Fargo - Staffel 3, Episode 1: Die Wahrheit hat ausgedient

21.04.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Fargo: Michael Stuhlbarg, Ewan McGregor und ein deprimierendes Parkhaus-BildFX
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In der 3. Staffel von Fargo sehen wir manchmal doppelt, aber das liegt nicht nur an Ewan McGregors Bruderpaar. Willkommen zurück zum kuscheligsten Kleinstadtgemorde im Fernsehen!

Packt eure Ohrwärmer und Leichensäcke aus, es geht zurück in die mordverseuchte Idylle von Minnesota. Erstmals seit Winter 2015 können wir uns über eine neue Folge von Fargo freuen. Knietief steht die Serie im Referenz-Kanon der Coen-Brüder und wurde dank der Arbeit von Showrunner Noah Hawley, seiner Kollegen sowie gelegentlichen U.F.O.-Auftritten doch ein ganz eigenes Biest. Nach 2006 und 1979 führt uns die 3. Staffel ins Jahr 2010. Wie zu erwarten war, begegnen uns in Folge 1, The Law of Vacant Places (S03E01), Kleinstadt-Polizisten, Gangster, Pärchen, die von einem besseren Leben träumen, und strunzdoofe Kiffer auf Bewährung. Das mag manchem schon wieder zu gewohnt vorkommen, mir allerdings nicht. Fargo, wie habe ich dich vermisst!

Where are you from? - America.

Die wichtigsten Domino-Steine werden im Auftakt der 3. Staffel von Fargo in Position gebracht. Bewährungshelfer Ray Stussy (Ewan McGregor vor einem Friseurbesuch) und seine Klientin Nikki Swango (Mary Elizabeth Winstead) wollen zu Geld kommen, sie mit Bridge-Turnieren, er glaubt bei seinem Bruder noch eine Schuld eintreiben zu können. Ray bittet Emmit (Ewan McGregor nach einem Friseurbesuch) um Geld und wird abgewiesen. Also versucht er, das ihm "zustehende" Erbteil selbst zu holen: Einer von Rays Klienten soll eine wertvolle Briefmarke mit Sisyphos-Motiv (Verweis auf Staffel 2) aus Emmits Haus stehlen. Emmit wiederum hat sein Parkplatzimperium mit Hilfe eines Darlehens durch die Finanz- und Immobilienkrise der späten 00er Jahre gerettet. Nun sitzt der dental marode V. M. Varga (David Thewlis) in seinem Büro und macht klar: Das war kein Überbrückungsdarlehen, sondern eine Investition seiner Firma Narwal, die hoffentlich einen zwinkernden Meeressäuger als Emblem trägt. Der auf berufliche Dregradierung wartende Chief Gloria Burgle (Carrie Coon) wird dank der stümperhaften Delegationskompetenz von Ray in die Geschichte hineingezogen. Rays Klient Maurice (kurz, zugedröhnt und schon tot: Scoot McNairy) bricht für seinen Bewährungshelfer ins falsche Stussy-Haus ein und tötet dabei Glorias Stiefvater Ennis. Um die Spuren zu verwischen bzw. über den ganzen Bordstein zu verteilen, lassen Ray und die pfiffigere Nikki eine Klimaanlage auf Maurice regnen.

Fargo

Scoot McNairy könnte das Double von Kieran Culkins Waffelhauskiller aus der letzten Staffel darstellen: Seine fatale Unfähigkeit setzt die Mordsgeschichte in Gang. Der Parkplatzkönig von Minnesota rückt auf den Platz der Gerhardts nach und die gute Polizistin Gloria muss hinterher die Blutlachen aufwischen. Diese Handlungsbausteine treten in der Premiere der 3. Staffel von Fargo besonders klar hervor, vermutlich weil sie routiniert zusammengesetzt werden. Den Zuschauer erwartet keine große Überraschung in Folge 1, weder darüber, wer stirbt, noch darüber, warum oder wie. Vielmehr dauert es sogar eine halbe Ewigkeit, bis Maurice nach dem Streit im Bad aus dem Haus kommt, Ray die Klimaanlage durch die Wand tritt und Mitwisser/Erpresser Maurice von dieser erschlagen wird.

Das Chaos schreitet in dieser Fargo-Folge kontrolliert voran, ich möchte fast sagen gemächlich. Figuren, Setting und Atmosphäre schmiegen sich an wie Omis selbst gestrickte, blutrote Wollsocken. Doch wie sehr dürfen sich die Fargo-Jahrgänge ähneln, ohne Vorwürfe der Ideenlosigkeit heraufzubeschwören? Das dürfte eine Herausforderung der 3. Staffel sein. Die erste Folge wird Skeptiker in dieser Hinsicht kaum beruhigen. Zum Anbruch der neuen Staffel scheint sich die Serie mit sich selbst am wohlsten zu fühlen. Dass ein Schotte, der für seinen schottischen Zungenschlag bekannt ist, zwei Amerikaner aus dem Mittleren Westen spielt, hat dann erst einmal etwas von einer zum Spaß auferlegten Übung.

Fargo

Das mag negativ klingen und sich für manchen bei der Sichtung so anfühlen. Ich persönlich war von der Staffelpremiere begeistert - genau wegen der Ähnlichkeiten, wegen der kurzen und langen Déjà-vus. Erst bei genauem Blick auf die Wiederholungen schälen sich die Variationen heraus. Das geschieht zwischen den Staffeln, etwa in der Art, wie Glorias Essen mit ihrem Stiefvater und Sohn inszeniert wird. Die Distanz innerhalb dieser Familie reicht einmal um den Globus, ganz anders als beim heimeligen Solverson-Klan in Staffel 1 und 2. Lous Schwiegervater Hank (Ted Danson) offenbarte sich auf der Zielgeraden von Staffel 2 als U.F.O.-Fanatiker. Der frostige Alkoholiker Ennis (Scott Hylands) versteckt nun eine Kiste mit Science-Fiction-Romanen unter den Dielen wie andere Mordwaffen und Goldschätze. Für seinen Enkel schnitzt er Figuren, die an Cover-Bilder erinnern und doch handelt es sich um Variationen, hier gefährliche Roboter, da glückliche Jungen. Die Story-Schnitzer Hawley und Kollegen gehen ähnlich vor. Just in dieser ersten Folge gibt es ein exquisites Motivdoppel, das zwei, Jahrzehnte auseinander liegende Szenen verbindet.

Der Prolog der Folge spielt 1988 in Ostberlin. Der sich durch die unterkühlte Szene brennende Sylvester Groth verhört als Stasi-Oberst einen jungen Mann. Einen Mord will er ihm anhängen, es steht so in den Akten. Irrelevant, ob Name, Alter oder Staatsangehörigkeit übereinstimmen. Fakten spielen keine Rolle, wenn sich die Wahrheit nach Wunsch zusammensetzen lässt. George Orwells 1984 hallt hier nach. Es ist eine ruhige, zivilisierte Szene, in der jeder Millimeter vom Ungleichgewicht der Macht in diesem Raum spricht. Die schneebedeckten Hausschuhe des Gefangenen beispielsweise, die für sich genommen die Geschichte eines ganz normalen, plötzlich erschreckenden Tages erzählen. Später in der Folge wird Emmit beinahe in warmen, kuscheligen Hausschuhen aus dem Haus gehen. Im Büro angekommen, sitzt ihm Vargas gegenüber und nutzt die finanzielle Schuld aus, um sich ins Geschäft Stussys hineinzuzwingen, egal was im Vertrag steht. Er schafft neue "Fakten" nach Belieben. Über das Geld hat er die Macht dazu. Noah Hawley, so viel scheint sicher, stellt sich die Gewinner der Wirtschaftskrise ein klitzekleines bisschen weniger attraktiv und gebräunt vor, als es die Casting-Abteilung von The Big Short getan hatte.

Fargo

Die Lust am Schauen besteht in dieser Episode gerade auch darin, die Verschiebung von Details, ob stilistisch oder hinsichtlich der Handlung, zu entdecken und die neuen Blickwinkel zu erkunden. Das ist der Vorteil bei einer Serie, die sich nach der Steigerung in Staffel 2 ihres Tons dermaßen gewiss ist. Die "Lust" ist hier durchaus eine andere als bei Hawleys Projekt Legion, deren surreale Bildersprache erst "gelernt" werden muss. Der Staffelauftakt von Fargo bereitet mit dem Minnesota-Sprech der Figuren (Okay then!), den netten Easter-Eggs und dem stimulierenden Referenz-Labyrinth reichlich Freude. Dehnt Sy (Michael Stuhlbarg) jeden Satz in einen Zeit schindenden, nervigen Singsang, wohingegen Thewlis' Varga seine Konsonanten als frisch geschärfte Klingen niedersausen lässt, dann kommt das virtuose Casting der Serie zum Tragen. Auch bei Mary Elizabeth Winstead, die hoffentlich eine ähnlich prominente Rolle einnimmt wie Kirsten Dunst in Staffel 2. Im Vergleich zu Peggy handelt Nikki von sich selbst überzeugt und äußerst gewieft. Ihre Präsenz - splitterfasernackt im Bad oder als Krisenmanagerin im Apartment - hebt sich überdies von Polizistin Gloria ab, die nicht einmal einen Schiebetür-Sensor auf sich aufmerksam machen kann.

Stilistisch gesehen weicht im Staffelauftakt der knackige, auf brutale Pointen getrimmte Schnitt der 70er den sanfteren Übergängen. Mit kreativen Überblendungen wurde in Legion der zwischen Einbildung und Realität schwankende Geisteszustand des Helden suggeriert. Zauberhafte Überlagerungen schufen sie da. In The Law of Vacant Places schenkt uns die unterschätzte Kunst der Überblendung eine Szene, in der Ray neidisch auf das Stussy-Schild seines Bruders blickt und ein Pissestrahl rechts ins Bild sprudelt. Hätte er doch damals die Briefmarkensammlung gewählt und nicht das Auto! Ray sieht sich seiner Version der Ereignisse nach um ein Vermögen betrogen, Emmit hat eine andere Geschichte parat. Die Wahrheit liegt irgendwo außerhalb des Frames.

Zitat der Folge: "Ich nenne das eine Geschichte. Und wir sind nicht hier, um Geschichten zu erzählen. Wir sind hier, um die Wahrheit zu sagen."

Anmerkungen am Rande:

  • Yuri Gurka = V.M. Varga?
  • Adriano Celentanos Fantasie-Englisch aus dem Song Prisencolinensinainciusol  begleitet die Bridge-Sequenz
  • Schaut Stiefvater Ennis im Fernsehen vor seinem Tod die U.F.O.-Folge aus Staffel 2?
  • Der Broker heißt leider Ermentraub, nicht Ehrmantraut, liebe Breaking Bad-Fans.
  • "You're the hand and I'm the glove."
  • "You ever think about why they never put the morgue at the top of the hospital?"
  • "That is so romantic."
  • Der POV-Shot der fallenden Klimaanlage ist so ähnlich auch in Fast & Furious 8 zu sehen.
  • Die Geschichte von Emmits späterer Ehefrau, die vorher in seinem Apartment gewohnt hat, klingt nach einer romantischen Schicksalsbegegnung. Beim Stasi-Verhör wird die ehemalige Wohnung des Ukrainers zum Verhängnis für einen Unschuldigen.

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