Ich, Uhrwerk Orange und Alex DeLarge

01.06.2012 - 08:50 UhrVor 13 Jahren aktualisiert
Opfer und Täter zugleich: Alex DeLarge
Warner
Opfer und Täter zugleich: Alex DeLarge
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Gewaltverherrlichung oder scharfe Gesellschaftskritik? Die Meinungen zu Stanley Kubricks Klassiker gehen weit auseinander und reichen von faschistisch bis genial. Nichtsdestotrotz vergebe ich mein Herz für Klassiker an Uhrwerk Orange.

Konnte ich in jungen Jahren noch nicht wirklich viel mit den Werken des Regiemeisters Stanley Kubrick anfangen, faszinieren seine Filme mich heute umso mehr. Genauso ist es mit seinem 1971er Film Uhrwerk Orange, der gleichnamigen Romanadaption von Anthony Burgess.

In Bild, Ton und Schauspielpräsenz zeigt sich einmal mehr die Perfektionssucht Stanley Kubricks, der dafür bekannt ist, Szenen hundertfach zu wiederholen und die Schauspieler bis an ihre Grenzen zu treiben. Laut Malcolm McDowell war der Regieveteran mit seiner Darstellung aber meistens recht zufrieden. Malcolm McDowell spielt den gewaltätigen, sadistischen und skrupellosen Anführer einer Jugendbande, deren Hobby es ist, Chaos zu stiften und unschuldige Menschen zu misshandeln. Nach dem Mord an einer Frau wird der Milch trinkende Alex von seinen Droogs zurückgelassen und der Polizei zum Fraß vorgeworfen. Im Gefängnis stellt er sich frewillig als Versuchskaninchen zur Verfügung, einer Art Aversionstherapie, die ihm lehrt, bei Gewaltszenerien Übelkeit und Schmerz zu empfinden. Aus seiner Haft entlassen, findet sich Alex nun selbst als Opfer der Gesellschaft wieder, benutzt und weggeworfen. Er ist völlig hilflos und wird selbst das Ziel sinnloser Gewalt.

Warum ich Uhrwerk Orange mein Herz schenkte
Wo soll ich da anfangen? Am besten mit dem offensichtlichsten Grund: Alex DeLarge ist ein jugendlicher Schweinehund wie er im Buche steht. Er und seine Bande von Droogs sind von der Sorte rebellierender Halbwüchsiger, wie ich sie zu keiner Tages- und Nachtzeit begegnen möchte. Anfangs empfand ich Abscheu und Unverständnis gegenüber den Taten von Alex und seiner Bande. Doch so unrealistisch es klingen mag, am Ende ertappte ich mich, wie ich voller Empathie und Mitleid mit dem einstigen Scheusal mitfühlte, das nun selbst als hilfloses Opfer da stand und nicht einmal mehr seinem Lieblingskomponisten lauschen konnte. Auf geniale Weise hat der Film mich einer Gehirnwäsche unterzogen, wie er es selbst auch mit Alex gemacht wird. Ein exzellenter Effekt von Stanley Kubrick, der selbst beim wiederholten Schauen immer wieder bei mir greift.

Warum auch andere Uhrwerk Orange lieben werden
Bei der ersten Sichtung dieses Films wird der Zuschauer so vielen Sinneseindrücken unterworfen, dass er sich anfänglich beinahe überfordert fühlt. Ob schonungslose Gewaltszenen oder ein sexueller Akt im Zeitraffer: Die bildgewaltigen Szenen schlagen auf uns ein wie ein gigantischer Porzellan-Penis und ließen zunächst nichts als Kopfschmerzen zurück. Doch ist der erste Schock gewichen, können wir uns auf die Gefühlsflut einlassen. Wir sind entrüstet, angewidert, belustigt, fasziniert und fassungslos – und das alles macht nur ein einziger Film mit uns. Wahrscheinlich verursacht Uhrwerk Orange auch so eine große Resonanz, weil er unsere abgrundtiefsten, verborgensten und perversesten Phantasien visualisiert. Alex macht das, was wir uns nicht einmal wagen zu denken und wird dafür – zu Recht – zur Verantwortung gezogen. Trotzdem sehen wir dem gewaltverherrlichenden Misanthropen nur allzu interessiert zu und ergötzen uns an seinen Missetaten.

Warum Uhrwerk Organge einzigartig ist
Stanley Kubrick schafft es wie kaum ein anderer, eine tiefgreifende Story mit einer atemberaubenden Optik zu verbinden. Wie auch später in Shining lässt er oft die pure Gewalt seiner Bilder sprechen. Allein schon die elektrisierende Anfangssequenz, die uns den wahnsinnigen Blick von Alex DeLarge in der Milchbar präsentiert, fesselte mich an meinen Sitz und versprach eine nervenaufreibende cineastische Erfahrung. Die grausamsten Szenen voller Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber dem menschlichen Wesen unterlegt der Regisseur mit der schönsten klassischen Musik und schafft dadurch nur noch ein grausameres Bild. Neben der aufrüttelnden Geschichte ist Uhrwerk Orange eine audiovisuelle Erfahrung der Extraklasse, die seines gleichen sucht.

Warum Uhrwerk Orange die Jahrzehnte überdauerte
Neben der großartigen schauspielerischen Leistung und der einmaligen Bildgewalt ist es vor allem die Thematik, die Uhrwerk Orange zeitlos macht. Von der aufsteigenden Jugendkriminalität bis zur Frage, wie weit sich Menschen beeinflussen bzw. verändern lassen, können die Themen des Films auf nahezu jede Generation projiziert werden. Wie weit darf der Staat sich in das Leben eines Menschens einmischen, der zum Gewaltverbrecher geworden ist? Was ist noch gerechte Bestrafung und was ist Folter? Wie geht die Gesellschaft korrekt mit einem ehemaligen Verbrecher um? Alles Fragen, die nie ihre Relevanz oder Aktualität einbüßen und die Uhrwerk Orange auch noch heute so brisant machen.

Zählt Uhrwerk Orange auch zu euren Klassikern?

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