Intergeschlechtliche Charaktere existieren kaum in Filmen und Serien – aber diese Horror-Ikone zählt dazu

11.06.2024 - 16:45 UhrVor 6 Monaten aktualisiert
Sadako 3D
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Fast 2 Prozent aller Menschen werden auf dem intersexuellen Spektrum jenseits der binären biologischen Geschlechtlichkeit geboren. Bis auf wenige Beispiele genießen sie jedoch kaum Repräsentation in den Medien.

Das für queer stehende Q in LGBTQ muss in Abwesenheit weiterer Buchstaben oft eine Menge leisten und steht neben Lesben, Schwulen, Bisexuellen und trans Menschen für alle übrigen Ausdrücke von Queerness. So auch für die Community der intergeschlechtlichen Menschen, die mit 1,7 bis 1,9 Prozent Bevölkerungsanteil (laut Antidiskriminierungsstelle ) etwa gleichauf mit der Anzahl der Rothaarigen sind.

In Filmen und Serien kommen inter* Charaktere – also Figuren, deren biologische Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig männlich oder weiblich sind – so gut wie gar nicht vor. Neben wenigen Protagonist:innen aus Filmen und Serien über das Thema selbst, wie XXY von Lucía Puenzo oder About Sasha auf Disney+, muss ausgerechnet eine berühmte Horror-Film-Figur als seltene Repräsentantin herhalten.

Intergeschlechtlichkeit in Filmen und Serien: Bis auf Horrorwesen wenig gewesen

Dass die Intersex-Pride-Flagge aus einem violetten Ring auf gelbem Grund besteht, ist seltsam passend, denn die vielleicht berühmteste Intersex-Filmfigur ist Sadako Yamamura aus dem J-Horror-Franchise Ring. Ganz genau: das unheimliche Mädchen aus dem Brunnen, das mit ihrem Horror-Video Leute verflucht und gelegentlich aus dem TV krabbelt. Die meisten Versionen, wie auch das US-Remake The Ring, verschweigen dieses Detail über ihren Charakter jedoch. Dabei spielt Sadakos Intergeschlechtlichkeit in der Originalgeschichte eine wichtige Rolle.

In Koji Suzukis Romanvorlage ist Sadako eine junge Frau, die ihren Vater in einer Tuberkuloseklinik besucht. Dort erlebt sie sexuelle Gewalt durch einen der Ärzte, der ihren von der Norm abweichenden Körper bemerkt und sie in besagten Brunnen wirft. Mit Pocken infiziert kombiniert Sadako daraufhin das Virus mit ihrer nensha genannten Fähigkeit, mentale Bilder auf Film bannen zu können, und sendet ihr verfluchtes Video in die Welt.

Dieses tötet die Betrachter:innen nach sieben Tagen, es sei denn, sie kopieren das Tape und zeigen es einer weiteren Person, was einen ewigen, virulenten Kreislauf schafft. Erst im Folgeroman Spiral kommt Sadakos wahre Intention heraus: Jene, die gerade ihren Eisprung haben, werden durch das übernatürliche Fluch-Virus mit einem Klon von Sadako befruchtet, wodurch sie wiedergeboren werden kann.

Erwähnt wird Sadakos inter* Identität bei 14 Filmen und 2 Serien zum Thema Ring in nur wenigen Versionen. So etwa im TV-Film Ring: Kanzenban, der den Roman noch vor dem berühmten J-Horror-Klassiker Ring sehr nah an der Vorlage adaptierte, sowie im südkoreanischen Remake The Ring Virus, das Elemente beider Versionen miteinander kombiniert.

OtheRing: Wie problematisch ist Rachegeist Sadako als intersexuelle Horror-Ikone?

Dass ausgerechnet ein unheimliches Film-Monster die prominenteste fiktive inter* Figur ist, darf getrost als problematisch bezeichnet werden. Queerness oder eine andere Abweichung der Norm mit Monstrosität gleichzusetzen, ist aber nichts Neues im Horror-Genre und hat traurige Tradition.

Je nach Version wird Sadako immerhin als tragische Figur gezeichnet, deren nachvollziehbare Rachsucht sich erst entwickelt, nachdem ihr aufgrund ihrer Andersartigkeit ungeheures Unrecht angetan wird. Allerdings soll ihre Mutter sie nach einer Affäre mit einem Wasserdämon zur Welt gebracht haben, weshalb ihre Intersexualität als Ausdruck einer inhärenten Monstrosität dargestellt wird. Das geht über klassisches othering, also das Ab- und Ausgrenzen Andersartiger von "guten" Normalos, hinaus. Die Intersexuelle wird buchstäblich dämonisiert.

Darüber hinaus reproduziert Suzuki im zweiten Roman, der vor Ring 2 mit dem ursprünglichen Sequel Ring - Spiral verfilmt wurde, den Mythos des sich selbst befruchtenden "Hermaphroditen" als medizinische Kuriosität, die in diesem Fall sogar die Welt damit bedroht.

Besonders bedauernswert fehlt der intergeschlechtliche Aspekt im Prequel-Film Ring 0, der Sadako (Yukie Nakama) mit Abstand im sympathischsten Licht zeigt. Verpasst wurde hier, mehr als ihre potentiell verstörenden Fähigkeiten als Diskriminierungsgrund darzustellen. So bleibt es bei einer X-Men-mäßigen Metapher für Queerness und einer Sadako, die sofort (und zurecht!) von Magneto rekrutiert werden könnte.

Orchideen-Charaktere: Nur wenige Beispiele für Intergeschlechtlichkeit in Film und Fernsehen

Die Non-Profit-Organisation GLAAD (Gay & Lesbian Alliance Against Defamation) liefert jährlich einen Bericht  zur Lage von LGBTQ-Charakteren im US-Fernsehen ab. Intergeschlechtliche Charaktere werden dabei nicht einmal als eigene Gruppe angeführt, da es selbst im Vergleich zu trans Charakteren verschwindend wenige sind.

Viel häufiger als wiederkehrende Charaktere, wie Amy (Jessica Campbell) aus Voll daneben, voll im Leben, widmen sich einzelne Episoden von Medizinserien wie Dr. House, Nip/Tuck - Schönheit hat ihren Preis oder Masters of Sex dem Thema – mit unterschiedlichen Leveln an Sensibilität. Das geht besser.

Sichtbarer sind mittlerweile Film- und Serienfiguren mit nicht-binärer Geschlechtsidentität, bei denen es um das soziale Geschlecht (gender) im Gegensatz zum biologischen Geschlecht (sex) geht, die sich gegenseitig nicht bedingen. Wollen wir hoffen, dass der Fluch der schlechten bis nicht vorhandenen Repräsentation intersexueller Charaktere in der nahen Zukunft gebrochen wird und ihre Geschichten nicht unerzählt bleiben. Auch, wenn das vermutlich länger als sieben Tage dauert.

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