Die kontroverseste Joker 2-Szene haben viele übersehen: Hier stößt der Film an seine Grenzen

12.10.2024 - 17:24 UhrVor 7 Monaten aktualisiert
Joker: Folie à Deux
Warner Bros.
Joker: Folie à Deux
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Joker: Folie à Deux wartet mit einem extrem schockierenden Moment auf, den wir gar nicht richtig zu sehen bekommen. Kein Wunder, denn der Film weiß überhaupt nicht, wie er damit umgehen soll.

Eine Woche nach dem Kinostart von Joker: Folie à Deux sind die Diskussionen um die DC-Fortsetzung keineswegs abgeflacht. Je länger der Film läuft, desto mehr Perspektiven offenbaren sich auf den umstrittenen wie eigenwilligen Comic-Blockbuster, der vor allem an einer Sache interessiert ist: die Erwartungen zu unterlaufen.

Folie à Deux ist nicht der ultimative Joker-Chaos-Film, den sich viele Fans erwartet haben. Stattdessen verhandelt er das Finale des Originals mit der bitteren Kompromisslosigkeit eines Gefängnis- und Gerichtsfilms, während dazwischen Musical-Elemente gestreut werden. Über eine markante Szene wird viel zu wenig gesprochen.

Achtung, es folgen Spoiler zum Film!

Selbstkritischer DC-Blockbuster: Joker 2 zieht mit dem Ende des ersten Teils wortwörtlich ins Gericht

Der zweite Joker-Film beschäftigt sich eingehend mit den Konsequenzen des ersten Teils. Wir erinnern uns: Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) erschießt den Talk-Show-Host Franklin Murray (Robert De Niro) vor laufender Kamera. Vier bzw. fünf weitere Morde gehen auf seine Rechnung. Deswegen sitzt er nun im Arkham Aslyum, das in Folie à Deux mehr Gefängnis als psychiatrische Anstalt ist. Ein unfreundlicher Ort, so oder so.

Vor Gericht soll später entschieden werden, ob es sich bei Arthur Fleck und Joker um zwei verschiedene Persönlichkeiten handelt. Wurde Joker wirklich aus dem Schmerz geboren, den Arthur sein Leben lang auf verschiedenste Weise erfahren musste? Oder hat der Schurke nichts mit den Demütigungen der Vergangenheit zu tun? Hier kommen wir zu jener kritischen Szene, die genau genommen gar nicht im Film vorkommt.

Nach Gary Puddles' (Leigh Gill) Aussage vor Gericht wird Arthur im Gefängnis in den Waschraum gebracht, muss sich entkleiden und wird von den Wärtern um Jackie Sullivan (Brendan Gleeson) vergewaltigt. Der Film zeigt die Vergewaltigung allerdings nicht direkt, sondern blendet kurz vorher aus. Das Nächste, was wir sehen, ist der gebrechliche Arthur, sichtlich gezeichnet von der Gewalt, die er gerade erfahren hat.

Mit der angedeuteten Vergewaltigung soll die Entwicklung von Arthur Fleck nachvollziehbar gemacht werden

Regisseur Todd Phillips, der mit Scott Silver auch das Drehbuch geschrieben hat, nutzt diesen Moment, um Arthur von der Joker-Identität zu trennen. Obwohl die Anhängerschaft rund um Harleen "Lee" Quinzel (Lady Gaga) lieber den Unruhestifter mit Clown-Schminke im Gerichtssaal sehen würde, findet in diesem Augenblick ein Bruch statt, in dem die Joker-Fantasie für Arthur komplett in sich zusammenbricht.

Arthur findet sich wieder in der machtlosen Position wieder, aus der er mithilfe der Joker-Identität zu entkommen versuchte. Er ist in einem Teufelskreis gefangen und realisiert, dass das Einzige, was der Joker befeuert, nur noch mehr Leid und Gewalt ist – für sich selbst und für andere. Zuerst die herzzerreißende Begegnung mit Puddles, dann die Vergewaltigung. Vielleicht ist Arthur Fleck doch das wahre Opfer?

Im Gespräch mit Entertainment Weekly  macht es Phillips ziemlich deutlich:

Er hat die Tatsache akzeptiert, dass er immer Arthur Fleck war; er war nie dieses Ding, das man ihm aufgedrückt hat, diese Idee, die die Leute in Gotham ihm aufgedrückt haben, die er repräsentiert. Er ist eine unfreiwillige Ikone. Dieses Ding wurde ihm übergestülpt, und er will nicht mehr als Fake leben – er will der sein, der er ist.

Selten wurde eine auf einem Superhelden-Comic basierende Figur dermaßen trist in Szene gesetzt wie Arthur Fleck. Alles Mächtige am Joker ist verschwunden. Wir folgen einer Erniedrigung nach der anderen. Die Vergewaltigung markiert Arthurs Tiefpunkt in dem Film. Dass sich ein 200-Millionen-Dollar-Blockbuster an diesen Abgrund wagt, ist nicht selbstverständlich und verdeutlicht die Ambition von Folie à Duex.

Schock-Szene in DC-Blockbuster: Die Vergewaltigung von Arthur Fleck in Joker 2 ist nur Mittel zum Zweck

Gleichzeitig steht die Szene stellvertretend für die größte Schwäche des Films: Phillips und Silver haben viele Ideen, wissen aber nicht, wie sie umgesetzt werden sollen. Das fängt harmlos bei unbeholfenen Musical-Sequenzen an und steigert sich im schlimmsten Fall in eine (nicht gezeigte) Vergewaltigung. Die erweitert den Film am Ende aber nur als Klischee und Plot-Baustein, ohne auf ihre Bedeutung überprüft zu werden.

Kann Arthur Fleck jemals vergeben werden? Joker: Folie à Deux sucht in dem Mörder nicht das nächste Monster, sondern einen zerbrochenen Menschen und greift dafür wenig subtil auf die üblichen Stationen des Gefängnisfilms zurück. Kaltes Licht, ungemütliche Zellen. Und natürlich Machtmissbrauch seitens der Wärter, die zuerst als Bullys auftreten, ehe sie selbst zu Straftätern werden – alles Mittel zum Zweck.

Für einen Film, der seine Ursprünge als Comicverfilmung so angestrengt von sich weist, ist es verblüffend, dass Folie à Deux mit offeneren Armen in die festgefahrenen Abläufe eines anderen Genres rennt und sich weigert, diese zu hinterfragen oder ihnen einen eigenen Dreh zu verleihen. Die Geschichte kehrt nicht zu der Vergewaltigung zurück. Sie dient lediglich als Schockeffekt, um die Charakterentwicklung zu beschleunigen.

Das eine Mal, wenn sich Folie à Deux in abgründiges, ungemütliches Terrain wagt und eine Szene andeutet, wie sie im Blockbuster-Kino nie vorkommt, fehlt dem Film der erzählerische Weitblick. Eine Auseinandersetzung, was dieser Moment für Arthur und die Welt, in der er zerbricht, bedeutet, findet nicht statt. Es ist nur eine weitere Station, die pflichtbewusst abgearbeitet wird, damit der Joker wieder zum Menschen wird.

Aber was ist ein Mensch in einem Film, der seine Figuren in routinierten Abhandlungen gefangenhält? Dass Arthur Fleck am Ende aus der Welt verschwindet, als hätte es ihn nie gegeben, bietet sich als bittere Antwort an. Die letzte Demütigung sozusagen. Wie bei fast allen aufwühlenden Ideen fehlt allerdings auch hier die überzeugende Hinführung. Folie à Deux will nur große Gesten, den finalen Paukenschlag.

Joker: Folie à Deux läuft seit dem 3. Oktober 2024 in den deutschen Kinos.

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