Stell dir vor, es ist Sonntagabend, 1990. Du sitzt vor dem Fernseher, die Titelmelodie der Lindenstraße erklingt und dann plötzlich passiert es: Am Ende der aktuellen Folge gibt es einen Schockmoment zu sehen, der die deutsche TV-Landschaft für immer verändert. Zwei Männer küssen sich leidenschaftlich vor ganz Deutschland. Was heute (für die meisten) völlig normal erscheint, sorgte damals für einen XXL-Skandal.
Ein Meilenstein der TV-Geschichte: Dieser Kuss veränderte alles
Lang, lang ist's her: Wir schreiben das Jahr 1990 und die Lindenstraße lockt jeden Sonntag Millionen von Zuschauern vor die Bildschirme. Schon damals genoss die Serie den Ruf, gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen, an die sich die glattgebügelte TV-Welt sonst nicht herangewagt hatte.
Einer dieser Skandal-Momente fand am 18. März 1990, in Folge 224 statt: Carsten Flöter (Georg Uecker) und Robert Engel (Martin Armknecht) küssen sich vor laufender Kamera. 1987 hatte die Lindenstraße bereits einen flüchtigen Kuss zwischen zwei Männern gesendet, doch 1990 gingen sie dann aufs Ganze: Erstmals wurden zwei Männer bei einem intensiven Zungenkuss voller Leidenschaft gezeigt. Ein absolutes Novum im Genre der Vorabendserien, die gerne mal einen Bogen um polarisierende Themen machten.
Der Kuss wurde zum Meilenstein der TV-Geschichte und setzte ein Statement, das in Zeiten der AIDS-Krise bitter nötig war: Homosexualität ist normal, alltäglich und hat auch im Fernsehen seine Daseinsberechtigung. Ein paar Jahre später gab es auch das erste lesbische Paar in der Lindenstraße zu sehen.
Es kam zu Morddrohungen: So heftig reagierte Deutschland auf den TV-Kuss
Obwohl der Kuss ein großer Schritt für die Repräsentation homosexueller Beziehungen im Mainstream-TV war, löste er Kontroversen aus. Wie queer.de berichtet, sei Schauspieler Martin Armknecht nach dem Kuss immer wieder von Fremden angefeindet worden:
Die Leute sind auf der Straße übergriffig geworden, haben mich beschimpft: 'Du schwule Sau, ab ins KZ'.
Laut stern.de gab es sogar Bombendrohungen gegen die Verantwortlichen. Schauspieler Georg Uecker soll leider am meisten Hass abgekommen haben. Sein Charakter hatte zuvor in der Serie sein Coming-Out und sorgte in konservativen Kreisen für Schnappatmung. Dieser offen zelebrierte Kuss machte den Darsteller dann endgültig zum Hassobjekt; immer wieder musste er Morddrohungen und Übergriffe ertragen. Im Interview mit queer.de legt Uecker offen, dass er sogar unter Schutz gestellt werden musste:
Ich habe es mit Kampfgeist genommen, aber was blieb mir auch übrig? Unter Personenschutz zu leben, ist nicht wirklich lustig und macht dir ziemliche Angst.
Wochenlang hagelte es Beschwerdeschreiben, Hassbotschaften und Drohungen. Sogar die katholische Kirche mischte sich ein und forderte Konsequenzen. Die Verantwortlichen ließen sich vom XXL-Skandal aber nicht unterkriegen und führten die Produktion fort. Natürlich traf die Show nicht immer den richtigen Ton, aber Georg Uecker ist sich sicher, dass sie vielen Menschen geholfen habe, sich zu finden:
Im Rückblick hat die Serie extrem zur Sichtbarkeit von schwulen Männern, lesbischen Frauen, bisexuellen und trans Menschen in Deutschland beigetragen. Die Lindenstraße hatte im Lauf der Jahre 15 queere Hauptcharaktere und noch mehr in Neben- oder Gastrollen.
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Lindenstraße: So kannst du den Klassiker heute erleben
Die Lindenstraße lief von 1985 bis 2020. Wer die Folgen aus den 90er Jahren nachschauen möchte, muss aktuell aber zu einem Bezahl-Abo greifen: Bei ARD+ sind alle Staffeln der Show verfügbar. Der Dienst kostet derzeit 4,99 € und kann als Channel bei Amazon Prime abgeschlossen werden.