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Unmöglich zu sagen, wie wir hier her gekommen waren; die Luft war schwer von Tabak und anderen Kräutern, es wurde Bier und Baileys aus der Flasche gereicht, wie an so vielen Sonntagabenden in diesen Sommerferien. Wir waren zwischen 17 und 20 Jahren alt, gestrandet in irgendeinem WG-Zimmer eines Zivildienstleistenden, der Linux-Software programmierte. Müdes Grunzen adoleszenter Männchen erfüllte den Raum. Draußen waren süddeutsche Nazicops auf Patrouille. Es musste etwas passieren, schnell, sonst würde dieser Abend in einem Massaker enden, und der Gastgeber holte eine VHS-Kasette hervor, die schnurrend vom Player aufgesogen wurde. Fear and Loathing in Las Vegas hieß der Film, den wir ein Jahr zuvor im Kino ignoriert hatten. Wir hätten uns mit jedem anderen Video zu Frieden gegeben, uns war es einerlei, welche Berieselung uns die klägliche Gleichförmigkeit unserer Existenz vergessen ließ, während wir tranken und rauchten und uns dann und wann am Sack kratzten. Doch Minuten später starrten wir gebannt auf den kleinen Röhrenfernseher, die Gespräche waren verstummt oder drehten sich um das, was da auf dem Bildschirm passierte. Zwei Wochen später konnten wir alle den Film auswendig und minutenweise fielen in unseren Gesprächen Sätze wie “Wirst du dafür bezahlt, dass du den Eisbären vögelst?”, “ich habe meinen Anwaaaaalt bei mir…”, “Hier ist Fledermausland!” Und so ist es bis heute.
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Das Attribut “Kult” wird ja seit der Jahrtausendwende (um welche auch etwa die oben erzählte Geschichte spielt) immer inflationärer gebraucht und so manchem Film angeklebt, bevor er ganz aus den Kinos raus ist. Einer der letzten Filme, die sich diese Ehre noch ehrlich verdient haben ist ohne Zweifel Fear and Loathing in Las Vegas; eine fast wahre Episode aus dem Leben von Hunter S. Thompson, Erfinder des Gonzo-Journalismus, einer Form der Berichterstattung, die auf Objektivität oder Fakten (um nicht zu sagen: auf jegliche journalistische Standards) verzichtet, zugunsten der subjektiven, nicht selten drogenbedingten Erfahrung des Berichtenden. Thompson (Johnny Depp) fährt mit seinem Anwalt Dr. Gonzo (Benicio del Toro) in einem roten Cabrio nach Las Vegas, um über ein Motorradrennen zu berichten. Ganz im Sinne der Gonzo-Schule ist das Rennen von eher geringem Interesse, und Thompson erzählt in aller Ausführlichkeit wie es ist, mit einem Koffer voller Drogen im Gepäck unter falschem Namen in ein Hotel einzuchecken oder auf Mescalin durch ein jahrmarktartiges Casino zu taumeln; er erzählt von Begegnungen mit kaputten Highway-Polizisten oder einer gottesfürchtigen Jungfrau (Christina Ricci), die Barbra Streisand verehrt. Grundlegende erzählerische Prinzipien interessieren so wenig wie der gute Geschmack, und es brauchte einen Ausnahmeregisseur wie Terry Gilliam, um diesen bizarren Trip zu visualisieren. Gilliam, auf dessen Konto neben Filmen wie Brazil oder 12 Monkeys auch die charakteristischen Animationen in sämtlichen Monty Python Produktionen gehen, blieb inhaltlich sehr nah am Roman, Johnny Depp verbrachte mehrere Monate mit Hunter S. Thompson, um seine Eigenheiten zu studieren, und so entstand schließlich ein Film, der nicht nur Thompsons Segen bekam, sondern auch – wie mancher Gilliam-Film zuvor – das Publikum spaltete. Die Reaktionen lauteten “Unanschaubarer Müll ohne Inhalt und Geschichte” oder “Meisterwerk”. Es gab wenig dazwischen.
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Die Jungs aus der Geschichte vom Anfang saßen übrigens ein paar Jahre darauf um ein paar Illusionen ärmer in ähnlicher Runde und genauso breit in einem anderen Zimmer zusammen und sahen einen kurzen Videoclip, den jemand mit der damals total heißen Peer-to-Peer-Software Kazaa aus dem Netz gezogen hatte. Angeblich “gekürzte Szenen aus der Originalfassung von Fear and Loathing in Las Vegas”, hieß es: Eine Szene, in der Hunter Thompson einen quietschenden Affe kaufen wollte und eine andere, in der Thompson und Dr. Gonzo auf der Motorhaube ihres Wagens wehrlose Kokosnüsse zertrümmerten. Wir amüsierten uns sehr über den deutschen Jugendschutz, der uns offenbar ausgerechnet diese Bilder nicht hatte zumuten wollen.
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Tatsächlich wurde die Kinofassung von Fear and Loathing… auch in Deutschland ungekürzt veröffentlicht, und die zusätzlichen Szenen stammten aus dem von Terry Gilliam und Hunter S. Thompson autorisierten Director’s Cut, den das DVD-Label Criterion 2003 in den USA veröffentlich hatte. Es sollte ganze fünf Jahre dauern, bis diese Fassung heimlich, still und leise als deutsche BluRay erschien, und erst vergangene Woche erschien er auf DVD in Deutschland. Die Extras (Intervies und B-Roll) sind identisch mit denen früherer DVD-Editionen. Dennoch natürlich ein Pflichtkauf für echte Fans, die noch keinen BluRay-Player besitzen.
Hier ist nochmal der Trailer, der schon zum Kino-Release ein paar Bilder aus dem Director’s Cut enthielt, obwohl sie in der Kinofassung fehlten:
Auf Schnittberichte.com gibt es eine detaillierte Übersicht zu den Unterschieden zwischen Kinofassung und Director’s Cut.
Ach ja: "Noch eine Woche habt ihr die Chance, ein Exemplar der bewussten DVD zu gewinnen: In unserem Gewinnspiel zum DVD-Release