Die langen großen Ferien und eine Kindheit unterm Hakenkreuz

12.05.2016 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Die langen großen FerienLes Armateurs
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Mein Herz für Serie geht heute an Die langen großen Ferien, ein übersehenes französisches Kleinod über die Kindheit im Frankreich des Zweiten Weltkriegs.

Ich schaue nur noch wenig Fernsehen. Nicht wirklich als Statement oder ähnliches, aber das Internet, insbesondere VOD-Dienste, haben die Flimmerkiste mehr oder weniger überflüssig für mich werden lassen. Was nicht heißen soll, dass ich nicht immer noch überrascht werden kann. Denn als ich vor einem Jahr zur richtigen Zeit ausgerechnet auf dem Kinderkanal hängen blieb, an dem ich sonst eigentlich vorbeizappe, habe ich rein zufällig eine meiner neuen Lieblingsserien gefunden. Mein Herz für Serie geht an die kleine, französische Perle Die langen großen Ferien.

Das Studio Les Armateurs hat in seiner Schaffenszeit schon viele einzigartige Filme und Fernsehserien produziert. Einige der Filme konnten auch internationale Erfolge verzeichnen, wie Das große Rennen von Belleville, Das Geheimnis von Kells und Ernest & Célestine, die dem Studio und ihren Regisseuren Oscarnominierungen einbrachten. Die langen großen Ferien ist eigentlich eine Kinderserie mit einer für das Genre außergewöhnlichen Thematik, die sie aber, genau wie ihre Zielgruppe, mit dem angemessenen Respekt behandelt.

Es war einmal, im von Nazis besetzten Frankreich
Die Geschwister Ernest und Collette sollten eigentlich nur für ein paar Tage zu ihren Großeltern aufs Land fahren. Doch als ihr Vater eingezogen wird und sich die Krankheit ihrer Mutter verschlimmert, werden die Ferien um mehrere Jahre verlängert. Es ist 1939, Nazi-Deutschland hat Frankreich zu seinem nächsten Ziel auserkoren, und die Kinder sollen zur Sicherheit auf dem Land bleiben.

Geschichte hat mich in Form persönlicher Auszüge immer weitaus mehr fasziniert als eine Aneinanderreihung trockener Fakten. Subjektive Erfahrungen sind zwar weniger verlässlich, bilden aber einen interessanten Eindruck der Stimmung in der Zeit. Das gilt auch für fiktive Geschichten, die sich real immer noch in ähnlicher Form zu Hunderten abspielten. Die großen langen Ferien zeigt die Besetzung Frankreichs aus der Sicht zweier Kinder und macht den Zweiten Weltkrieg mehr zur Kulisse als zum Hauptfokus. Im Vordergrund steht das Heranwachsen der beiden, das ständig vom Krieg begleitet wird. Währenddessen müssen sich die Erwachsenen auf eine mögliche Nahrungsknappheit einstellen und aufpassen, nicht negativ aufzufallen. Die deutsche Besatzung schafft eine Paranoia unter den Bewohnern, unter der auch jüdische Kinder und Familien mit Verbindungen nach Deutschland leiden müssen.

Dabei schreckt Die langen großen Ferien keineswegs vor den Geschehnissen der Zeit zurück. Natürlich geht sie nicht zu sehr ins Detail (und ich begrüße das als jemand, den Die letzten Glühwürmchen gebrochen hat), aber Tod, zerrissene Familien, Verrat, Flucht und die Judenverfolgung werden direkt angesprochen und behandelt. Aber auch die dadurch wachsende Solidarität und der organisierte Widerstand, die Résistance, sind ein wichtiger Bestandteil der Serie und ihrer Darstellung des Krieges.

Die Filme aus Les Armateurs' Katalog können häufig mit ungewöhnlichen Zeichenstilen und interessanten Einflüssen aufwarten, wie der aus Irland stammenden insularen Buchmalerei in Kells oder Ernest & Celestine, das die scheinbar verblassenden Zeichnungen aus der Buchvorlage liebevoll nachbildet. Die langen großen Ferien hat Ähnlichkeit zu frankobelgischen Comic-Klassikern à la Tim und Struppi, mit weniger detaillierten Charaktermodellen, die dafür Raum für eine sehr aussagekräftige Körpersprache lassen.

Nach ihrer Erstausstrahlung wurde die Serie für lange Zeit in der Mediathek  des ZDF angeboten. Zurzeit ist sie leider nicht verfügbar, aber für den 14.06.2016 ist eine DVD-Veröffentlichung  geplant, auf die ich schon seit dem letzten Jahr warte und die ich jedem ans Herz legen kann.

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