stephen Daldry. In The Hours – Von Ewigkeit zu Ewigkeit hat er sie zur Meisterschaft getrieben. Hier wirkt sein Blick unsicher, wie von zu vielen Rücksichten gehemmt. Trotzdem ist Der Vorleser ein beeindruckender Film. Und das verdankt er Kate Winslet, die als Hanna Schmitz alles zugleich ist: die Heldin, das Ungeheuer und das Lustojekt der Geschichte. Einige Kritiker haben Schlinks Roman vorgeworfen, er wecke Verständnis für eine Nazi-Täterin. Das tut auch der Film. Aber Kate Winslet schafft es, dass sie uns dabei zugleich immer unheimlicher wird. Das muss man einfach bewundern."

In der Welt meint Hanns-Georg Rodek, dass der Film trotz Hochglanz-KZ überzeuge. Er “bezieht seine Spannung gerade aus dem Widerspruch zwischen glatter Oberfläche und den dunklen Strömungen im Untergrund. Der Film posaunt seine Konflikte nicht hinaus, sondern lässt sie subkutan köcheln.
Kate Winslet ist großartig, David Kross berührend, Ralph Fiennes unendlich traurig, und für all die anderen – Hannah Herzsprung, Bruno Ganz, Karoline Herfurth, Burghart Klaußner – gilt, dass selten kleinere Rollen derartige Prägnanz erreichen wie hier.”

Das Fazit? Es gibt positive wie negative Stimmen, alle eint eine gewisse unangenehme Berührtheit. Richtig über den Holocaust sprechen scheint nicht möglich. Die Kritik ist sich einig, dass der Film die Wunde nicht schließt, die über dem Umgang mit diesem Thema klafft. Das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte verwehrt sich immer noch einem darstellenden Zugang. Und es wird nicht leichter in einer Zeit, in der Priester und sogar Präsidenten gewisser Länder lauthals bestreiten, dass die Shoa sechs Millionen Opfer gefordert hat. Da wird das Nachsehen haben, wer nicht jedes Bild auf die Goldwaage legt.

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