Ich, Fahrenheit 451 & die Macht der Dystopie

06.05.2014 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Oskar Werner in Fahrenheit 451
Universal Pictures
Oskar Werner in Fahrenheit 451
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François Truffaut hat sich als eine Säule der Nouvelle Vague seinen Platz in der Filmgeschichte gesichert. Dieser Text widmet sich seiner Dystopie Fahrenheit 451, die in ihrer Kernaussage ein Plädoyer für die Medien Film und Literatur ist.

Die Karriere des François Truffaut begann 1951 bei der berühmten Zeitschrift “Cahiers du cinéma”, welche damals der Leitung des nicht minder bekannten Intellektuellen André Bazin unterstand und die Wiege der Nouvelle Vague ist. Parallel zu dem Autor eines Buches, so propagierte er, gäbe es unter den Regisseuren ebenfalls Künstler, in deren Filme eine individuelle Handschrift erkennbar ist. Diese Parallelen in der Wortwahl zeigen, dass François Truffaut literarische Autoren in einer Vorbildfunktion sah, an der sich die filmschaffenden Autoren hinsichtlich ihrer Gestaltungsfreiheit orientieren sollen. Daher verwundert es nicht, dass er seine große Leidenschaft für Bücher in Fahrenheit 451 zum Ausdruck brachte und sich von einer dystopischen Geschichte inspirieren ließ, um die wichtige Funktion des niedergeschriebenen Wortes hervorzuheben.

Warum ich Fahrenheit 451 mein Herz schenke
Zugegebenermaßen ist die Zahl der Romane, die ich mir in den letzten Jahren zu Gemüte geführt habe, im Vergleich zu meiner Schulzeit überschaubar. Die Anforderungen eines geisteswissenschaftlichen Studiums – die intensive und zeitaufwendige Lektüre von theoretischen Texten – ließ bei mir häufig die Motivation für zusätzliche Lesestunden erlöschen. Dystopien wollen gesellschaftliche Entwicklungen reflektieren und kenntlich machen. Der Effekt von Fahrenheit 451 auf mich war allerdings der, dass ich in den nächsten Tage die Vorlage von Ray Bradbury in die Hände nehmen, oder allgemeiner ausgedrückt, ein Buch lesen werde. Falls es die Absicht des Regisseurs war, beim Zuschauer die Lust am Lesen (wieder) zu wecken, so hat seine Erzählung von einer bücherlosen Gesellschaft zumindest bei mir den größtmöglichen Erfolg. Die Bilder der brennenden Bücher und der paralysierten Ehefrau (Julie Christie) des Protagonisten (Oskar Werner), die sich pausenlos mit Medikamenten und den Trivialitäten des interaktiven Bildschirms betäubt, sind natürlich dem Genre entsprechend drastisch, verfehlen aber ihre erkenntnisreiche Wirkung nicht und sind eine eindrückliche Aufforderung Bücher zu schätzen und deshalb auch zu lesen.

Warum andere Fahrenheit 451 lieben werden
In Fahrenheit 451 sehen wir Oskar Werner als Feuerwehrmann Guy Montag, der keine brennenden Häuser löscht. Er gehört zu einer staatlichen Einheit, welche die Häuser von Bürgern aufsucht, um die dort vermuteten Bücher zu beschlagnahmen und zu verbrennen. Bücher sind in Fahrenheit 451 ein Übel. Sie bedrohen den Status Quo, weil sie die Lesenden mit Widersprüchen und anderen Perspektiven konfrontieren sowie dazu beitragen können, das eigene Leben und dessen Rahmen zu hinterfragen. Die tatsächlichen Autoritäten bleiben in François Truffauts Film unsichtbar. Sie müssen keinen Druck nach unten ausüben, das System und die darin Lebenden kontrollieren sich größtenteils selbst. Etwaige Emotionen werden mit Tabletten und sinnentleerten Sendungen auf den Bildschirmwänden unterdrückt. Die Individuen denunzieren sich gegenseitig und werfen anonyme Hinweise zu Kriminellen, die Bücher besitzen, in dafür vorgesehene Briefkästen ein. François Truffaut beweist einerseits, dass er mit filmischen Mitteln den Kern der Vorlage vermitteln kann (konsequenterweise verzichtet Fahrenheit 451 beim Vorspann auf die Einblendung von Schriftzügen, diese werden vorgelesen). Andererseits betont er, dass eine moderne Gesellschaft auf die vom Buchdruck symbolisierten Errungenschaften nicht verzichten kann.

Warum Fahrenheit 451 die Jahrzehnte überdauern wird
Ich bedauere die von Mave erläuterte Paradoxie Hollywoods, dass momentan dystopische Filme gänzlich zur kulturindustriellen Ware verkommen. Wenn sich sogar die Darstellung einer anti-utopischen Gesellschaft im Film aktuell lediglich der visuellen Reize dystopischer Ästhetik bedient, so verfehlt sie ihr Ziel, die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf zeitgenössische Missstände zu richten und degradiert diese Ambition zum schmückenden Beiwerk beziehungsweise zur leeren Hülle. Fahrenheit 451 dagegen transportiert eine Botschaft, die – wie die gezeigten Bücher und das darin gespeicherte Wissen – in den nächsten Jahrzehnten und unabhängig von ihrem Alter nichts von ihrer Aussagekraft und ihrem Einfluss einbüßen wird.

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