Dass tschechische Kinderkost von früher durchaus unheimlich sein kann, war mir schon seit dem Sandmännchen-Segment über den kleinen Maulwurf bewusst. Diesem rotnasigen Insektenfresser habe ich noch nie über den Weg getraut. Es geht aber noch eine ganze Stufe verstörender – etwa mit einer grotesken Verfilmung des Fantasy-Kinderbuchklassikers Alice im Wunderland.
Den fantasievollen Stoff aus der Feder von Lewis Carroll nahm sich Ende der 80er der geniale Stop-Motion-Künstler Jan Švankmajer vor, der mit Alice sein erstes Langzeitwerk schuf. Ob dieses in ein Museum oder auf eure nächste Halloween-Party gehört, müsst ihr selbst entscheiden. Mich verfolgt der Film jedenfalls seit Jahren und wann immer ich ihn als Horror-Geheimtipp für Halloween herauskrame, ist das stets ein großes Hallo.
Horror pur: Alice im Wunderland mit Tierkadavern und dem unheimlichsten Mädchen der Welt
Man kann sich gut vorstellen, wie die von Kristýna Kohoutová dargestellte Alice zusammen mit den beiden Mädchen aus Shining und Ring-Geist Samara befreundet ist. Ihre verstörende Version des Wunderlands ist eine Reihe von kargen, deprimierenden Räumen, die von ausgestopften Tieren, animierten Skeletten und zu Kreaturen gefrankensteinerten Gegenständen bewohnt wird. Wie in der Originalgeschichte folgt die Tagträumerin dem weißen Kaninchen, das in dieser Fassung beim Herauskramen seiner Taschenuhr immer mehr Sägespäne aus seinem ausgestopften Körper verliert.
Die bizarre Erscheinung wird durch die monotone Erzählstimme von Alice ergänzt, deren Lippen in Nahaufnahme auf dem Bildschirm erscheinen, sobald sie immer und immer wieder die Phrase "..., sagte das weiße Kaninchen" wiederholt. Einen surrealeren Alptraum könnte sich nicht mal David Lynch ausdenken. Doch wenn man kurz aus der Schreckensstarre erwacht, muss man hin und wieder die handwerkliche Meisterleistung wertschätzen. Wie Švankmajer die verschiedenen Geschöpfe mit der Live-Action-Alice im Einklang zum Leben erweckt, sucht in der ganzen Filmwelt bis heute seinesgleichen.
Was natürlich nicht fehlen darf: Eine traumatisierende Teeparty, das Wachsen und Schrumpfen durch den Konsum verschiedener Leckereien und ein Showdown am Hofe der Enthauptungs-Enthusiastin Königin der Herzen. Komplementiert werden diese Stationen durch viele geniale bis garstige Einfälle, die nicht nur ein Kinderpublikum um den Schlaf bringen. Fragt nur meine Halloween-Gäste von vor ein paar Jahren, die den Mund gar nicht mehr zu bekamen vor lauter unerwartetem Wunderland-Schrecken.
Ausschnitt aus Jan Švankmajers Alice:
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Angemessen blutrünstig endet das Ganze mit der erwachten Alice, die im Wunderland gerade der Enthauptung durch die Spielkarten entgangen ist. Eine Schere findend überlegt sie, stattdessen selbst dem verspäteten Kaninchen den Kopf abzuschneiden.
Švankmajer, der danach noch Faust mit Marionetten oder das osteuropäische Märchen vom alles verschlingenden Wurzelbaby Kleiner Otik gedreht hat, ist sich der Unheimlichkeit seiner Werke übrigens durchaus bewusst. In einem Video auf seinem YouTube-Kanal erklärt er:
Alle meine Filme stehen an der Grenze zwischen dem Groteskem und Horror. Das ist die Stimmung, in der ich mich am wohlsten fühle, wenn man an dieser Grenze wandert und manchmal ins Groteske hineinfällt, manchmal in den Horror, denn die Balance kann man nicht halten.
Wie kann man Švankmajers Alice ansehen?
Leider ist die tschechische Alice im Wunderland noch etwas zu obskur, um regulär im Stream aufzutauchen. Das britische Filminstitut BFI hat jedoch vor einigen Jahren eine remasterte Fassung des Films als Blu-ray herausgebracht, die man aus dem Vereinigten Königreich bestellen kann.
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