In Horror Infernal entdeckt die Hauptfigur Rose im Keller eines Antiquitätengeschäfts ein Loch im Boden. Als ihr Schlüssel ins Wasser darunter fällt, taucht sie hinab und stößt auf eine Art Unterwelt, in der plötzlich vermodernde Leichen auf Rose zutreiben.
Wenige Szenen in dem Werk von Dario Argento ergeben nacheinander Sinn und doch will man sich jede einzelne sofort eingerahmt an die Wand hängen. Nur so lassen sich viele Filme des italienischen Regisseurs beschreiben, der irgendwann sogar seine Fans gegen sich aufgebracht hat und dann lange verschwunden ist. Dahinter steckt eine Geschichte wie eine Achterbahnfahrt, die zum Glück ein gutes Ende genommen hat.
Meisterregisseur Dario Argento prägte ein ganzes Filmgenre
Vor seinem ersten Spielfilm war Argento lange als Filmkritiker tätig, wobei er sich intensiv mit dem Medium auseinandersetzte. Außerdem arbeitete er in den 60ern als Co-Drehbuchautor mit an Sergio Leones brillantem Western Spiel mir das Lied vom Tod. Wer sich diesen Film ansieht, wird verstehen, woher Argentos eigenes Bewusstsein für markante Bildkompositionen und audiovisuell überwältigende Montagen kommt.
1970 erschien Argentos Spielfilmdebüt Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe, in dem der in Rom lebende US-Autor Sam Dalmas Zeuge des Mordes an einer Kunstgaleriebesitzerin wird. Diese Mischung aus Krimi und Thriller wird zum Subgenre des Giallo gezählt. Neben Argento selbst wurde der Filmstil durch die italienische Regie-Größe Mario Bava bekannt gemacht und irgendwann auch über Italien hinaus geschätzt.
Schaut hier einen Trailer zu Dario Argentos Regiedebüt:
Giallo bedeutet übersetzt Gelb und bezieht sich auf die italienischen Groschenromane, die mit Einbänden in dieser Farbe verkauft werden. Argento etablierte die Markenzeichen dieser nischigen Filmgattung, in denen es meistens um Mordserien mit einem Täter geht, der schwarze Handschuhe trägt und mit einem Messer tötet.
Dabei wird immer eine Hauptfigur Zeuge von einem der Morde und damit unfreiwillig mitreingezogen. Der Höhepunkt von Gialli sind aber die Mordsequenzen. Im besten Fall werden sie fast unerträglich spannend in die Länge gezogen und so beeindruckend gestaltet, dass trotz der Brutalität kleine Kunstwerke entstehen. Am Ende kommt die Auflösung, wer hinter den Verbrechen steckt, immer mit einer absurden Wendung daher. Wer bei Filmen viel Wert auf Logik legt, wird hier oft an seine Grenzen stoßen.
Dario Argento behandelte schmuddelige Genres wie ein großer Künstler
Argento hat den Giallo mit Höhepunkten wie Profondo Rosso - Die Farbe des Todes oder Terror in der Oper zur hochwertigen Kunstform weiterentwickelt und perfektioniert. In den Filmen, die meistens mit international gemischtem Cast gedreht und daher in mehreren Sprachen nachsynchronisiert wurden, fielen die Schauspielleistungen und Dialoge meistens holprig und zweitrangig aus.
Stattdessen setzte der Italiener die Kamera wie ein Maler ein. Er verwandelte brutale Morde zusammen mit markanter Architektur und mitreißender Spannung in überstilisierte Kunstwerke.
Wichtiger Mitstreiter des Regisseurs war die Prog-Rock-Band Goblin. Die verlieh Argentos Szenen einen wilden, intensiven Klangteppich, der die Atmosphäre der Werke stark dominierte.
Neben dem Giallo drehte Argento auch pure Horrorfilme, wobei ihm mit Suspiria einer der großartigsten Genre-Vertreter überhaupt gelang. Die Story über die amerikanische Ballettschülerin Suzy, die im deutschen Freiburg auf ein okkultes Geheimnis stößt, ist ein audiovisueller Frontalangriff auf die Sinne.
Für den Stil ließ sich der Regisseur unter anderem von kräftig strahlenden Technicolor-Märchen wie Disneys Schneewittchen und die sieben Zwerge inspirieren, um seine eigene Version eines übernatürlichen, kaum in Worte zu fassenden Alptraums zu kreieren.
Hier bekommt ihr einen Eindruck des Suspiria-Stils und der Goblin-Musik:
An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt. Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
YouTube Inhalte zulassenMehr dazu in unserer Datenschutzerklärung
Mit Dario Argentos Ruf ging es langsam bergab
Mit Beginn der 90er verlief die Karriere des Regisseurs jedoch langsam in der Bedeutungslosigkeit. Filme wie Aura - Trauma konnten inszenatorisch kaum noch Eindruck hinterlassen, während Werke wie Das Phantom der Oper als Adaption der legendären Romanvorlage enttäuschten.
Noch schlimmer wurde es für die meisten Argento-Fans ab den 2000ern. Hier schien der Filmemacher für die meisten mit Tiefpunkten wie The Card Player - Tödliche Pokerspiele, The Mother of Tears, Giallo und Dario Argentos Dracula ganz unten angekommen zu sein.
Argentos Handschrift ist hier mehr und mehr einem trashigen Stil gewichen, der von schlechten Videotheken-Gurken und Amateur-Schund kaum zu unterscheiden war. Nur Sleepless aus dem Jahr 2001 enthielt noch Spuren der alten Argento-Genialität, was die teils berauschende Sogkraft der Set-Pieces mit einem wunderbar klassischen Goblin-Score anging.
Dario Argento meldete sich in diesem Jahrzehnt mit Spannung zurück
Zusammen mit dem schlechten Ruf seiner neueren Filme ist Argento ein Stück weit in der Versenkung verschwunden. Der Name "Argento" lebte nur noch vom Status seiner lange zurückliegenden Großtaten. Über die Crowdfunding-Plattform Indiegogo sammelte er 2015 Geld für einen neuen Horrorfilm namens The Sandman, den er mit dem berühmten Rockstar Iggy Pop drehen wollte. Obwohl genug Fans spendeten, konnte der Regisseur den Streifen nicht realisieren.
Doch dann erschien überraschend sein neuer Spielfilm Dark Glasses - Blinde Angst, der zehn Jahre nach seinem Dracula Weltpremiere bei der Berlinale 2022 feierte. Die Aufregung vor Dark Glasses war dementsprechend groß. Wie sieht ein neuer Dario Argento-Film nach so vielen Jahren aus? Kann er nochmal an frühere Glanzzeiten anknüpfen oder reiht sich der Film in die jüngere Reihe trashiger Peinlichkeiten ein?
Hier ist ein deutscher Trailer zu Argentos Spätwerk Dark Glasses:
Dark Glasses ist Dario Argentos würdiges Spätwerk
Dark Glasses entpuppte sich schließlich als eine Art Alterswerk, in dem sich Argento so stilsicher wie seit Sleepless nicht mehr zeigte, statt einfach eine müde Kopie seiner älteren Filme abzuliefern. Dabei kommt gerade der Anfang wie ein hypnotisch-beklemmendes Déjà-vu daher.
Im sommerlichen Rom geht ein Serienmörder um, der Edelprostituierte ausgerechnet während einer Sonnenfinsternis ermordet. Plötzlich sind all die Argento-Markenzeichen in gewohnter Form und nur leicht variiert wieder da: die schwarzen Handschuhe, Opfer, die an mystisch-überhöhten Orten langsam ins Verderben irren und eine Tatwaffe, diesmal eine Cellosaite, die wie ein Fetischobjekt vor der Kamera präsentiert wird.
Trotzdem ruht sich der Italiener nicht auf einer Retro-Stilübung aus. Mit der blinden Prostituierten Diana (Ilenia Pastorelli) und dem Jungen Chin (Xinyu Zhang) wird Dark Glasses zum oft einfühlsam-rührenden Drama.
Während in vielen Argento-Filmen das unbedingte Hinsehen und Nicht-Wegschauen-Können zentrales Thema war, wird die Blindheit der Protagonistin zum bestimmenden neuen Motiv in Dark Glasses. Der Regisseur inszeniert sein Spätwerk bei Tag und in der Nacht wie einen schummrigen Klartraum, in dem triste Realität und pulsierend-surreale Gefahr ständig ineinander kippen.
Nie verliert er jedoch die sanfte Beziehung zwischen den Figuren aus den Augen, die sich gegen die grobschlächtig in den Erzählrhythmus einbrechenden Gewaltmomente stemmt. Dark Glasses ist Licht und Schatten, Gut und Böse, Gewalt und Schönheit, so betörend und ausgereift wie von Argento seit zwanzig Jahren nicht mehr vereint.
Wenn es der letzte Spielfilm des 84-Jährigen bleiben sollte, wäre er das passende Ende für eine lange Geschichte.
*Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links oder beim Abschluss eines Abos erhalten wir eine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.