2019 feierte Bong Joon-hos Thriller-Satire Parasite ihre Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes. Es war der Startschuss für einen Siegeslauf, der den südkoreanischen Regisseur zum Oscar für den Besten Film führen sollte. Eigentlich unvorstellbar für eine nicht-englischsprachige Produktion. Wenn allerdings internationale Meister dem Ruf aus Hollywood folgen, endet das nicht selten in Zwists mit Studios und zerschnittenen Träumen. Das weiß Bong nur zu gut, der ähnliches mit seinem Science-Fiction-Film Snowpiercer und Produzent Harvey Weinstein erlebt hat.
Bei der Berlinale stellte er jetzt seinen neuen Film Mickey 17 vor, seine bis dato größte Produktion. Ein angeblich über 100 Millionen Dollar teurer Science-Fiction-Film von Warner Bros. mit dem aktuellen Batman Robert Pattinson in der Hauptrolle. Franchise-Synergien und Kassen müssten da im Chor klingeln. Mickey 17 ist aber ein echtes Blockbuster-Biest, eine bizarre Satire, abgründig, cartoonesk und vor allem eines: wütend.
Mickey 17 bietet 18-mal Robert Pattinson und eine Trump-Parodie
In der Zukunftsvision leidet unser Held unter denselben Problemen wie die Familie aus Parasite. Robert Pattinsons Mickey Barnes hat wegen eines dämlichen Business-Plans seines Kumpels (Steven Yeun) Schulden bei einem Kredithai angehäuft. Beide flüchten deswegen ins All.
Der Trailer für Mickey 17:
Mickey meldet sich freiwillig für die Arbeit als Expendable, also "Entbehrlicher". Auf ihn wartet allerdings kein Abenteuer mit Sylvester Stallone und einer Bande griesgrämiger Action-Götter, sondern ein neues Programm, das am laufenden Band ersetzbare Arbeitskräfte für die gefährlichsten Missionen reproduziert. Der erste Schritt auf einem fremden Planeten ohne Atemgerät zum Beispiel oder ein Test der Auswirkungen extremer Sonnenstrahlen. Mickey geht zur Arbeit, stirbt und wird im 3D-Drucker aus seinen eigenen recycelten Überresten neu gedruckt. Live, Die, Repeat, wie es auf den Postern für Edge of Tomorrow hieß.
Übertragen von einem Körper auf den anderen wird nur sein Gedächtnis und Bewusstsein. Die Entfremdung vom eigenen Job und der eigenen Arbeitskraft nimmt in der Zukunftsvision absurde Züge an. Bis Mickey 17 durch einen Zufall eben nicht stirbt und trotzdem Mickey 18 aus dem Drucker flutscht. Mickey ist ein sogenannter "Multiple" geworden und das ist auf der Expedition des uber-christlichen Politikers und Trump-Verschnitts Kenneth Marshall (Mark Ruffalo) und seiner nicht weniger ehrgeizigen Frau Ylfa (Toni Collette) verboten.
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Robert Pattinsons Darbietung ist eine (witzige) Tour de Force
Stichwort Trump-Verschnitt. Wer, so wie ich, bereits am 20. Januar 2017 genug von Parodien des ehemaligen und neuen US-Präsidenten hatte, wird an Mark Ruffalos Bösewicht vermutlich nicht seine helle Freude haben. Ruffalo trägt zum Glück für die Kinozuschauenden weltweit keine blondierte Haarmatte, aber die künstliche Bräunung und vor allem der an einen verstopften Enddarm erinnernde Zungenschlag sind unverkennbare Parallelen. Das wäre vermutlich der eine Grund, Mickey 17 in der deutschen Synchronfassung zu empfehlen.
Andererseits würden einem dann die sprachlichen Variationen entgehen, die Robert Pattinson sich ausgedacht hat, um die Mickeys voneinander zu unterscheiden. Der Batman-Darsteller legt hier eine beeindruckende Tour-de-Force hin, er torkelt und tänzelt zwischen Slapstick und existenzialistischer Krise. Immer auf einer Wellenlänge mit der satirischen Überspitzung Bong Joon-hos. Die konnte man schon beim englischsprachigen Personal in Snowpiercer und seinem Netflix-Film Okja beobachten, allerdings füllt Pattinson seine Mickeys mit wesentlich mehr Fleisch, Blut und Herz. Was ebenso auf Naomi Ackie zutrifft, die als Alleskönnerin Nasha eine Zuneigung für die Mickeys entwickelt hat.
Trotzdem überwiegt in Mickey 17 der Eindruck einer in Rage gekritzelten Karikatur im Gewand eines Science-Fiction-Films. Die Grundidee ist von kaum zu fassender Düsternis, immerhin wird Mickey nach der Unterzeichnung seines (nicht durchgelesenen) Vertrages absolut austauschbar und damit wertlos. Der Mensch ist in Mickey 17 das gesammelte Humankapital aus Zellen und Wasser, das im Recycling-Ofen landet wie leere Salamipackungen und Chipstüten. Dieser Idee wird mit den offensichtlichen politischen Bezügen Aktualität verliehen. Letztere berauben den Film aber auch um den vielschichtigen schwarzen Humor, der Parasite gleichermaßen unterhaltsam machte und mit Fallstricken für die Zuschauenden versah, was die Verteilung der Sympathien anging.
Es ist daher eine seltsame Ironie, dass einer der großen Regisseure unserer Zeit seine Millionen von Hollywood-Dollars für den vermutlich düstersten und wütendsten Blockbuster des Jahres ausgegeben hat. Ein Blockbuster, der ins Kino kommen wird, während die US-Konzerne sich aufs Äußerste bemühen, im Gleichschritt vor dem neuen Präsidenten aufzutreten. Dass also dieser Film, der so viel Respekt abverlangen müsste, vermutlich sein schwächster geworden ist.
Mickey 17 ist mutiger und politischer als die meisten Großproduktionen seiner Art. Er ist aber auch platt und überladen, fast frei von Bongs virtuoser Fähigkeit, ohne Worte von Geschichten, Gesellschaften und Gefühlen zu erzählen. Mickey 17 ist eine Enttäuschung und vermutlich trotzdem interessanter als 90 Prozent der Großproduktionen, die dieses Jahr noch kommen werden.
Mickey 17 wurde bei der Berlinale in der Sektion Berlinale Special gezeigt. Der Film kommt am 6. März 2025 in die deutschen Kinos.