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Geh‘ in Deckung, da kommt noch ein Bier!

11.11.2017 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Prost!
Constantin Film
Prost!
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Dieser Artikel ist ein Community-Beitrag, der im Rahmen unseres Schreibwettbewerbs Mein liebster Kinomoment entstanden ist.

Mit Jogginghose und Unterhemd ins Kino? Schnauzbart Revival? Stimmung wie im Stadion? Unmöglich? Nein, ein Film aus unserem Nachbarland machte das möglich.
Wie eine Armee vermeintlicher Harz IV Fans ein Kino übernahm.

Ach was eine tolle Idee – ich freue mich darauf, viele andere erstaunliche, ungewöhnliche und lustige Geschichten zu lesen. Ich kenne Geschichten von meinen Eltern, als man noch geklatscht hat nach einem Film (das habe ich selbst nur einmal erlebt), als Leute nach Greystoke - Die Legende von Tarzan, Herr der Affen nach dem Film auf Laternen rumgesprungen sein sollen. Vielleicht hatte man mal das Glück, seinen Lieblingsfilm auf großer Leinwand zu erleben, wie z. B. ein fast ausverkauftes Kino bei Ghostbusters - Die Geisterjäger vor ein paar Jahren, als beim Titelsong der komplette Saal in kollektives Kopfnicken verfallen ist – aus der letzten Reihe ein göttliches Bild.

Auf meine liebste Kinogeschichte müsst Ihr allerdings verzichten, die ist sowieso nicht ganz jugendfrei und vom Film (Armageddon - Das jüngste Gericht) habe ich darüber hinaus auch nicht viel mitbekommen (ich weiß noch, wie ich 3-4 Jahre später etwas verdattert vor dem Fernseher saß, weil Bruce Willis im Film stirbt). Was Kino allerdings wirklich kann, sollte ich bei einem Film erfahren, von dem ich das 1. nie erwartet hätte und den ich 2. vorher nicht einmal kannte. Wie jede gute Geschichte beginnt auch diese mit den Worten:

Es war einmal… Wir schreiben das Jahr 2011. Wenn ich mich recht erinnere ein ganz normaler und ruhiger Samstag im Frühjahr. Wahrscheinlich war es ein Bundesliga-Spieltag und noch wahrscheinlicher saß ich deshalb mit einigen gut bekannten, dem gepflegten 15:30 Uhr Bierchen zugeneigten Artgenossen in unserer Pinte und verfolgten das Geschehen auf den verschiedenen Rasenplätzen über Großbildfernseher. Man erzählt ja viel Schwachsinniges, lacht, schimpft und plant darüber hinaus auch gerne mal den weiteren Abend.

So meinten zwei Leute:

„Wir jehen heute ins Kino, kommt doch mit, wird voll geil“.

Etwas überrascht, weil die beiden nicht gerade für cineastische Leidenschaften bekannt sind, fand ich das schon mal gar nicht schlecht und fragte:

„Watt kieckt ihr euch denn an?“
„Na New Kids Turbo“

In meinem Kopf fegte auf einmal ein Strohballen über eine längst vergessene Straße, der einzige Laut, den man vernahm, war das Zirpen einer Grille. Genau das muss man mir auch am Blick angesehen haben, denn es folgte die Frage:

„Kennste etwa nich?“
„Äh nee?“

„Echt nicht? Komm einfach mit, wird voll geil“

Ich dachte zu dem Zeitpunkt noch, was für ein ungemeines verkäuferisches Talent der mir Gegenübersitzende hat, denn „voll geil“ ist ja eine Filmbeschreibung, wie sie kein Trailer, kein Kritiker, keine Anzeige besser und schmackhafter liefern kann.

Naja, die Spiele dauerten auch heute nicht länger als 90 Minuten und da man ja schon etwas in Laune war, der Kopf nach etwas leichtem Ausschau hielt, tingelte man irgendwann los Richtung 20.00 Uhr Vorstellung.

„Der und der sind auch da, die haben schon Karten reserviert, wir holen dann einfach welche an der Abendkasse“.

Froh über den Hinweis von jemandem, der gefühlt zweimal im Leben im Kino war, dass genau so eine Möglichkeit besteht und man sich nicht mit Tarnanzug ins Kino an den Vorbestellern vorbeischleichen muss, waren wir unterwegs. Immer noch hatte meine Begleitung und mich keiner aufgeklärt, was wir uns denn bisher Geniales im Internet oder auf Comedy Central haben entgehen lassen. 200 m vom Kino entfernt befindet sich ein Supermarkt.

„Wollt ihr noch ‘n Bier holen?“ fragte uns einer der Initiatoren des Abends. Ich blickte zum Ausgang des Supermarktes und sagte: „Nee, is mir zu assi hier.“

Aus selbigem traten nämlich just in diesem Moment zwei Gestalten in Unterhemd, Jogginghose, geschmückt mit Fokuhila-Frisur und Schnauzbart und… Ja, da war es. Das fehlte noch zum Outfit. Bier!!! Nicht in Flaschen, keine Gläser – nein: DOSEN! Was sonst?

20 m hinter dem Supermarkt dann die nächste Begegnung, die mich langsam wirklich fragen ließ, was wir denn bisher im Internet und auf Comedy Central verpasst haben. Bei auserlesensten türkischen Speisen saß eine Gruppe von ca. 5 Leuten, alle im gleichfarbigen weißen Unterhemd, dafür verschieden farbige Jogginghosen, natürlich stilecht mit Fokuhila-Perücke, angeklebten Schnauzbärten und einem Biervorrat, der über 3 Eiszeiten hinaus gehalten hätte, die mit ihren tiefgründigen Gesprächen über mögliche nächste Sexualpartner einfach jeden im näheren Umkreis einbeziehen wollten. Ich hatte kurz den Verdacht, mich im Musikvideo von Baddiel und Skinner zum eventuell neuen Song Three Lions ’12 zu befinden, und zwar just in dem Augenblick, als die Deutschen am Ende auftauchen.


https://www.youtube.com/watch?v=OzxMjBEazas


Nur die Trikots wurden gegen Unterhemd und Paderborner eingetauscht.

„Sacht mal, ähm, kann es sein und ich befürchte ich kenne die Antwort bereits, dass Familien Flodder und wir das gleiche Ziel haben?“

Als Antwort kam ein breites Grinsen. Ich vermisste das erste mal den Tarnanzug.

Nach diversen weiteren Begrüßungen von wildfremden Leuten, die sich allerdings alle auf die einfachen drei Worte „Juungge“, „Mongo“ und einem biergegrunzten „Tach“ reduzieren ließen, war die Kinokasse erreicht. Ok, sie war zu sehen, denn offenbar waren wir nicht die einzigen, die nicht vorbestellt haben. Wieder kam mir unweigerlich der Tarnanzug ins Gedächtnis.

Die armen Studenten im Kino, die doch nur brav ihre Karten verkaufen wollten, um sich ne müde Mark dazuzuverdienen. Ich kann mir nur vorstellen, was für Sprüche sie über sich ergehen lassen mussten.

Wir näherten uns also umringt von „Mitten im Leben“ Fans (ich weiß, war wahrscheinlich nicht so, aber die hatten alle die entsprechenden Fanklamotten an) selbiger Kasse.

„Nur noch Reihe 4 oder die Vorstellung um 22:30 Uhr“

Riesig. Ganz toll. Ein Film, der vor Anspruch nur so zu strotzen scheint und dann Reihe 4.

„Watt solln wa denn so lange machen? Inna Nase boan? Nee Meester, 4. Reihe, 6 ma bitte“ hörte ich es hinter mir rufen. Gut, Geld gegeben, Niveau gleich dazu. Kann ja eigentlich nur witzig werden.

Es war so weit, wir betreten die heiligen Hallen des Kinos. Gerammelte voll bis zu Reihe 4 (nach uns kamen noch arme Würstchen, die in Reihe 3 Platz nehmen sollten). Und verdammt, ich habe noch nie so eine Lautstärke 20 Minuten vor dem Film gehört. Es wurde gelacht, es wurde abwechselnd „Juungge“ und „ Mongo“ gerufen, es wurde gerülpst, es wurde geschrien‘ – das war schon irgendwie beeindruckend, weil alles mit guter Laune durchzogen war, doch nicht so Hartz IV mäßig. Der Gedanke an den Tarnanzug verschwand allmählich. 5 Minuten später, die bisherigen Biere dachten da wohl anders und wollten auf Klo rausgelassen werden. Kein Problem, der Film lief ja noch nicht, es war kurz vor Kinovorschau. Ich ging also zur Toilette – in welchem von den 9 Kinos New Kids Turbo heute lief, war ohne weiteres im Foyer zu erraten. Ich kam also wieder, da wird mir von nebenan auf die Schulter getippt mit den Worten „Bist du blöde, hättest auch hier jehen können.“ Ich guckte in die rechte vordere Ecke des Kinos, wo gerade ein leicht torkelnder Jugendlicher sein Geschäft verrichtete (kein Spaß!), angefeuert und umjubelt von seiner ihn begleitenden Truppe in den hintersten Reihen. Mehr Weg hätte ihm wahrscheinlich auch nicht zugetraut werden können. Nach dem Abschütteln bekam er zur Belohnung eine Bierdose nach vorn geworfen. Überhaupt schien die ganze Zeit irgendwo irgendjemand in dem Kino eine Dose zu öffnen (ihr erinnert euch an den Biervorrat?).

Kinovorschau: Bad Teacher. Cameron Diaz erscheint, und zwar gepaart mit Buh-Rufen und Pfiffen. Aber wirklich alle, im Kollektiv, nie schien eine Menge inniger in ihrer Meinung vereint. Ok ein paar wenige meinten, dass sie mit ihr gern irgendwohin blicken wollten (der genaue Wortlaut war aufgrund der extremen Lautstärke nicht zu verstehen). Andere Schauspieler, andere Szenen sind im Trailer zu sehen und die Buh-Rufe nahmen zu, die Pfiffe ebenso. Es herrschte Kneipenstimmung, alles roch nach Bier, Zigarettenqualm lag ebenfalls in der Luft und vorne versucht im übertragenen Sinne ein armer Hanswurst einen Vortrag über die schädigende Wirkung von Alkohol zu halten und hofft auf Verständnis des Publikums. Dann aber: Jason Segel tauchte auf dem Bildschirm auf. Die Stimmung explodierte ins Gegenteilige, als hätte Mario Götze gerade in der Verlängerung gegen Argentinien zum 1:0 getroffen schrie einer nach dem anderen Richtung Leinwand als gäbe es kein Morgen mehr: „Marshall!!!“ Und immer wieder Marshal!!!

Jemand anderes: Buh, Pfiffe

Jason Segel: Yeahhh MARSHAL!

Cameron Diaz: Buh, Pfiffe, vereinzelte murmelten scheinbar etwas von einem Knicklicht

Jemand anderes: mehr Buh, mehr Pfiffe

Jason Segel: MARSHAL!

Grandios, ich habe nur beim Fußball bisher so eine Stimmung erlebt und im Kino nur bei American Pie - Wie ein heißer Apfelkuchen so gelacht.

Der Film ging los – auf welchem Niveau der spielt, dürfte bekannt sein, darauf will ich nicht eingehen. Allerdings wird so eine Dose Bier auch mal leer. Also wohin damit? Genau: Ab nach vorn! Und wo saßen wir? Genau: Reihe 4, mitten im Detonationsgebiet. Man zuckte irgendwann schon automatisch zusammen, wenn man auf der Leinwand die schattige Silhouette einer Bierdose erkannte. Versteht mich nicht falsch, es war nicht beängstigend oder asozial; es war einfach eine tobende Stimmung. Von einer Bierdose stirbt man nicht, selbst wenn sie einen trifft. Es passte einfach zum Film, zu der Stimmung, zu allem. Das ist method Viewing :D

Film und Zuschauer vereinten sich in einer alkoholgetränkten Symbiose. So muss Kino sein, nie wieder hat es ein Film geschafft, das Publikum so abzuholen, so in seinen Bann zu ziehen, ja so selbst Teil des Films werden zu lassen. Die Witze von New Kids Turbo waren um einiges flacher als die Flugkurven der Bierdosen, die über 80 Minuten dutzendfach nach vorne gefeuert wurden. Mit dem 300 Mann starken Publikum im Rücken wurde es aber kurzzeitig der witzigste Film aller Zeiten. Erst zum Ende hin nahmen die Dosenwürfe so extrem zu, dass man sich den Abspann schon sehr herbeisehnte. Als dann eine Flasche geflogen kam (traf uns Gott sei Dank nicht), gab es kurz eine Minischlägerei vor der ersten Reihe, eh sich die werfende Partei doch relativ feige verkrümelte.

Den restlichen Kinobereich durfte der gesamte Saal nicht mehr betreten. Wir wurden durch die Notfalltür, über die Feuerleiter auf die Straße geführt, wieder von den inzwischen noch ängstlicher drein schauenden Studenten, die wahrscheinlich hofften, dass Alkohol doch irgendwann müde macht. Der Saal glich einem Schlachtfeld, zu vergleichen nur mit dem Markt nach der ersten Halbzeit vom 1. FC Süderbrarup gegen Holzbein Kiel . Ernüchterung trat ein, es war anscheinend doch nur ein ganz normaler Tag mitten im Berliner Friedrichshain, bei dem in einem relativ kleinen Kinosaal für 2 Stunden ein gewisser König Pilsener seine Gesetze durchdrückte. Alle gingen nach Hause, wir auch, ohne ein großes Wort zu wechseln. Ein Grinsen hatte trotzdem jeder unerklärlicherweise im Gesicht.

***

Wir bedanken uns ganz herzlich bei unseren Sponsoren. Hier erfährst du alles zum Prozedere des Schreibwettbewerbs und den Preisen. Eine Übersicht aller Texte des Schreibwettbewerbs findest du hier.

Denk daran: Stimme ab für Deutschlands Lieblingskino 2017!

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