Ich, Spiel mir das Lied vom Tod & Mundharmonika

13.01.2012 - 15:01 Uhr
Charles Bronson in Spiel mir das Lied vom Tod
Paramount
Charles Bronson in Spiel mir das Lied vom Tod
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Die Bilder, die Musik, Claudia Cardinale – kein anderer Film raubt mir so sehr den Atem wie Spiel mir das Lied vom Tod. Darum schenke ich dem in meinen Augen großartigsten Western aller Zeiten heute mein Herz für Klassiker.

Mit seiner Dollar-Trilogie bestehend aus Für eine Handvoll Dollar, Für ein paar Dollar mehr und dem genialen Zwei glorreiche Halunken revolutionierte Sergio Leone den Western von Italien und Spanien aus. Fernab des Heimatlands des Genres, in dem jeder dachte, alle Geschichten wären erzählt, alle Szenarien durchkonjugiert, erschuf der Meisterregisseur etwas Frisches, das in dieser Form noch nie da war. Und zu allem Übermaß besaß er als Italiener die ungeheure Frechheit, mit Spiel mir das Lied vom Tod ein Werk zu schaffen, das alle anderen Western überragt.

Warum ich Spiel mir das Lied vom Tod mein Herz schenkte
Mir kommt es vor, als sei ich in einer Generation aufgewachsen, die den Western als von Grund auf langweilig empfand. Wahrscheinlich verhält es sich mit der folgenden Generation ähnlich. Allerdings stieg mein Interesse an dem Genre, je älter ich wurde. Als ich damit anfing, den Grundstock der Cowboy und Indianer-Klassiker zu sichten, war mir bereits klar, dass Spiel mir das Lied vom Tod in irgendeiner Weise einen besonderen Status einnahm. Trotzdem erschien er mir etwas langatmig und nicht wirklich außergewöhnlich, als ich ihn eines Abends auf Kabel 1 laufen ließ und nur mit einem Auge hinsah.

Die Schwere meines Vergehens realisierte ich erst Jahre später, als ich eine Sondervorführung im Kino inklusive Hintergrundinformation zu dem Überklassiker besuchte. Die Bildgewalt von Spiel mir das Lied vom Tod zog mich völlig in ihren Bann. Mir wurde klar, dass die ewig ausgedehnten Einstellungen nicht langweilig sind, sondern eine ungemeine Spannung aufbauen, die sich oft binnen Bruchteilen einer Sekunde entlädt. Die Wirkung der extremen Close-ups entfaltete sich stärker, da jeder Falte, jedem Zucken eines Auges eine Bedeutung zu kam. Ob es daran liegt, dass mir Sergio Leones Werk auf der großen Leinwand präsentiert wurde oder ob der Film einfach nur ungeteilte Aufmerksamkeit erfordert, der überlebensgroße Ruf des Klassikers erschien mir mehr als gerechtfertigt. Das unterstrich nach der Vorführung auch der Mann, der ein paar Schlussworte über das Werk verlor: “Meine Damen und Herren, sie können sich jetzt die Augen ausstechen, denn so etwas Schönes werden sie nie wieder sehen”.

Warum auch andere Spiel mir das Lied vom Tod lieben werden
Wahrscheinlich ist es die musikalische Untermalung, die die meisten mit C’era una volta il West (so der Originaltitel) assoziieren. Die stilistische Identität des Italowesterns ist von Ennio Morricone ebenso stark geprägt wie von Sergio Leone. Selbst jene, die gleichgültig gegenüber dem Medium Film sind, kennen die Titelmelodie, die gleichzeitig als Thema von ‘Mundharmonika’ (Charles Bronson) fungiert. Sie baut die Atmosphäre genauso behäbig auf, wie es die Kamerabilder von einer weiten, leeren Prärie tun, nur um sich dann in enthüllenden Momenten des Films so explosiv zu entladen wie ein Revolver. Über sein unheilverkündendes Mundharmonikaspiel verständigt sich der wortkarge Namenlose deutlicher als mit hunderten von Dialogzeilen. Doch noch atemberaubender als die Titelmelodie empfinde ich den klagenden Frauenchor, der das Wesen der Prostituierten Jill (Claudia Cardinale) verkörpert. Wenn die Kamera über die weite Szenerie des Wilden Westens schwenkt und der markerschütternde Chor einsetzt, bekomme ich das Gefühl, als würde sich das Schicksal einer gesamten Epoche vor mir kristallisieren. Und nichts Geringeres als das ist der Anspruch von Morricone und Leone.

Warum Spiel mir das Lied vom Tod einzigartig ist
Neben den genannten Aspekten erreicht Spiel mir das Lied vom Tod etwas, das keinem anderen Film so effektiv gelungen ist. Obwohl, oder gerade weil, der Klassiker fest in der Struktur des Westerns verankert ist, entmystifiziert er das gesamte Genre innerhalb seiner 165-minütigen Spieldauer. Dass der Spaghetti-Western nicht weiter vom klassischen Western entfernt sein könnte, wird deutlich, wenn wir das Gesicht des Mannes sehen, der gerade eine Familie abgeschlachtet hat und kurz davor ist, einen hilflosen Jungen zu töten, während er ihm direkt in die Augen blickt. Es ist Henry Fonda, mit dem die damaligen Zuschauer Wyatt Earp oder Abraham Lincoln identifizierten. Zuvor hätte er nie jemandem in einem Film etwas Unrechtes angetan. Andererseits ist es gut vorstellbar, dass es sich bei dieser Figur um den gleichen Westernhelden handelt, der früher für das Gute kämpfte. Er hat sich lediglich an die realistischere Sichtweise Sergio Leones auf den Wilden Westen angepasst. Wo Eigeninteressen und Profitgier die Wurzeln der neu entstehenden Zivilisation sind, da lohnt es sich nicht für einen Cowboy, selbstlos die Armen und die Schwachen zu verteidigen.

Im klassischen Western wurde gern die Legende verbreitet, die Kirche wäre die Einrichtung gewesen, um die die Westernstädte errichtet wurden. Das beste Beispiel dafür ist die perfekt orchestrierte Szene aus dem Edelwestern Faustrecht der Prärie von John Ford, in der der Grundstein für ein Gotteshaus gelegt wird. Sergio Leone erzählt eine revisionistische Version des Hollywood-Mythos, die wesentlich plausibler klingt. Der Bahnhof samt Eisenbahnschienen, errichtet von schwarzen und asiatischen Arbeitern, ist es, der das Zentrum einer neuen Siedlung und somit den Grundstein der nach Westen voranschreitenden amerikanischen Gesellschaft bildet. Leone sowie die Autoren Bernardo Bertolucci und Dario Argento setzen der Entmystifizierung die Krone auf, indem sie Jill, einer Hure, in der letzten Einstellung als Mittelpunkt der neu entstehenden Zivilisation inszenieren. Nicht der Gottesglaube lockte die Pioniere gen Westen, sondern die Bordelle.

Warum Spiel mir das Lied vom Tod die Jahrzehnte überdauert
Spiel mir das Lied vom Tod wird auch in den kommenden Jahrzehnten einen Film darstellen, zu dem Cineasten wieder und wieder zurückkehren werden, um ein einzigartiges Erlebnis zu erfahren. Kein anderer Regisseur hat es bisher so gut verstanden, durch den Wechsel zwischen extremen Close-ups und bedeutungsschwangeren Totalen einen kontrastreichen Spannungsaufbau zu erwirken wie Sergio Leone. Der Klassiker versetzt uns zurück in eine Zeit der Filmgeschichte, in dem Bilder und Musik die Geschichte erzählten und alle überflüssigen Dialoge ohne Kompromisse gestrichen wurden. Und verdammt, sieht Claudia Cardinale nicht einfach umwerfend aus?

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