Irgendwie großartig: Die furchtbare Natalie Portman in Vox Lux

08.09.2018 - 09:45 UhrVor 8 Monaten aktualisiert
Vox Lux
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Das Filmfestival von Venedig geht zu Ende, das auf 75 Festivaljahrgänge zurückblickte und dies mit einigen großen Namen im Programm garnierte. Einer davon: Natalie Portman in der Popsatire Vox Lux.

42 Filme habe ich beim Filmfestival von Venedig gesehen, zwei davon wurden von Film projiziert, die anderen digital. Beide Filme liefen im Wettbewerb und beide sehnen sich nach einer anderen filmgeschichtlichen Zeit. László Nemes' Sunset über den Vorabend des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn sucht eher die Nähe zu einem späten Visconti als Wettbewerber, denn dem Netflix-Terror in Paul Greengrass' 22. Juli. Brady Corbets Popstar-Satire Vox Lux ist da schon schwerer zuzuordnen. Verankert zwischen Columbine und dem 11. September ist der Film, der sich dezidiert mit dem Heute auseinandersetzt. Sein Habitus, sofern ein Film einen Habitus haben kann, verrät hingegen eine Affinität zu den Auteurs der 70er Jahre. Bei der Pressevorführung sammelte Vox Lux jedenfalls einige der rar gesäten Buhrufe in Venedig, wo das Publikum weniger ritualisiert und seine Stimmung insgesamt lauwarmer ist als beispielsweise in Cannes. Eine solch extreme Reaktion, egal ob Buhruf oder Jubel, kann eigentlich nur für den Film sprechen in einem Festival, das viele große Namen im Wettbewerb bot, aber wenige große Filme. Vox Lux ist deshalb sowas wie mein ultimativer Film dieses Festival-Jahrgangs. Irgendwie großartig, vielleicht auch gut.

Venedig feierte seine 75. Ausgabe

Erstmal zum wichtigsten, nämlich dem, was man in Venedig vor jedem Film sieht und über das so gut wie nie gesprochen wird. Bei der Berlinale regnen goldene Sterne vor rotem Grund in den Schriftzug der Filmfestspiele hinein. Glamour wird versprochen im Festival-Trailer. Cannes zimmert vor jedem Film im offiziellen Programm eine Treppe aus dem Meer hinauf zu den Sternen. Beim 70. Jubiläum vergangenes Jahr trugen die Stufen die Namen großer Regisseure. Venedig berauscht mit Aufbruchstimmung vom Klavier. Filmausschnitte aus der erstaunlich langen Festivalgeschichte, von Frankenstein (1931) bis Shape of Water (2017), verschmelzen und formen zusammen einen goldenen Löwen, Festival-Emblem und Hauptpreis des Wettbewerbs.

Passend dazu gab es zur 75. Ausgabe der Filmfestspiele eine Ausstellung in dem verfallenen Grand Hotel des Bains auf dem Lido. In diesem wurde Thomas Mann zu seiner Novelle Der Tod in Venedig inspiriert und Luchino Visconti zu deren Verfilmung. Standbilder und Festival-Fotos aus jedem Jahr seiner Geschichte wurden aneinandergereiht, sodass man in einer Viertelstunde von Leni Riefenstahl zu Sean Penn schlendern konnte. Durchaus zur wechselhaften Geschichte passend ist es da, dass dieses Jahr der Stratege der Neuen Rechten, Steve Bannon, in Venedig war anlässlich der Premiere von Errol Morris' enttäuschendem American Dharma. Unter den raren entblößenden Momenten des Interview-Films voller brennender amerikanischer Flaggen: als Morris zugibt, dass Bannon und seine rechte Meute ihm Angst machen. Einen Seitenhieb Richtung Croisette ("This is a selfie zone!") gab es in der Ausstellung auch.

Roma ist der beste Film im Wettbewerb von Venedig

Venedig sollte dieses Jahr das bessere Cannes werden, zumindest was den Wettbewerb angeht. Für die 75. Ausgabe sammelten die Italiener die im Konflikt zwischen Cannes und Netflix verheizten Geiseln auf und mit Roma von Alfonso Cuarón stammt sogar der beste Film des Wettbewerbs aus den Reihen des Streaming-Anbieters. Es war in jedem Fall der souveränste, nämlich der, der seine Größe nicht im Habitus suggeriert, sondern in seinem Kern. Filme wie First Man, Suspiria oder auch Vox Lux gehen in ihrem Bestreben, die Leinwand im Sala Grande des 1937 erbauten "Palasts des Kinos" durch jeden meisterhaften Millimeter auszufüllen, aus dem Leim. Was durchaus nicht nur Negatives hat. Ich schau mir lieber einen protzenden Damien Chazelle an, als sowas wie den argentinischen The Accused, der erstaunlicherweise im Wettbewerb lief, obwohl er alle Anzeichen eines ideenlosen TV-Films trägt. Um ihm den letzten Hieb zu verpassen: Selbst im Berlinale-Wettbewerb würde sowas nicht laufen.

Tatsächlich übertrumpfte Venedig die französische Konkurrenz dieses Jahr mit Hollywood-Stars. Zur Feier des Tages schlug bei der A Star Is Born-Premiere mit Lady Gaga der Blitz ein, eine angemessene himmliche Reaktion auf einen Besuch von Stefani Joanne Angelina Germanotta. Würde man mir die Pistole an die Schläfe halten (oder zur Bestechung einen Kaffee einschenken), würde ich das Regiedebüt von Bradley Cooper als einzig echten Oscar-Kandidaten im Programm von Venedig auserwählen, also das Shape of Water oder La La Land aus diesem Jahr. Der wunderbare The Sisters Brothers scheint mir zu entspannt für den Oscar, Vox Lux wirkt zu angestrengt, The Favourite zu fies, Suspiria zu dunkel, First Man zu glatt und Roma zu gut. Obwohl ich diverse Problemchen mit dem Remake habe, nahm mich kein anderer Film im Wettbewerb so mit wie A Star Is Born in jener Szene, in der Bradley Coopers Country-Star Lady Gagas Sängerin bei einem Konzert auf die Bühne holt. Beim Oscar geht es ums Mitnehmen und wenn dich ein Film auch nur einen Moment so in den Bann schlägt, wie es A Star Is Born gelingt, dann verzeihst oder gar vergisst du seine Macken. Den Academy-Mitgliedern könnte es genauso gehen.

Vox Lux: Wer will schon ein Star sein?

Im Originalfilm A Star Is Born gibt es einen Prolog, der in allen Remakes fehlt. Esther Blodgett (Janet Gaynor) lebt bei ihrer herrischen Tante in North Dakota. Es ist ein tristes Leben in den dunklen Hütten der Großen Depression. Die Großmutter gibt Esther ihr Erspartes, um endlich den Weg nach Hollywood anzutreten. Sie selbst sei als Siedlerin in die Weite gezogen, habe sich allen Opfern zum Trotz ein Leben aufgebaut und ein Land noch dazu. Nun steht Esther dasselbe bevor, nur ersetzt der Zug nach Los Angeles den Planwagen. Hollywood, diese noch neue Welt im Jahr 1937, wartet nicht, es muss erkämpft werden. Esther geht also mir ihrer Oma zum Bahnhof und auf dem grauen Schnee blitzen die Lichtstrahlen aus den vorbeiziehenden Waggons des einfahrenden Zuges auf wie die Einzelbilder eines Filmstreifens. Unwiderstehlich. Springen wir 80 Jahre in die Zukunft. Natalie Portman steht als Popstar mit dem himmlichen Namen Celeste auf der Bühne. Diese Celeste wird in Vox Lux als Teenie ausgerechnet durch ein Schulmassaker berühmt, das sie in einer nationalen Pop-Hymne besingt. Anno 2017, sie hat selbst eine Tochter, ist aus Celeste eine von der Berühmtheit grotesk verzerrte Gestalt geworden, die für unsichtbare Reality-TV-Kameras eine Art Authentizität zu spielen scheint.

Es ist eine ziemlich furchtbare Natalie Portman-Darbietung, offensichtlich kontrolliert in ihrer Unkontrollierbarkeit, und schlicht nervig. Aber das ist Sinn der Sache in dem Film von Brady Corbet. Er geht mir nicht aus dem Kopf, auch wenn ich einen fundamentalen Zweifel an Corbets Ambitionen als Autorenfilmer hege, die in seinem Erstling The Childhood of a Leader gesät wurden. Steckt da wirklich Können drin oder stolpert er alle paar Szenen über Ansätze eines großen Films? Ich beschreibe den Zweifel mal so: Am Anfang steht das Schulmassaker. Die in die Länge gezogene Titelsequenz, in der ein Großteil des Stabes genannt wird, legt sich breit über die Nachwirkungen. Eine schwer blutende Celeste liegt in einem Krankenwagen, während die vielen Namen, die normalerweise im Abspann stehen, sie überlagern. Es nervt in seiner Manieriertheit fast so wie Portmans Staten-Island-trifft-Jersey-Shore-Gehabe. Im positivsten Sinne hat Corbet das parodistische Autorenfilm-Äquivalent des fantastischen Popstar: Never Stop Never Stopping gedreht. Die Frage im Kern: Wer zum Teufel ist verrückt genug, ein Star sein zu wollen?

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