Ein kurzer Film über das Töten ist einer der brutalsten, aber auch zärtlichsten Filme, die ich kenne. Er kommt direkt aus dem Warschauer Großstadtmoloch und ist mit einem Grünfilter überzogen, der die Bilder in ein angemessenes Verhältnis zur vereinnahmenden Tristheit der Geschichte setzt. Schonungslos zeigt er den Tod zweier Menschen und erinnert uns damit an den Wert des Lebens. Die Brücke zwischen einem ziellos umherlaufenden jungen Mann und einem mürrischen Taxifahrer bildet in dem Drama ein idealistischer Rechtsanwalt, der sich über die Geburt seines Kindes nicht richtig freuen kann, weil er noch am selben Tag dem Sterben seines Mandanten beiwohnen muss. Den 1988 erschienenen Film in seinem zeitlich-regionalen Kontext zu interpretieren, macht Sinn, denn bis tief in die 1980er Jahre hinein wurde in Polen die Todesstrafe ausgesprochen und vollstreckt. Tatsächlich aber strahlt dieser Klassiker sogar weit darüber hinaus.
Der 1996 verstorbene Regisseur Krzysztof Kieślowski wurde häufig als Moralist des Kinos bezeichnet, was Ein kurzer Film über das Töten nachhaltig veranschaulicht. Der 21-jährige Jacek (Miroslaw Baka) drückt sich zunächst am Schaufenster eines Fotostudios die Nase platt und offenbart sich schon bald als ein unberechenbares Mysterium. Dies beginnt damit, dass er grundlos einen Stein von einer Brücke auf ein fahrendes Auto fallen lässt und endet mit dem grausamen Mord an einem Taxifahrer (Jan Tesarz), der von Jacek zunächst per Seil stranguliert und dann mit einem Stein erschlagen wird. Besagte Szene ist in ihrer Unmittelbarkeit harter Tobak, gerade auch, weil aus dem Gesicht des Täters ein schmerzliches Zögern spricht - gefolgt von der Gewissheit, dass es kein Zurück mehr gibt und die Tat vollendet werden "muss". Eine langsam zufallende Autotür versperrt uns schließlich halbherzig den Blick auf das, was wir uns ohnehin leicht selbst ausmalen können: die Beseitigung der Leiche.
Der Humanismus von
Krzysztof Kieślowski
Die Perspektivlosigkeit Jaceks kontrastiert Kieślowski mit dem aufstrebenden Juristen Piotr Balicki (Krzysztof Globisz). Dieser begann sein Studium einst in der Hoffnung, später Gutes für die Gesellschaft zu leisten, muss aber kurz nach seinem bestandenen Assessorexamen endgültig erkennen, dass er allein machtlos gegen ein festgefahrenes (Rechts-)System ist. Wie der Zufall oder das Schicksal es so will, fällt ihm die Strafverteidigung Jaceks in die Hände. Die eigentliche Gerichtsverhandlung inszeniert Kieślowski dabei auf eine denkbar interessante Weise - nämlich gar nicht. Nachdem die Ergreifung von Jacek lediglich angedeutet wird, schneidet der Regisseur direkt zum Ende des Prozesses, wodurch es sich so anfühlt, als habe das Urteil von vorneherein festgestanden. Dass Piotr ein beeindruckendes Schlussplädoyer gegen die Todesstrafe hielt, erfahren wir erst im Nachhinein, denn jene Ansprache hätte dem Film womöglich ein Hollywood ähnliches Pathos verliehen, für das in den Werken Kieślowskis nie Platz war.
Seine ganze humanistische Wucht entfaltet Ein kurzer Film über das Töten schließlich in seinem letzten Drittel, als Jacek seinem Anwalt über seine bewegende und zutiefst anrührende Vergangenheit erzählt. Er mag eine andere Person auf grauenvolle Art getötet haben, doch er ist keineswegs das Monster, für das wir ihn halten könnten. Mit Blick zurück auf eine Szene, in der er durch die Fensterscheibe eines Cafés mit zwei kleinen Mädchen herumalbert, erscheint er uns nun sogar unschuldig wie ein Kind. In dem wohl ergreifendsten Moment des Films wird Piotr jedenfalls gefragt, wann er so weit sei (gemeint ist: bereit für die Hinrichtung Jaceks), woraufhin er dem Gefängnisdirektor ausrichten lässt, er werde niemals so weit sein. Damit ist praktisch alles gesagt.
Indem
Kieślowski
- und dies war damals nicht unumstritten - dem Schicksal des Taxifahrers den gerichtlich verordneten Tod von Jacek gegenüberstellt, verdeutlicht er, dass es keinen Unterschied macht, ob eine Einzelperson mordet oder der Staat jemanden per Urteil an den Strick liefert. Selbst das schlimmste Unrecht kann nicht durch die gleiche Tat aufgewogen werden, denn dieses Leben ist das einzige, das wir besitzen. Darum ist der Tod im Film allgegenwärtig, beginnend mit einem leblosen Katzenkörper direkt in der allerersten Einstellung.
Bei Ein Kurzer Film über das Töten handelt es sich um die längere (Kino-)Fassung des fünften Teils von
Kieślowskis Anthologie-Serie Dekalog, die einen modernen Blick auf die 10 biblischen Gebote wirft. Jene erscheinen nach ihrem Wortlaut so simpel und müssen doch immer wieder gegen den zeitlichen Wandel sowie die komplexen Befindlichkeiten der Menschen bestehen. Der Regisseur kommentiert das mit den womöglich kahlsten Aufnahmen der Kinogeschichte und doch ist sein Film alles andere als unbewohnt. Wer ihn gesehen hat, dem erscheint so manches Problem aus dem eigenen Leben möglicherweise plötzlich sehr klein. Aber er wird auch daran erinnert, dass der Schlüssel zur Seele eines anderen in einem Mikrokosmos voller Kälte manchmal schon das Aussprechen seines Vornamens sein kann.
Konnte euch Ein kurzer Film über das Töten auch zum Nachdenken bringen?