Nach "Turtles 2" nun Joe Dantes Fortsetzung seines Kino-Hits von 1984:
Ich hatte mich damals in der Stadtbibliothek angemeldet, um die reichhaltige Auswahl an Literatur ... ach, mach' ich mir nix vor, ich hatte mich angemeldet, um vorrangig MCs und CDs auszuleihen, aber vor allem, um aus dem rar gesäten Repertoire an Filmen neuen Stoff für den heimischen Videorekorder zu bekommen. Ich war noch keine 12 Jahre und die Angestellten dort haben den Jugendschutz sehr ernst genommen. So blieben mir leider einige Filme verwehrt, die mich brennend interessiert hatten, z.B. "Enthüllung". Also hielt ich mich an Filme ohne Altersbeschränkung und mit FSK6-Freigabe. Die zwei meistausgeliehenen Titel waren "Die Beverly Hillbillies sind los" (müsste ich mal wieder schauen) und "Kuck mal, wer da spricht - Teil 2" (müsste ich auch mal wieder schauen).
Doch bei einem Film ist es mir geglückt, dass die Mitarbeiterinnen ein Auge zudrückten. Natürlich nicht aus heiterem Himmel, denn ein wenig Vorarbeit war schon nötig. Entweder durch Argumentieren, der Film sei doch "nicht so hart" oder ganz frech, indem ich das Video zwischen die Kassetten der für mein Alter geeigneten Filme untermischte und gehofft habe, es würde keinem auffallen. Aber meine Hartnäckigkeit hat sich bezahlt gemacht und nach mehreren Anläufen wurde mir genehmigt, diese verbotene Frucht auszuleihen:
"Gremlins - Kleine Monster" hatte ich bereits mehrmals im TV gesehen und ich habe ihn geliebt - tu' ich heute noch. Meine Eltern (und die Merchandise-Maschinerie) hatten mich schon früh mit einem Gizmo-Plüschtier für die Kreaturen sensibilisiert. Ich habe Gizmo und Co. ins Herz geschlossen, konnte mich als junger Lausbub' mit dem anarchischen Verhalten von Stripe und seinen Kumpanen identifizieren und habe mich zu Hause gefühlt im Spielberg'schen Vorstadt-Kosmos. Und es ist bis heute einer DER Weihnachtsfilme überhaupt. Wie ich später herausfand, wurde mir im Fernsehen immer eine gekürzte Fassung vorgesetzt. Als ich später - weit über 20 - die ungeschnittene (ab 16 Jahren freigegebene) Fassung sah, war ich dann doch ein wenig überrascht über die Härte und Gewaltspitzen, die der Film bietet. Kleiner Fun-Fact: Weniger überrascht, dafür umso schockierter reagierten kurz nach US-Kinostart ein paar fürsorgliche Eltern, die den Film ganz und gar nicht kinderfreundlich fanden. Resultat: Einführung der "PG-13"-Freigabe*!
Zurück zur Fortsetzung:
All die Mühe, die ich aufbringen musste, all das Blut-und-Wasser-Geschwitze, das ich investiert habe, um diesen Film endlich zu sehen, haben sich komplett gelohnt. Mit Einlegen des Videos offenbarte sich mir ein anarchisches, auf jede Konvention pfeifendes Zitate-Feuerwerk mit soviel Meta-Ebenen wie der Clamp-Tower Stockwerke hat. Der Clamp-Tower ist übrigens der Schauplatz des ganzen wahnwitzigen Irrsinns. Nach einem Zwischenfall (klar!), in dem Wasser eine folgenschwere Rolle spielt, dauert es nicht lange, bis sich Gizmos "Sprösslinge" selbständig machen, anfangen, nach Mitternacht zu fressen und sich dann in weniger putzige Kreaturen verwandeln. Mit dem darauffolgend einsetzenden Terror, den die Gremlins unter den Besuchern und Mitarbeitern des Hochhauses verbreiten, beginnt ein wahrer Regen an Verweisen und selbstironischen Persiflagen.
"Der Besitzer des Wagens mit dem Kennzeichen '1AG401' wird gebeten, seinen Wagen aus der Clamp-Garage zu entfernen. Ihr Wagen ist alt und schmutzig."
Nicht nur, dass der Clamp-Tower das Symbol ausschweifender Konsumgeilheit und technischen Wetteiferns ist, auch die Geschichten, die sich in diesem kalten, seelenlosen Bau abspielen, strotzen vor grenzenloser Kreativität, Ideenreichtum und überdrehter Situationskomik. Wie erwähnt, war ich damals zu jung, um mir den Film ausleihen zu dürfen. Dementsprechend blieb mir ein Kinobesuch erst recht verwehrt. Warum ich darauf zu sprechen komme: Es gibt ein großartiges Gimmick, das die Video- von der Kinofassung unterscheidet. Mehr verraten möchte ich nicht, da der Überraschungseffekt damit verloren geht. Wer es dennoch sehen will, kann sich den Ausschnitt hier anschauen. Denn auf den später erschienenen DVD/Blu-ray-Veröffentlichungen wurde das Gimmick aus der Kinofassung wieder eingefügt, dafür findet sich die VHS-Variante als Extra im Bonusmaterial. Ich bevorzuge das der VHS, da dieser Scherz auf DVD/BD nicht wirklich funktioniert und die Stimmen der Figuren - in der deutschen Fassung - in besagter Szene nachsynchronisiert wurden. Und das ziemlich schlecht!
Nichtsdestotrotz widerspiegelt diese Szene genau den Humor, der den Film auszeichnet. Und den Spaß, den das Team am Set hatte. Nach dem Erfolg des ersten Teils wollte das Studio schnell eine Fortsetzung nachschieben. Da Regisseur Joe Dante aber erst einmal genug von den kleinen Monstern hatte, suchte man nach adäquatem Ersatz. Doch der ließ sich nicht finden und so kam man nach ewiger Suche erneut auf Dante zurück. Diesmal war er nicht abgeneigt, hatte jedoch eine Bedingung: Er darf tun und lassen, was er will! Warner willigte ein. Diese Verhandlungsbasis kam einem Freifahrtschein gleich und der Regisseur machte sich an die Fortsetzung, die klarstellt: "Ja, ich bin eine Fortsetzung. Ich habe ein schweres Erbe anzutreten, aber machen wir das beste daraus. Lass uns ganz ungeniert beim Original klauen und mit der 'Höher, schneller, weiter'-Schippe einen dicken Haufen Selbstironie und Wahnsinn draufpacken." Warum sich also krampfhaft darum bemühen, der Weitererzählung mehr Tiefe oder Nuancen zu verleihen, wenn es doch vollkommen ausreicht, die Handlung örtlich zu verlagern und einfach nochmal von vorne anzufangen.
Reichte die Bandbreite unterschiedlicher Charaktere im ersten Teil noch vom Exhibitionisten- bis Bankräuber-Gremlin, werden die Geschöpfe hier einfach gekreuzt mit Gemüse, Elektrizität oder Tieren. Ein Fledermaus-Gremlin hinterlässt bei seinem Ausbruch durch die Wand das Batman-Logo, ein weiterer zeichnet sich durch Kultiviertheit und eloquentem Wortschatz aus - während er an seiner Pfeife raucht. Woher er diese hat, interessiert nicht, denn längst ist man der überzogenen, cartoonhaften Stimmung des Films verfallen und hinterfragt gewisse Dinge einfach nicht mehr.
Es sind nicht bzw. nicht nur die zahlreichen Slapstick-Einlagen, die den humoristischen Facettenreichtum des Films auszeichnen. Triumphal punktet das Sequel, wenn es aus seinem eigenen Universum ausbricht und mit herausragenden Selbstreferenzen die wahren Glanzmomente darbietet. Der Filmkritiker Leonard Maltin verriss den ersten Teil, als dieser 1984 in die Kinos kam. Was macht man also? Man lädt ihn einfach ein und lässt ihn in einer Szene seine Kritik wiederholen, bis er von ein paar Gremlins während seiner Rede unterbrochen und überwältigt wird. Oder die Mutter, die während einer Kinovorstellung samt Tochter den Saal verlässt und sich beim Vorführer darüber beschwert, dass der gezeigte Film noch schlechter als der erste Teil sei. Auch diese Geschichte entspringt nicht etwa der Fantasie von Drehbuchautor Charles S. Haas, sondern basiert auf einem Ereignis, das sich tatsächlich während einer Testvorführung von "Gremlins" abgespielt hat.
Seien es die zahlreichen popkulturellen Verweise, die liebevollen Details oder das Aushebeln aller selbstgesteckten Regeln. "Die Rückkehr der kleinen Monster" gestaltet sich als Abgesang auf die Yuppie-Kultur der 80er, filmgewordene Schadenfreude und politisch inkorrekter Wahnsinn, der als Komödie für Kinder und als Satire für Erwachsene funktioniert. Außerdem sieht Gizmo noch süßer aus als in Teil 1.
Joe Dante hat mit "Gremlins 2" das Rad nicht neu erfunden, er hat es in die Luft gejagt!
* Die PG-13-Freigabe war das Resultat einer Anfang der 80er aufkommenden Debatte um Gewalt in Filmen, besonders in für Kinder freigegebene Filme. Neben "Gremlins" sorgte auch "Indiana Jones und der Tempel des Todes" für Diskussionsstoff. Steven Spielberg, der an beiden Filmen beteiligt war, hatte ein gutes Verhältnis zu Jack Valenti, dem damaligen Präsidenten der Motion Picture Association of America und schlug ihm eine Freigabe zwischen einem PG- und einem R-Rating vor. Am 1. Juli 1984 wurde das PG-13-Rating eingeführt. Der erste Film, der mit dieser Freigabe ins Kino kam, war John Milius' Sowjet-Invasionsthriller "Red Dawn" mit Patrick Swayze und Charlie Sheen!