Interview mit Sebastian Urzendowsky

07.09.2009 - 09:02 Uhr
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Sebastian Urzendowsky im Gespräch über seinen neuen Film Berlin ’36. Er spielt die Rolle der Marie Ketteler, die als verkleideter Mann dafür Sorgen soll, daß eine jüdische Hochspringerin keine Medaille holt.

Sebastian Urzendowsky, bekannt aus Filmen wie Anonyma – Eine Frau in Berlin oder Die Fälscher, spielt in seinem neuesten Film Berlin ’36 an der Seite von Karoline Herfurth die Rolle der Marie Ketteler, einen als Frau verkleideten jungen Mann, der dafür Sorgen soll, daß die Jüdin Gretel Bergmann nicht für Nazi-Deutschland an den Olympischen Spielen 1936 teilnimmt. Der Film beruht auf einer wahren Geschichte.

Eines der wichtigen Themen dieses Films ist die Freundschaft. Glauben Sie, dass eine richtig gute Freundschaft, trotz aller Repressalien, denen sie in diesem Fall ausgesetzt ist, allen Hindernissen trotzt?

Ich glaube nicht, dass die Filmfreundschaft eine wirkliche Freundschaft ist, wie sie natürlich wächst. Es gibt allerdings eine große Sympathie zwischen den Beiden und ein Bedürfnis nach Nähe, das die Beiden sonst von keinem anderen bekommen können. Gretel und Marie finden sich ja erst, weil sie Schicksalsgenossen sind und eher eine Schicksalsgemeinschaft bilden.

Worauf haben Sie sich denn bei den Recherchen der Figur von Marie Ketteler konzentriert?

Für mich kreiste die Recherche nicht direkt um das Verhältnis zwischen den Beiden, sondern darum wie jemand empfindet, der gezwungenermaßen in einem anderen Körper steckt. Die Frage war auch: Was ist in der Familie schief gelaufen? Ich habe mich mit dem Sexualpsychologen Dr. Ahlers getroffen, der auch über diesen Fall etwas wusste, weil sein Mentor darüber geschrieben hatte.

Sie haben bereits mehrfach Personen der Zeitgeschichte gespielt. So etwa den jugendlichen Kindermörder Jürgen Bartsch oder den Sohn von Günter Guillaume. Bedingen diese realen Personen für Sie eine andere Herangehensweise an die Rollen?

Ja, auf jeden Fall, weil es ja erst mal eine ganz klare Recherche möglich macht. Der Ansatz des Spielfilms bedeutet, dass man niemals etwas 1: 1 umsetzt, sondern sich auf einen Aspekt des Lebens konzentriert. Durch die Draufsicht von jemand anderem, findet auch eine Entfremdung statt. Der Spagat liegt dann darin, wie viel man von dem Tatsächlichen in eine Rolle steckt, und wie viele Entscheidungen von Autor, Regie und Schauspielern kommen und in welche Richtung anschließend erzählt wird. So stellt man zwangsläufig immer eine Behauptung auf. Wenn man von vornherein damit umgeht zu sagen, dass man etwas Teil-Fiktionales schafft, dann schafft dies auch wieder eine neue Freiheit. Umso bekannter die Figur ist, umso mehr wird man daran gemessen.

Tauchen Sie gerne in historische Themen ein und schätzen Sie die Beschäftigung mit Personen aus anderen Epochen?

Ich mag das sehr gerne, obwohl ich auch aktuelle Dinge schätze. Mir gefällt die Mischung und ideal ist es, beide Möglichkeiten zu haben. Beides hat seine Faszination und ich könnte nicht sagen, was ich vorziehe.

Inwieweit gab es zwischen Ihnen und Karoline Herfurth beim Hochsprungtraining einen
sportlichen Wettbewerb?

Der sportliche Wettbewerb war nicht so ausgeprägt, aber wir wollten es schon so gut wie möglich machen. Als Junge bin ich natürlich immer ein Stück höher gesprungen, weil ich einfach einen andere Physis habe als Karoline Herfurth. Es war auch wichtig, eine andere Sprungtechnik zu erlernen. Wir haben mit dem Leichtathleten Klaus Beer, der 1968 in Mexiko-Stadt die Silbermedaille gewann, ein Fitnessprogramm absolviert und mussten den Schersprung lernen. Das war für Karoline noch schwieriger, weil sie für ihre Rolle technisch die besseren Leistungen erbringen musste und auch am Ende technisch am besten gesprungen ist. Bei mir kam es nur darauf an, eine Höhe zu schaffen und sogar bewusst Fehler mit einzubauen.

Inwiefern mussten Sie Ihren Körper sonst noch verändern?

Ich habe vorher meine Haare nicht geschnitten und hatte Lauftraining mit einem Model, das mir beigebracht hat, auf hohen Schuhen zu laufen, damit es möglichst natürlich aussieht. Ich musste auch lernen, mich in Kleidern zu bewegen. Es ist zwar ein Mann, den ich spiele, der aber widerum eine Frau verkörpert. Ich wollte mich daher nicht übertrieben bewegen. Jedoch war es mein Anspruch zu zeigen, dass er eine gewisse feminine Körperlichkeit erworben hat und sich in Kleidern und auf hohen Schuhen
zurecht findet. Beim Sport benutzt er jedoch seine volle Stärke, die er als Mann hat. Bei Kleinigkeiten, wie etwa das Haar aus dem Gesicht streichen, kommt seine Erziehung immer mal wieder durch. Dieser Zwiespalt war spannend.

Im Film verdeckt er seine wahre Identität sehr lange. Ist dies theoretisch denkbar oder totale Fiktion?

Ich denke, man hat in der damaligen Zeit überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass sich jemand als Frau ausgeben könnte. Heute lebt man eher mit dem Gedanken. Damals wurde das Geschlecht eines Menschen überhaupt nicht hinterfragt.

Wäre es dramaturgisch nicht besser gewesen, dass Geheimnis von Marie Kettelers Identität so lange geheim zu halten?

Ja, aber das wäre kaum möglich gewesen, da der Vorspann bereits enthüllt, dass dort ein junger Mann, also ich, mitwirkt. Die Frage wird wohl eher lauter, warum bekommen die Beteiligten anscheinend im Film das nicht mit? Ich denke, so bleibt die Spannung erhalten, ob und wann seine Umgebung herausbekommt, dass er ein Mann ist.

Mit Material von X-Verleih.

Berlin ’36 startet am 10. September 2009 in den Kinos.

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