Emergency Room - Wie ER nicht nur die Krankenhausserie revolutionierte

22.09.2016 - 09:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Emergency RoomWarner Bros.
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Über 15 lange Staffeln erstreckt sich Emergency Room. Der große Erfolg der Krankenhausserie kommt nicht von ungefähr. Gestartet in den 1990ern fand sie nicht nur die geglückte Balance von Fakt und Drama, sondern setzte dies in virtuosen Bildern um.

Rückblickend betrachtet war Emergency Room (ER) ein Experiment in Serienform. Es erschien in einer Zeit vor der breitflächigen Cinematisierung des Fernsehens, noch bevor Die Sopranos, The Wire oder Breaking Bad die TV-Landschaft umwälzten. Freilich war anno 1994, dem Erscheinungsjahr der 1. Staffel der Krankenhausserie, schon die von David Lynch und Mark Frost kreierte Serien-Eigenheit Twin Peaks ausgestrahlt. Sie enthüllte das narrative wie inszenatorische Potenzial episodischen Erzählens, das seine anhaltende Blütezeit erst mit dem Aufkommen von erfolgreichen HBO-Formaten Ende der 1990er bzw. Anfang der 2000er-Jahre erlebte.

So erschien ER auch als ein Kind seiner Zeit, das die Sprache des Kinos virtuos nutzte und Elemente des klassischen Fall-der-Woche-Narrativs mit dem zunehmend an Bedeutung gewinnenden kontinuierlichem Erzählen verwob. Dieses Experiment sollte glücken.

Denn der Erfolg nicht nur beim Publikum, sondern ebenso der Kritik, verhalf ER zu einem Siegeszug, der erst 2009 nach 331 Episoden ausklang. Wenngleich sie insbesondere gegen Ende ein wenig ihr Gleichgewicht aus aufreibendem Krankenhausalltag und persönlichem Drama verlor, ragt sie auch Jahre danach als wirkungsgeschichtlicher Meilenstein hervor. Sie wagte und gewann. Der Fortbestand kreativer Schaffensprozesse lebte immer durch Wagnisse.

Der Notfall als Rausch

Und so drängt sich rasch die famose, zum damaligen Zeitpunkt in der Serienwelt geradezu revolutionäre Inszenierung auf. Anstelle starrer Kameraperspektiven und gängigen Schuss-Gegenschuss-Exzessen (dem typischen Filmmuster vor allem in Dialogen) übernimmt die Regie eine essenzielle Erzählfunktion, die sich häufig von gängigen Darstellungsformen verabschiedet.

Ihr kommt in der Geschichte um die Geschehnisse im und ums County General, einem fiktiven Krankenhaus in der US-Metropole Chicago, eine fundamental Bedeutung zu. Als narratives Element erzählt sie von den vielen dramatischen Momenten und den privaten Konflikten der illustren Riege an Ärzten, Krankenschwestern, Patienten und Angehörigen, der einige der prägnantesten Serienfiguren überhaupt angehören: Etwa der von George Clooney verkörperte Kinderarzt Dr. Ross, welcher ob seiner mitschwingenden Impulsivität häufig aneckt und seinen Gegenpol im besonnenen Dr. Greene (Anthony Edwards) findet. Oder Frischling Dr. Carter (Noah Wyle), dem sich zunehmend der schroffe, aber gutmütige Chirurg Dr. Benton (Eriq La Salle) annimmt. Nicht zu vergessen auch starke Frauenfiguren, wie Julianna Margulies' Krankenschwester Carol Hathaway mit Suizidvergangenheit, die später zur Ärztin aufsteigende trockene Alkoholikerin Abigail "Abby" Lockhart (Maura Tierney) oder die toughe Chirurgin Dr. Elizabeth Corday, verkörpert von Alex Kingston.

Wie aber setzt die Regie hier an? Die Kamera steht nicht einfach bewegungslos neben und damit außerhalb der Ereignisse. Sie zwingt uns ins Geschehen hinein und macht uns zum Teil dessen. Prägnant und als Markenzeichen ERs etabliert ist eine Ästhetik des Rausches, welche uns die mit Dramatik aufgeladene Hektik der Lebensrettung erleben lässt. Sie verharrt nicht in Starrheit, sondern zelebriert die Energie in der Bewegung. Wir folgen den Akteuren zuweilen minutenlang durch die endlosen Gänge des Krankenhauses bis in den Operationssaal, winden uns um sie und blicken mit den Figuren ins Innere offener Torsos, spritzen mit Clooney und Co. gemeinsam ein Medikament in Blutbahnen und Schenkel und atmen nach diesem adrenalingetränkten Akt erst einmal einige Male tief durch, so wie es auch unsere TV-Ärzte tun - sofern ihnen dafür Zeit bleibt.

Der narrative Komplex

Denn auf den aufgepeitschten Wellen dieses virtuosen Bilderflusses, denen eine treibende, nicht aber aufdringliche Musik begleitet sowie das teils hämmernde Piepen medizinischer Gerätschaften, treibt symbiotisch ein verschlungenes Netz verschiedener Handlungsstränge. (Fast) Neu zu jenem Zeitpunkt ihrer Erstausstrahlung war die schiere Masse an Plots, welche sich parallel pro Folge ereigneten. Emergency Room erzählt pro Folge gleich 9 bis 18 nebeneinander ablaufende Geschichten. Nur eine Serie kam ER durch eine ähnliche erzählerische Herangehensweise zuvor, die Krimiserie Polizeirevier Hill Street aus dem Jahre 1981.

Das damit einhergehende Erzähltempo ist ein rasantes, aber nie in Unübersichtlichkeit oder Überforderung abgleitendes. Sorgsam eingestreut sind nämlich auch die zwischen den aufregenden Momenten stattfindenden Augenblicke - ein Plausch im Pausenraum, das gemeinsame Herumwitzeln auf dem Weg zur Patientenuntersuchung oder die Verlagerung in die Räume des Privaten.

So schafft es ER, einen vitalen Puls zum Leben zu bringen, das filigran auf seine einzelnen Elemente abgestimmte Herz schlagen zu lassen, welches der Serie ihre einzigartige Existenz verleiht.

Der Triumph der Authentizität

Das bunte Figurenensemble bekommt so ausreichend Raum für die nuancierte Entfaltung ihrer ambivalenten Persönlichkeiten. Vorsichtig legen die Autoren Schichten ihrer Charaktere frei, Folge um Folge, Staffel für Staffel. Auch nach etlichen Episoden lassen sich so noch neue Facetten ihrer komplexen Persönlichkeit auffinden.

Die Faszination und das anhaltende Interesse an dieser filigranen Ausleuchtung der einzelnen Charaktere wurzelt im Wesen ihrer Vielfalt und Abwechslung. Selten ließ sich eine solch massige Riege an Darstellern beobachten, zwischen denen die oft herbeizitierte "Chemie" dermaßen auf den Punkt dosiert war. Die Serie folgt dabei einer ungezwungenen Leichtigkeit, da die Konflikte nie einer dramaturgischen Struktur wegen aufzukeimen scheinen, sondern sich aus der Erzählung heraus ergeben.

Gemeinsam er- und durchleben sie mit uns die auf Authentizität fußenden Ereignisse des Emergency Room und darüber hinaus. Der Realismus der medizinischen Darstellung wirkt als gravitatives Zentrum, um das sich alle Beteiligten drehen, die selbst diesem Kredo einer möglichst lebensnahen Darstellung folgen. Selbst ein George Clooney, dem die Regenbogenpresse in den Folgejahren vielmals auf sein Dasein als sexy Entität reduzierte, kommt nicht nur als Beau mit Doktortitel daher, sondern ebenso mit Angreifbarkeit und Kantigkeit.

Emergency Room erweist sich auch 22 Jahre nach Erstausstrahlung noch wie eine geglückte experimentelle TV-Revolution, die rückblickend von enormer Wichtigkeit war. Inszenierung, Dramaturgie und Realismus stechen viele aktuellere Fernsehproduktionen gekonnt aus und erheben die Serie so zu einem nach wie vor glänzenden Monolithen des Fernsehens.

Was haltet ihr von Emergency Room?

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