Deutschland 09: Interview mit Nicolette Krebitz

24.03.2009 - 11:00 Uhr
Nicolette Krebitz
Joachim Gern
Nicolette Krebitz
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Die Regisseurin Nicolette Krebitz gibt Auskunft zu ihrem Kurzfilm Die Unvollendete.

Zunächst wurde Nicolette Krebitz als Schauspielerin (Bandits) bekannt. Später führte sie Regie bei Jeans und Das Herz ist ein dunkler Wald. Sie gibt hier ein Interview zu ihrem Kurzfilm Die Unvollendete.

In Ihrem Film geht es um eine ungewöhnliche Zusammenführung, um die Begegnung dreier unterschiedlicher Frauen…
die sehr viel gemeinsam haben. Helene Hegemann, eine junge Autorin und Filmemacherin von heute, trifft Ulrike Meinhof und Susan Sontag. Dieses Treffen findet 1969 statt, zu einem Zeitpunkt, wo die politische Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen bei beiden Frauen in Texten und Filmen Verarbeitung fand. Also noch bevor Ulrike Meinhof in den Untergrund gegangen ist und bevor sich Susan Sontag zum Beispiel öffentlich gegen den Kommunismus ausgesprochen hat. Um diese fiktive Begegnung stattfinden zu lassen, muss Helene eine Art Zeitreise unternehmen. Was gesprochen wird, besteht aus Originaltexten der drei. Texte, die wirklich gesagt oder geschrieben wurden.

Susan Sontag und Ulrike Meinhof waren gleich alt. Ich war davon überrascht, weil ich es anders empfand, wahrscheinlich weil man sehen konnte, wie Susan Sontag älter wurde, wie sie sich auch distanziert hat von Aussagen, die sie mit zwanzig oder dreißig gemacht hat. Ulrike Meinhof ist dafür zu früh gestorben. Diese Gegensätze beschreiben ganz gut den Konflikt, den man als junger Mensch in sich trägt, wenn man auf der einen Seite denkt, dass man unbedingt etwas an den Verhältnissen ändern muss, zur Not auch gegen das Gesetz, weil man sich im Recht fühlt und auf der anderen Seite aber auch einfach glücklich sein will und seine persönlichen Interessen entdeckt. Ist das eine ohne das andere möglich? Warum brauche ich ein politisches Bewusstsein in meinem Privatleben? Wie lassen sich politische Überzeugungen anwenden auf das Leben? Darum geht es in dem Film. Helene nimmt sich die Texte und fragt, was davon noch übrig geblieben ist, welche Gedanken man immer noch denkt und welche so nicht mehr anzuwenden sind.

Ist Ihr Film auch eine Reflexion darüber, was aus der Frauenbewegung geworden ist, was zweifellos auch etwas “Unvollendetes” ist?
Ulrike Meinhof hat gefragt: Wie kann ich einen wichtigen Job machen, einen klaren Kopf behalten und gleichzeitig Mutter sein? Kann sich eine Mutter eine Zeit lang komplett aus der Familie ausklinken, um zum Beispiel im Beruf irgendein Problem zu lösen, ohne selbst eine Ehefrau zu haben, die sich um die Kinder kümmert? Was ergibt das für Probleme, wo gibt es Gemeinsamkeiten mit anderen Frauen, wo kann Politik helfen und wo macht es das herrschende System unmöglich, sich zu entwickeln. Das sind ganz aktuelle Fragen.

Wie ist die Idee für den Vorschlag entstanden, den die Figur der Helene den beiden anderen Frauen macht und der die tatsächliche Entwicklung verändern würde?
Ich fand die Frage interessant, was wohl passiert wäre, wenn Susan Sontag und Ulrike Meinhof getauscht hätten. Wenn Ulrike im New York der siebziger Jahre gearbeitet hätte und Susan nach Berlin gezogen wär. Das ist der Vorschlag, den Helene den beiden macht. Helene versucht etwas Luft in die Geschichte zu pusten. Es ist ein Diskursfilm, ein Hin– und Herdenken. Helene erkennt im Laufe dieses Treffens und der Auseinandersetzung mit diesen beiden wirklich anspruchsvollen “Idolen”, dass es schon einen Effekt auf ihr Leben hat, was sie gelesen oder was gesagt oder getan wurde aber dass ihr diese beiden Frauen aus einer anderen Zeit konkret im Jetzt natürlich nicht dabei helfen können, eine politische Position zu beziehen. Auch, weil die Welt eine andere geworden ist.

Im Film entziehen sich die beiden immer mehr, bis sie ganz verschwunden sind und Helene bleibt allein zurück. So, wie sich vielleicht viele junge Menschen heute fühlen, wenn sie etwas über die politische Situation sagen sollen: Man weiß, was war, man weiß auch vielleicht, was los ist aber man hat sich davon verabschiedet zu glauben, dass man so wahnsinnig viel verändern könnte.

Quelle: Mit Material von Piffl Medien zum Film Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation

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