Vor über 50 Jahren lieferte Raumschiff Enterprise mit der Folge Mirror, Mirror bzw. Ein Parallel-Universum gewissermaßen die Blaupause für zahllose gegenwärtige Serien. Im Spiegeluniversum stoßen Kirk und Co. auf Doppelgänger ihrer selbst, die nichts lieber machen als intrigieren, putschen, missbrauchen, foltern und morden. Ein eindringliches Beispiel, das ebenso abschreckend wie unterhaltsam zeigte, was und wie Star Trek eben nicht ist. Mit Michelle Yeohs Philippa Georgiou bekommt nun die ehemalige Imperatorin eben dieses Spiegeluniversums ihre eigene Spin-off-Serie, nachdem sie schon in der 1. Staffel von Star Trek: Discovery ihr Unwesen trieb. Damit wird das Franchise abermals um eine Facette erweitert, die so ganz und gar nicht zu seiner Identität passt.
Star Trek braucht Schurken, aber nur in sparsamer Dosis
Gerade mit Blick auf die heutige Serienwelt sticht Star Trek dadurch hervor, dass im Mittelpunkt Figuren stehen, denen es darum geht, das "Richtige" zu tun. Zwar hatte auch Deep Space Nine, die düsterste und vielleicht beste Star Trek-Serie, zahlreiche zwielichtige bis schurkische Charaktere wie Garak und Gul Dukat vorzuweisen. Mit Major Kira befand sich sogar eine ehemalige Terroristin in der Mannschaft der Raumstation, und auch die regulären Sternenflotten-Mitglieder verhielten sich dort nicht immer so nobel wie die Besatzung der Enterprise.
Trotzdem versuchten sie stets, den Idealen der Föderation gerecht zu werden. Die in Deep Space Nine eingeführte skrupellose Geheimorganisation Sektion 31 diente ähnlich wie das Spiegeluniversum, das nach Jahrzehnten ebenfalls wieder eine Rolle spielte, als Kontrast zum Handeln der Hauptfiguren. Georgiou wird in ihrem Spin-off hingegen in dessen Diensten stehen, auch dadurch dürfte die Erzählung ganz aus dem Blickwinkel der Schurken erfolgen und sie letztendlich zu den Helden der Serie machen.
Star Trek sollte Maßstäbe setzen, statt Trends hinterherzulaufen
Zwanzig Jahre nach dem Debüt der Sopranos sind Serien mit Schurken als Hauptfiguren aber wahrlich keine mutige und außergewöhnliche Idee mehr, sondern schon längst biederster Mainstream. Noch dazu, wenn sie ihre Figuren und Taten bierernst nehmen, anstatt wie die Sopranos einen distanzierteren und ironischen Blick auf sie zu werfen. Eine ganze Serie, in der die Hauptfiguren handeln, wie man sich gerade nicht verhalten sollte, wäre also zwar für Star Trek eine Neuheit, würde sich in der Serienladschaft allgemein aber nur in eine lange Schlange gleichartiger Projekte einreihen.
Aus einem Franchise, das einst Maßstäbe setzte, wird ein Universum der Beliebigkeit. Zudem gehörten die "Das macht die Sternenflotte aber eigentlich nicht"-Momente nicht zu den Glanzpunkten der 1. Staffel von Start Trek: Discovery. Selbst ein ambivalenter Charakter wie Captain Lorca wurde in dem Moment eindimensional, als er, zurück im Spiegeluniversum, seinen Rachefeldzug begann.
Star Trek sollte nicht Fans aller Genres bedienen müssen
Bei Ex-Imperatorin Georgiou dürfte es noch dazu fast unmöglich sein, ihr eine glaubwürdige Charakterentwicklung weg von der fiesestmöglichen Schurkin zu schreiben, die ganze Planeten in Schutt und Asche legt. Schon die Entscheidung, die uneinsichtige Georgiou zum Ende der 1. Staffel von Discovery auf das "echte" Universum loszulassen, wirkte angesichts ihrer Taten sehr an den Haaren herbeigezogen.
Statt für eine Drama- wären das eher Voraussetzungen für eine Comedyserie, in der Georgiou auf jede diplomatische Krise mit einem neuen Radikal-Ansatz reagiert ("Töten!", "Vernichten!", "Aufessen!"), stets von einem entsetzten Sternenflotten-Aufpasser zurückgepfiffen werden muss und ihre Erlebnisse am Ende jeder Folge à la Data's Day bzw. Datas Tag in ihrem Logbuch notiert. Doch obwohl es Alex Kurtzmans' erklärtes Ziel ist, das Franchise durch zahllose Projekte mehr Zuschauergruppen zu öffnen, die mit dem "eigentlichen" Star Trek nichts am Hut haben, dürfte dies wohl nicht die Ausrichtung der Serie werden.
Es ist klar, dass bei knapp 10 aktuellen und kommenden Star Trek-Serien nicht jede von den Abenteuern einer "netten" Mannschaft handeln kann. Aber das ist ja auch ein Zeichen dafür, dass Star Trek sich mit seiner spezielleren Thematik eben nicht dafür eignet, endlos vervielfältigt, gestreckt und ausgewrungen zu werden, sondern wohl am besten als Nischenprodukt funktioniert, und diese Nische mal mehr, mal weniger geräumig ist.
Was haltet ihr von einer Star Trek-Serie über Georgiou und Section 31?