Jim Jarmusch, dieser Name ist bekannt. Er klingt nach Kult, nach schwarzweiß, nach New York und Puritanismus. Wer auf Independentkino steht, der kennt den US-Regisseur zu Genüge, dem Rest dürfte zumindest Broken Flowers bekannt sein. Er sei der “langsamste Filmemacher aller Zeiten”, meint Aki Kaurismäki, der wie auch Tom Waits, Iggy Pop oder John Lurie bereits mehrfach mit Jarmusch zusammengearbeitet hat. Wenn am 28. Mai Jarmuschs neuestes Werk The Limits of Control anläuft, so sind darin wieder einmal sämtliche Schauspieler versammelt, die bereits in seinen vorherigen Filmen zu sehen waren. Doch wer ist Jarmusch überhaupt, was trieb ihn zum Filmemachen, was zeichnet seine Filme aus? Im großen Jim Jarmusch Special möchten wir euch beginnend mit diesem Porträt in den kommenden Wochen Thementexte zur Ikone des Indie-Kinos präsentieren.
Kindheit und Jugend
Jim Jarmusch wird am 22. Januar 1953 in der Kleinstadt Akron in Ohio, USA geboren. Der Filmemacher, der mit bürgerlichem Namen James R. Jarmusch heißt, ist das älteste von drei Kindern der Familie. Seinen Vater beschreibt er als einen hart arbeitenden Mann, der bei dem Reifenhersteller Goodyear beschäftigt ist. Seine Mutter schreibt, vor ihrem Dasein als Hausfrau und Mutter, für die Lokalzeitung “Akron Beacon-Journal” und rezensiert unter anderem auch Filme. Großen Einfluss auf den jungen Jim Jarmusch übt seine Großmutter aus, eine leidenschaftliche Liebhaberin moderner Kunst und Literatur, die ihren Enkel schon früh in seinen literarischen Ambitionen unterstützt: Ursprünglich will er Dichter werden.
Nach seiner Schulausbildung beginnt Jim Jarmusch 1971 ein Studium der englischen und amerikanischen Literatur an der Columbia University in New York. Dieses schließt er nach vier Jahren mit dem Diplom ab. In seinem letzten Semester geht er für einige Zeit nach Paris und entdeckt dort in der Cinémathèque Française seine Film-Leidenschaft. 1976 bewirbt er sich an der renommierten New York University Graduate School für ein Studium der Filmwissenschaften und wird trotz fehlender praktischer Erfahrungen angenommen. Hier wird er Schüler des Regisseurs Nicholas Ray, der sich unter anderem mit … denn sie wissen nicht, was sie tun (1955) unsterblich gemacht hat. Durch ihn kommt es zu einer für Jim Jarmusch wichtigen Bekanntschaft: Er lernt den viel beachteten deutschen Regisseur Wim Wenders kennen, für dessen Film Nick’s Film – Lightning Over Water (1980) er 1979 Produktionsassistent wird. Im selben Jahr, kurz nach dem Tod seines Mentors und Vorbilds Nicholas Ray, beginnt er mit den Dreharbeiten zu seinem ersten Film, der gleichzeitig seine Abschlussprüfung für das Studium ist.
Permanent Vacation und Zusammenarbeit mit Wim Wenders
Permanent Vacation (1980) lautet der Titel seines 72-minütigen Erstlingswerks, welches in den USA keine großen Wellen schlägt, jedoch in Europa von einem kleinen Cineasten-Kreis gelobt und gewürdigt wird. In dem erfrischend realistischen Low-Budget-Film – der Film kostete nur 12.000 $ – irrt der 16-jährige Rumtreiber Aloysius Parker (Chris Parker) durch die heruntergekommene Lower East-Side Manhattans, ohne Elan und ohne besonderes Ziel. Eine Handlung ist in dem lyrischen Stadtporträt kaum zu erkennen. Die gewollt flache, espritlose Darstellung eines gesellschaftlichen Außenseiters beschreibt sehr gut die Post-Punk Stimmung im New York der späten 1970er Jahre und prangert die gesellschaftlichen Verhältnisse an. Einige stilistische Elemente, die sich wie ein roter Faden durch Jim Jarmuschs Filmographie ziehen, finden sich bereits hier wieder: der elliptische Erzählstil, die zufälligen Bekannschaften und Plaudereien sowie die lakonischen, lustlosen Hauptfiguren. Kameramann ist Tom DiCillo, der später bei eigenen Filmen wie Johnny Suede (1991) oder Living in Oblivion (1995) Regie führt. Die Musik schreibt Jim Jarmusch zusammen mit John Lurie, einem alten Freund und Saxophonist der Lounge Lizards. Er gehört zusammen mit Tom Waits, Roberto Benigni und anderen zur so genannten Jarmusch-Clique.
Für seinen nächsten Film kann Jim Jarmusch auf seine frühere Zusammenarbeit mit Wim Wenders zurückgreifen. Chris Sievenich, der ausführende Produzent der damaligen Wim Wenders-Filme, schenkt dem Nachwuchsregisseur 45 Minuten nicht verwendetes Schwarz-Weiß- Filmmaterial. Hiermit dreht Jim Jarmusch einen Kurzfilm und zeigt ihn auf Filmfestivals in Rotterdam und Hof. Der deutsche Produzent Otto Grokenberger ist begeistert und stellt ihm die finanziellen Mittel zur Verfügung, um die 110.000 $ teure Langfilmversion Stranger Than Paradise (1984) fertig zu stellen. Die triste Geschichte von dem amerikanisierten ungarischen Einwanderer Willie (John Lurie), der mit seiner 16-jährigen Cousine Eva (Eszter Balint) und seinem Freund Eddie (Richard Edson) durch die Lande fährt und schließlich in Florida landet, begeistert die Kritiker in Cannes – er gewinnt dort die Camera D’Or. Auch ein größeres europäisches Publikum wird auf den Filmemacher aufmerksam.
Down by Law und Mystery Train
Mitte der 1980er Jahre folgt mit Down by Law – Alles im Griff (1986) Jim Jarmuschs Durchbruch bei der immer noch zum größten Teil europäischen Zuschauerschaft. Nicht zuletzt ist dies der humorvollen Darstellung des Roberto (Roberto Benigni) zu verdanken, der im Film zusammen mit DJ Zack (Tom Waits) und dem Ex-Zuhälter Jack (John Lurie) aus dem Orleans Parish Prison ausbricht und sich gemeinsam auf der Flucht durch die Sümpfe von Louisiana begeben. Kritiker schätzen die hervorragend fotografierten Bilder von Kameramann Robby Müller, der schon durch die Zusammenarbeit mit Wim Wenders bekannt geworden war.
Jim Jarmuschs bis dato vielschichtigstes Werk erscheint 1989. Mystery Train (1989) zeigt drei subtil verbundene Episoden von Menschen, die von, nach und durch Memphis reisen. Kritiker bezeichnen ihn als den wichtigsten Film im frühen Schaffen des Independent-Regisseurs. Danach erscheint dreht er einen weiteren Episodenfilm: Night on Earth (1991). In fünf Episoden wird hier eine Nacht aus Sicht von Taxifahrern und ihren Fahrgästen in verschiedenen Metropolen der Erde gezeigt. Diese Geschichten ereignen sich zeitlich parallel in den Städten, die der später geänderte Arbeitstitel des Films bereits vorweg nimmt: LANEWYORKPARISROMEHELSINKI.
Dead Man
Mit seinem sechsten Spielfilm wagt sich Jim Jarmusch, dessen Filme oft als USA-kritisch bezeichnet werden, an ein typisch amerikanisches Genre: den Western. Dead Man (1995) birgt einen kleinen Bruch in der bisherigen Filmographie des Regisseurs. Ein konkretes Genre ist erkennbar. Zudem werden mit Johnny Depp und, Jim Jarmuschs Idol aus jungen Jahren, Robert Mitchum zwei internationale Stars gecastet. Ebenfalls untypisch ist der geradlinige Erzählstrang, der von dem jungen William Blake (Johnny Depp) erzählt, der aus Cleveland in den wilden Westen kommt. Schnell wird er dort in einen Mordfall verwickelt und stark verwundet von drei Kopfgeldjägern gejagt, die der Vater eines der Opfer John Dickinson (Robert Mitchum) entsandte. Auf seiner Flucht trifft Blake den Indianer Nobody (Gary Farmer), der ihn mit dem gleichnamigen Dichter verwechselt und ihm deshalb, hilft vor den Kopfgeldjägern zu flüchten. Der kanadische Musiker Neil Young steuert den beeindruckenden und eingängigen Soundtrack des Films bei.
Um den Kanadier und seine Band Crazy Horse geht es in Jim Jarmuschs nächstem Film, dem Dokumentarfilm Year of the Horse (1997). Er verbindet ältere Archivaufnahmen der Band mit aktuellem, eigenem Material und trifft mit einer selbstgewählten Low-Buget-Rohheit der Aufnahmen genau den Nerv der Musik von Neill Young & Crazy Horse. Interviews mit der Band und auch dem Regisseur selbst über ernste und weniger ernste Themen innerhalb und außerhalb der Band runden das ganze zu einer gelungenen Dokumentation ab.
Ghost Dog und Coffee and Cigarettes
Ende des Jahrtausends geht Jim Jarmusch mit seinem modernen Samuraifilm Ghost Dog – Der Weg des Samurai (1999) in eine vom Publikum unerwartete Richtung. Der in Farbe gedrehte Film handelt von einem Auftragskiller, Ghost Dog, der sich auf einem Hausdach in seiner Hütte verschanzt hat, um dort allein mit seinen vielen Tauben zu wohnen und nach dem Ehrenkodex der Samurai zu leben. Gespielt wird er von Forest Whitaker, der hier eine seiner besten Leistungen vor der Kamera zeigt. Die Soundtrack wird wiederum von einer Größe im Musikbusiness produziert: RZA von der Hip-Hop Gruppe Wu-Tang Clan. Er hat außerdem auch einen kurzen Part im Film inne.
Nach einem kurzen Intermezzo als Gastregisseur des Kurzfilmprojektes Ten Minutes Older (Ten Minutes Older: The Cello und Ten Minutes Older: The Trumpet 2002), zeigt Jim Jarmusch eine Zusammenstellung verschiedener Kurzfilme, die er seit Mitte der 1980er Jahre immer wieder gedreht hat, unter dem Namen Coffee and Cigarettes (2004). Einer der insgesamt elf Kurzfilme ist Somewhere in California (1993) mit Iggy Pop und Tom Waits, für den Jim Jarmusch 1993 beim Filmfestival in Cannes die Palme d’Or für den besten Kurzfilm verliehen bekommt. Coffee and Cigarettes (2004) zeigt viele alte Freunde des Regisseurs unter ihnen Jack und Meg White, Bill Murray, Steve Buscemi und Alfred Molina.
Broken Flowers
Jim Jarmuschs mainstreamigster Film entsteht zwei Jahre später: Broken Flowers (2005). Hier spielt Bill Murray den Frauenheld Don Johnston, der seinen verschollenen 19-jährigen Sohn aus einer vergessenen Liebschaft sucht. Die Rolle ist eigens auf den lakonischen Komiker zugeschnitten. Auf dem Filmfestival in Cannes gwinnt der Film den großen Preis der Jury, Bill Murray wird mit diversen Schauspielpreisen geehrt.
The Limits of Control, Jarmuschs 17. Spielfilm, startet am 28. Mai 2009. Schaut euch den Trailer an:
Mit Materialien von Tobis und Filmzeit (Hannes Wesselkämper)